# taz.de -- Außenminister besucht die Türkei: Als Freund nach Ankara | |
> Heiko Maas reist für einen Blitzbesuch nach Ankara. Er gibt sich trotz | |
> des türkischen Angriffs auf Nordsyrien freundlich – kriegt aber nur vage | |
> Versprechen. | |
Bild: Folgen sich auf Twitter: Außenminister Heiko Maas und sein Amtskollege M… | |
ANKARA taz | Im persönlichen Gespräch, das zeigt die Erfahrung, begegnen | |
sich Menschen oft höflicher als auf dem Pöbel-Medium Twitter. Die | |
Psychologie erklärt das mit einem Enthemmungseffekt: Weil wir die Reaktion | |
des Gegenübers im Internet nicht direkt mitbekommen, verzichten wir dort | |
schneller auf Nettigkeiten als im echten Leben. | |
Beim türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu macht das allerdings keinen | |
Unterschied. Nachdem sich unter der Woche sein deutscher Amtskollege zum | |
Besuch angekündigt hatte, schickte der AKP-Politiker dem [1][„lieben | |
@HeikoMaas“] über Twitter gleich mal eine Warnung: „Wer die Türkei belehr… | |
muss mit einer entsprechenden Antwort rechnen.“ | |
Am Samstagmittag ist Maas dann tatsächlich in Ankara. Über zwei Stunden | |
lang unterhalten sich die zwei Minister im türkischen Außenministerium über | |
die Situation in Nordsyrien, wo die Türkei Krieg gegen die Kurd*innen | |
führt. Als die beiden hinterher vor die Presse treten, äußert sich der | |
Real-Life-Çavuşoğlu kein bisschen konzilianter als seine Internet-Version: | |
Deutsche Kritik am türkischen Vorgehen? „Das gehört sich nicht“, sagt er. | |
„Von Verbündeten erwarten wir, dass sie uns zur Seite stehen.“ | |
Ein Glück, dass er es mit einem freundlichen Gast zu tun hat. Mit einem | |
weniger ausgeglichenen Diskussionspartner würde sich die Sache vielleicht | |
hochschaukeln, am Ende würden man sich auf Twitter womöglich noch | |
gegenseitig blockieren. Nicht aber mit Heiko Maas: „Es ist immer besser, | |
wenn man miteinander spricht, als wenn man übereinander spricht“, sagt er, | |
als Çavuşoğlu mit seinem Lamento durch ist. Die Form bleibt an diesem | |
Samstag gewahrt, das ist dem SPD-Politiker wichtig. | |
## Spontaner Blitzbesuch | |
Der Blitzbesuch des deutschen Außenministers steht am Ende einer | |
ereignisreichen Woche: Die Türkei feiert zwei Wochen nach ihrem | |
[2][Einmarsch in Nordsyrien] einen Zwischenerfolg. Mit Russland hat sie | |
vereinbart, die kurdischen Milizen aus dem Grenzgebiet zu verdrängen. An | |
eine ebenfalls vereinbarte Waffenruhe halten sich die Türkei und ihre | |
Verbündeten aber nur teilweise und im Internet kursieren Aufnahmen von | |
Gewalttaten pro-türkischer Milizen an ihren Gefangenen. Möglich ist, dass | |
Ankara die kurdische Bevölkerung vertreiben will, um an ihrer Stelle | |
arabisch-syrische Geflüchtete aus der Türkei anzusiedeln. | |
Nebensache ist dagegen die deutsche Debatte um Verteidigungsministerin | |
Annegret Kramp-Karrenbauer und ihre [3][Idee einer internationalen | |
Schutzzone]. Die CDU unterstützt den Vorstoß nur halbherzig, die SPD blockt | |
demonstrativ ab, die Partnerländer machen nicht mit. Zustimmung kommt nur | |
von den Betroffenen. So bitten 34 vornehmlich kurdische Organisationen aus | |
Nordsyrien in einem offenen Brief, die internationale Gemeinschaft möge die | |
„German initiative“ unterstützen. Aber was die Kurd*innen wollen, so bitter | |
es auch ist, [4][spielt in diesem Krieg keine Rolle mehr]. | |
Was Kramp-Karrenbauers Vorschlag höchstens bewirkt hat: Heiko Maas in | |
Bewegung zu setzen. Die deutsche Opposition hatte dem Außenminister nach | |
dem türkischen Einmarsch zunächst Passivität vorgeworfen. Dass statt ihm | |
die Verteidigungsministerin eine Initiative startet, machte das Bild nicht | |
besser. Ein bisschen Reisediplomatie kann da nicht schaden: Spontan | |
vereinbarte er unter den Woche den Besuch. Hinflug Samstagfrüh um 7 Uhr, | |
Gespräch mit Çavuşoğlu am Mittag, am späten Nachmittag schon wieder zurück | |
in Berlin. | |
## Die Türkei nicht verärgern | |
In Ankara wird schnell klar, dass sich Maas für diesen Tag offenbar | |
vorgenommen hat, lieber auf Dialog zu setzen als auf die Druckmittel, mit | |
denen er eigentlich drohen könnte: Wirtschaftssanktionen verhängen, die | |
Zollunion mit der EU aufkündigen, vielleicht sogar der Rauswurf aus der | |
Nato. Letzteres, obgleich rechtlich schwer möglich, schlug unter der Woche | |
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor. | |
Man kann zwar davon ausgehen, dass Heiko Maas solche Äußerungen genehm sind | |
– als Drohkulisse im Hintergrund. Er selbst hält es aber, wie es deutsche | |
Außenminister gerne machen: Zurückhalten, das Gegenüber nicht verärgern, | |
die Türkei nicht noch weiter von der EU weg in Richtung Russland treiben. | |
Erwartungen an die türkische Regierung formuliert der deutsche | |
Außenminister in Ankara zwar durchaus. Die [5][Waffenruhe für Nordsyrien] | |
solle eingehalten und verlängert werden, die türkischen Truppen sollen dort | |
nicht dauerhaft bleiben und syrische Geflüchtete aus der Türkei sollen | |
nicht unter Zwang, sondern höchstens freiwillig zurück über die Grenze | |
gebracht werden. | |
Konsequenzen, die Deutschland und seine Partner andernfalls ziehen könnten, | |
nennt er aber nicht. Im Gegenteil: „Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger | |
Nato-Verbündeter“, versichert er Çavuşoğlu während der gemeinsamen | |
Pressekonferenz. Und dass der türkische Einmarsch auch nach Ansicht der | |
Bundesregierung gegen das Völkerrecht verstieß? Dass türkische Verbündete | |
in Nordsyrien Kriegsverbrechen begehen? Maas spricht nichts davon an. | |
## „Sensibelste Armee der Welt“ | |
Nichtsdestotrotz geht Çavuşoğlu in die Vorwärtsverteidigung. Ihm zufolge | |
behandelt der Westen sein Land ungerecht und misst mit zweierlei Maß. Seit | |
Beginn der Nordsyrien-Offensive laufe zudem eine „Fälschungskampagne“, in | |
der dem türkischen Militär und pro-türkischen Milizen mit gefälschten | |
Aufnahmen Menschenrechtsverletzungen unterstellt würden. Dabei habe die | |
Türkei in humanitären Fragen doch bekanntlich die „sensibelste Armee der | |
Welt“. Sämtliche Vorwürfe gegen seine Regierung: „Falsch.“ | |
Aber immerhin: Ein paar vage Versprechen kann Maas seinem türkischen | |
Kollegen abringen. Erstens sagt ihm Çavuşoğlu im Gespräch tatsächlich zu, | |
dass die türkischen Truppen nicht dauerhaft in Nordsyrien bleiben. Wann sie | |
abziehen werden, bleibt aber offen – und eine Garantie gibt es nicht. | |
Zweitens verspricht ihm Çavuşoğlu wie gewünscht, dass die Türkei keine | |
syrischen Geflüchteten ins Grenzgebiet abschieben wird – aber auch hier | |
fehlt die Garantie. | |
Und drittens ist man sich grundsätzlich darüber einig, dass die Bevölkerung | |
im Konfliktgebiet humanitäre Hilfe bekommen soll. Die Bundesregierung würde | |
dazu einen Teil beitragen. Offenbar sind aber noch entscheidende Details | |
unklar: „Wir haben vereinbart, das auch weiterhin intensiv zu beraten“, | |
sagt Maas. Eine feste Zusage der Türkei gibt es also auch hier nicht. | |
Alles, was Çavuşoğlu zu bieten hat, bleibt ohne Gewähr. | |
Und was ist nun mit dem [6][Sicherheitszonen-Vorschlag der deutschen | |
Verteidigungsministerin]? Er spielt am Samstag in Ankara auch eine Rolle – | |
allerdings nur ganz kurz. „Wir halten so eine Zone nicht für sehr | |
realistisch“, sagt Çavuşoğlu. „Für Dinge, die im Moment eher theoretisc… | |
Charakter haben, hat uns heute die Zeit gefehlt“, sagt Maas. Eine Person | |
kritisieren, ohne sie beim Namen zu nennen: Sowas heißt auf Twitter | |
übrigens „Non-Mention“ – und gilt als unhöflich. | |
26 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/MevlutCavusoglu/status/1187419635777495047 | |
[2] /Kurden-in-Nordsyrien/!5633170 | |
[3] /Sicherheitszone-in-Nordsyrien/!5633141 | |
[4] /Treffen-der-Nato-Verteidigungsminister/!5636130 | |
[5] /Konflikt-in-Nordsyrien/!5635821 | |
[6] /Reaktion-auf-AKKs-Schutzzonen-Vorschlag/!5633224 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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