# taz.de -- Ultrakonservativer Kongress in Italien: Für Gott, Staat und Familie | |
> In Verona findet das weltweit größte Treffen radikaler Abtreibungsgegner | |
> statt. Gegen den World Congress of Families formiert sich Protest. | |
Bild: Ein Poster in Mailand persifliert den Worl Congress of Families | |
Verona taz | Der in pastellfarbenes Licht getauchte Saal ist bis auf den | |
letzten Platz gefüllt. Auf der Bühne des herrschaftlichen Palasts aus dem | |
17. Jahrhundert steht Brian Brown, Vorsitzender des [1][World Congress of | |
Families], der an diesem Wochenende im norditalienischen Verona | |
stattfindet. „Am Anfang der Menschheitsgeschichte“, sagt Brown in seiner | |
Eröffnungsrede am Freitag, „steht die Familie: ein Mann, eine Frau, ein | |
Kind.“ | |
Brown, ein vierschrötiger Mann mit schütterem nach hinten gekämmtem Haar, | |
ist bemüht, ein zwingendes, aber letztlich harmloses Bild von seinen | |
Überzeugungen zu zeichnen. Doch der World Congress of Families ist das | |
weltweit größte Treffen sogenannter [2][Anti-Choice-AktivistInnen]. Die | |
Mission für die „natürliche Ehe und Familie“ in Browns Sinn bedeutet | |
zugleich: Lobbyarbeit gegen die Ehe für alle, gegen reproduktive Rechte von | |
Frauen und LGBTI und gegen Schwangerschaftsabbrüche. | |
TeilnehmerInnen des Kongresses forderten bereits Gefängnisstrafen für | |
Frauen, die Abtreibungen hatten, und verglichen Homosexualität mit Seuchen | |
und Homosexuelle mit der Terrorgruppe Boko Haram. Auch am Freitag werden | |
erste RednerInnen deutlicher als Brown: Gegen all dies, wie Kongressgründer | |
Allan Carlson sagt, gelte es, einen „Krieg“ zu gewinnen. | |
Beheimatet ist der World Congress of Families in der US-amerikanischen | |
religiösen Rechten, doch das globale Netzwerk wächst. 1.500 TeilnehmerInnen | |
werden laut Kongress an diesem Wochenende erwartet – und neben | |
Evangelikalen und KatholikInnen aus Brasilien, Nigeria oder Russland | |
sprechen am Samstag der italienische Innenminister Matteo Salvini von der | |
rechten Regierungspartei Lega sowie der als christlich-fundamentalistisch | |
geltende Familienminister Lorenzo Fontana. Der ungarische Botschafter im | |
Vatikan und der polnische Botschafter in Italien kommen, zudem wird sich | |
der Adel einfinden, am Samstag etwa die deutsche Katholikin und Fürstin | |
Gloria von Thurn und Taxis. Die fiel bereits mehrfach mit rassistischen | |
Auslassungen auf und unterstützte im September die homo- und transphobe | |
„Demo für alle“ in München. Im Zusammenhang mit Abtreibung sprach sie von | |
einer „Kultur des Todes und des Tötens“. | |
An dem jährlich an einem anderen Ort stattfindenden Kongress nahmen in den | |
vergangenen Jahren verstärkt VertreterInnen rechter Parteien teil, | |
darunter Beatrix von Storch von der AfD oder Fabrice Sorlin vom | |
französischen Rassemblement National, früher Front National. Dass der | |
Kongress nun ausgerechnet im norditalienischen Verona Station macht, in | |
einem westeuropäischen Land, in dem seit Juni 2018 eine populistische | |
Koalition aus 5-Sterne-Bewegung und der Lega regiert, scheint in dieser | |
Hinsicht ein strategischer Coup der Anti-Choice-Bewegung zu sein. | |
„Durch den Rechtsruck in Europa sehen sich die OrganisatorInnen im | |
Aufwind“, sagt Neil Datta vom Europäischen Parlamentarischen Forum für | |
Bevölkerung und Entwicklung (EFP), einem Netzwerk von ParlamentarierInnen, | |
das sich mit reproduktiven Rechten beschäftigt. Früher hat der Kongress | |
Allianzen mit politisch rechts stehenden Parteien eher still gepflegt, nun | |
geht er in die Offensive. | |
## Verona nennt sich „Stadt für das Leben“ | |
Inhaltlich ist das pragmatisch, strategisch ist es klug. Zum einen gehen | |
die Positionen völkischer PolitikerInnen und die der Lebensschutzbewegung | |
häufig Hand in Hand. Zudem eröffnet sich die Rechte Zugang zu den | |
WählerInnenmilieus konservativer Religiöser, während diese ihre | |
Verbindungen in die institutionelle Politik stärken. „Der Kongress ist ein | |
Brutkasten übler Ideen“, sagt Datta. „Aber wie in den vergangenen Jahren zu | |
sehen war, bleibt es nicht bei Ideen, sondern mündet es schnell in | |
Gesetze“. | |
2017 machte eine europäische Regierung zum ersten Mal gemeinsame Sache mit | |
dem Kongress: Ungarn sponserte ihn, Premier Viktor Orbán hielt die | |
Eröffnungsrede. Seitdem führte Ungarn etwa Maßnahmen wie eine Gebärprämie | |
für „mehr ungarische Kinder“ ein, während die Gender Studies aus dem Land | |
[3][verbannt] wurden. | |
Ähnliches droht in Italien, wo Gesetze, die dem Kongress genehm sein | |
dürften, bereits diskutiert werden. So brachte die Lega einen Gesetzentwurf | |
ein, der Scheidungen erschweren soll und, wenn minderjährige Kinder im | |
Haushalt leben, Zwangsmediation vorschreibt – um die „Einheit der Familie | |
zu erhalten“. In einigen Regionen Italiens lehnen es bis zu 90 Prozent der | |
ÄrztInnenschaft aus Gewissensgründen ab, Schwangerschaftsabbrüche | |
vorzunehmen. | |
Auch das Setting in Verona ist insofern gut gewählt: Verona nennt sich | |
„Stadt für das Leben“ und hat historisch enge Verbindungen zur katholischen | |
Kirche und zur politischen Rechten. Der Sohn des Chefs der | |
neofaschistischen Forza Nuova, Roberto Fiore, wird am Kongress teilnehmen, | |
Familienminister Fontana stammt aus Verona und ist Schirmherr des | |
Kongresses. Innenminister Salvini zeigte sich in Rom bereits mit Brian | |
Brown und dem Logo des Kongresses, einem stilisierten Mann in Blau und | |
einer Frau in Rot. | |
Das Motto dieses Jahr, zwei Monate vor den Wahlen zum Europäischen | |
Parlament: „The Wind of Change: Europa und die globale Bewegung für die | |
Familie“. Sogar der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, | |
der sich in der Vergangenheit dezidiert gegen Abtreibung und die Ehe für | |
alle aussprach, wurde zwischenzeitlich als Redner bei dem Kongress | |
angekündigt. Doch Tajani verschwand wieder von der Seite – kommentarlos. | |
Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass der Kongress die Rechnung ohne | |
die Zivilgesellschaft gemacht hat. Zum ersten Mal in der Geschichte des | |
Kongresses gibt es eine Gegenmobilisierung, die sich sehen lassen kann. | |
„Bisher war die Strategie der internationalen progressiven Community, den | |
Kongress geschehen zu lassen und ihm nicht noch mehr Sichtbarkeit zu | |
geben“, sagt Datta. „Aber diesmal geht der Plan des Kongresses, seine | |
Positionen unwidersprochen in den Mainstream sickern zu lassen, nicht auf.“ | |
## Uni verweigerte dem Kongress Räume | |
In weniger als zehn Tagen unterzeichneten mehr als 100.000 Menschen eine | |
Petition, um die italienische Regierung aufzufordern, den Kongress nicht zu | |
unterstützen. Die Universität von Verona machte gerade öffentlich, dass sie | |
dem Kongress bereits im Dezember Räume verweigert hat. „Die behandelten | |
Themen sowie die Position der Organisatoren haben keinerlei | |
wissenschaftliches Fundament“, schrieb der Rektor. | |
160 ProfessorInnen und ForscherInnen unterzeichneten einen offenen Brief | |
gegen den Kongress, italienweit taten sich Hunderte LehrerInnen zusammen: | |
„Wir distanzieren uns entschieden vom Weltbild des World Congress of | |
Families“, heißt es da. „Einem Weltbild, das wir als faschistisch, | |
fremdenfeindlich, rassistisch, sexistisch und homophob betrachten“. | |
Und schließlich ging auch der Koalitionspartner, die 5-Sterne-Bewegung, | |
auf Abstand. „Wenn einer von Ihnen der Meinung ist, dass eine Frau zu Hause | |
bleiben sollte, um zu tun, was Sie ihr sagen, dann ist die | |
5-Sterne-Bewegung nichts für Sie“, sagte Italiens Vizeministerpräsident | |
Luigi di Maio. Allerdings wandte sich die Partei bislang nicht gegen das | |
Vorhaben, Scheidungen zu erschweren. Immerhin ist laut Programm nun aber | |
kein Mitglied beim Kongress vertreten. | |
Nicht zuletzt diesem Gegenwind ist es wohl auch zu verdanken, dass die | |
Schirmherrschaft nicht mehr beim Büro des parteilosen Ministerpräsidenten | |
Giuseppe Conte liegt. Der sagte, er habe dieser nie zugestimmt – Minister | |
Fontana übernahm. Und selbst Salvini hielt nicht wie erwartet die | |
Eröffnungsrede am Freitag, sondern spricht nun als einer unter vielen am | |
Samstag auf einem Podium. Die Offensive des Kongresses fällt eine Nummer | |
kleiner aus, als von den OrganisatorInnen erhofft. | |
Zudem zeichnet sich ab, dass die Gegenproteste auch zahlenmäßig den | |
eigentlichen Kongress übertreffen werden. Am Freitag versammelten sich | |
zunächst rund 40 AktivistInnen zu einer ersten Pressekonferenz in der | |
veronesischen Altstadt in einem schlichten Erdgeschossraum, der seit den | |
1970er Jahren für feministische Veranstaltungen genutzt wird. Pinke Plakate | |
beschreiben Verona als „transfeministische Stadt“. „Es geht um die | |
Freiheit, über unsere Körper und unsere Sexualität selbst zu entscheiden“, | |
sagt eine in Schwarz und Pink gekleidete Frau. | |
Für die Gegendemonstration am Samstag rechnen die VeranstalterInnen mit | |
mehreren Zehntausend TeilnehmerInnen. Die Gruppe Non una di meno („Nicht | |
eine weniger“), die in Italien bereits Frauenstreiks und landesweite | |
Proteste am 8. März organisierte, gibt sich kämpferisch: „Wir sind die | |
feministische, transfeministische, antirassistische und antifaschistische | |
Flut, die Verona überschwemmen wird“, heißt es in dem Aufruf der Gruppe. | |
Man werde sich dem Kongress „mit Wut, Entschlossenheit und Fantasie | |
entgegenstellen“, kündigen die AktivistInnen an. | |
Geplant sind zahlreiche Podien, Lesungen, Konzerte, zu denen | |
internationale Stars der feministischen Szene wie Marta Dillon aus | |
Argentinien anreisen. Innerhalb Italiens fahren Busse aus mindestens 15 | |
Städten nach Verona, zahlreiche NGOs, Bürgerrechtsorganisationen und | |
Parteien wie die Partito Democratico mobilisieren für die Gegendemo unter | |
dem Motto „Freies Verona, säkulares Italien“. | |
Eine der deutschen TeilnehmerInnen am Gegengipfel, die Philosophin Eva von | |
Redecker, ist bereits am Freitag vor Ort. Bei den Protesten gehe es darum, | |
feministische Solidarität zu üben und emanzipatorische Perspektiven | |
aufzuzeigen. „Es wäre fatal, sich dem Kongress defensiv | |
gegenüberzustellen“, sagt sie. „Jede Art von Fürsorgearbeit steht derzeit | |
enorm unter Druck. Die Familie ist der letzte Rückzugsort, in dem es um | |
eine andere Ökonomie geht, in dem nicht alles bezahlt und aufgerechnet | |
werden muss. Aber diese Krise der Familie müssen wir zugeben – und | |
klarmachen: Wir haben die bessere Antwort.“ | |
29 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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