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# taz.de -- TV-Film zur Wende: DDR auf kaltem Entzug
> Der ZDF-Dreiteiler „Preis der Freiheit“ will viel über die Wende
> erzählen. Dabei verkommt er leider zu arg konstruierter Volkspädagogik.
Bild: Hier streiten Typen, keine Menschen: Familieneklat im ZDF-Dreiteiler „P…
Drei mit Gold beladene Lkws. Nur einer wird sein Ziel erreichen. Die beiden
anderen verschwinden … nicht ganz spurlos. Der Fernsehzuschauer mit
ausreichend Sitzfleisch erfährt durchaus, wer sich da am Nibelungenschatz
der DDR bereichert. 30 Milliarden D-Mark, angehäuft von [1][Alexander
Schalck-Golodkowski], Chef der Abteilung Kommerzielle Koordinierung im
Ministerium für Außenhandel.
Der ZDF-Dreiteiler „Preis der Freiheit“ (Regie: Michael Krummenacher) will
viel – unter anderem will er dem obersten Devisenbeschaffer der DDR ein
überraschendes Denkmal setzen.
Im wirklichen Leben wurde das gegen ihn angestrengte Verfahren wegen der
Veruntreuung von DDR-Milliarden eingestellt. Im Film bekommt er einen
Freispruch erster Klasse, ist er quasi der letzte Aufrechte unter den
Genossen, der die DDR mit der Kombination aus unorthodoxen Methoden und
Reformen retten will.
Was sich als Kampf gegen Windmühlen erweist: gegen inkompetente Betonköpfe
wie Günter Mittag (Ralf Dittrich); gegen zaudernde Bedenkenträger wie
Gerhard Schürer (Milan Peschel); gegen verbeamtete Ganoven (Oliver
Masucci); gegen intrigante Stasi-Seilschafter, für die im Film die Figur
des fiktiven Norbert Krimling steht, den in seiner maximal schmierigen
Hinterfotzigkeit allein die Schauspielkunst des Godehard Giese vor dem
Knallchargen-Status bewahrt.
## Sagenhaft besetzt
Sämtliche Hauptrollen gingen an Frauen, die Besetzung ist sagenhaft bis in
die klitzekleinste Nebenrolle. Ex-„Tatort“-Kommissar Joachim Król spielt
den rührigen Werkleiter eines „VEB Kühlautomat“. Thomas Thieme, der schon
Helmut Kohl und andere Choleriker gegeben hat, muss sich bei seiner
Darstellung des von Vernunft geleiteten Schalck-Golodkowski geradezu
zurücknehmen: „Es gibt ab jetzt weder Freund noch Feind. Nur noch Kunden.“
Seine markigen Sprüche sind nichts im Vergleich zu denen derer, die in Bonn
die Übernahme der DDR betreiben. Wie („Tatort“-Kommissar) Fabian Hinrichs
als Abteilungsleiter Hartmann im Finanzministerium: „Wir machen sie
abhängig von unserem Geld wie Junkies vom Heroin.“
Es gilt ein Mauerfall-Jubiläum zu begehen, nicht zuletzt im Fernsehen.
Allein die Stimmung ist gerade nicht so nach Jubelei. Eben erst haben zwei
Dokumentationen ([2][„D-Mark, Einheit, Vaterland“], ARD; [3][„Das Erbe der
Treuhand“], ZDF) die Legende vom Ausverkauf der DDR durch die Treuhand noch
einmal erzählt.
Aus diesem fiktionalen Dreiteiler lernen wir nun, dass der Ausverkauf schon
lange vorher, vor dem Mauerfall, eingefädelt wurde. Apropos Mauerfall: Das
Tolle an der Serie „Weissensee“ (ARD) war ja, dass sie zu Beginn der 1980er
Jahre spielte, die „Wende“ in weiter Ferne. Damit war dann allerdings nach
einer Staffel auch schon wieder Schluss, leider. In „Preis der Freiheit“
rollen einmal mehr hupende Trabis über die sofort, unverzüglich geöffnete
Grenze.
Im Zentrum der weit ausgreifenden Handlung, Menschen- und Müllhandel
inklusive, stehen drei Schwestern – besagte Hauptrollen. Die Töchter einer
beinharten Kader-Kommunistin (Angela Winkler): „Es gibt Herrscher und
Beherrschte. Unsere Familie gehört zu den Herrschern.“
Nur eine Tochter konnte es ihr recht machen – Margot (Barbara Auer) als
Schalck-Golodkowskis rechte Hand. Lotte (Nadja Uhl) engagiert sich als
Bürgerrechtlerin für die Umwelt-Bibliothek, während Silvia (Nicolette
Krebitz) für die Mutter gestorben ist, seit sie in den Westen geflohen ist.
Sie tritt dort eine Stelle an bei Staatssekretär Hartmann – siehe oben. Da
ist es nur eine Frage der Zeit, bis Margot und Silvia wieder
aufeinandertreffen.
Der Dreiteiler präsentiert Geschichte unterm Brennglas, wo die Menschen
nicht einfach Menschen sind, sondern Typen. Alle müssen etwas
repräsentieren. Es wird nicht eine Geschichte erzählt, die in einer
bestimmten Zeit spielt. Es soll die Zeit erzählt werden, und dafür wird
eine Geschichte konstruiert. Ein sehr öffentlich-rechtliches Konzept, ein
volkspädagogisches Lehrstück, „Löwenzahn“ für Erwachsene.
Lottes Sohn, der nur auf ein Rockkonzert gehen wollte, wird durch die
nächtliche Stasi-Behandlung, die er erfährt, zum Neonazi. Es sind mitunter
ziemlich einfache Erklärungen. Die lustigste von allen: „Saddam Hussein hat
einen Teil der Lieferung in Datteln statt in Erdöl bezahlt.“ Und wer sich
das DDR-Gold unter den Nagel gerissen hat? Die üblichen Verdächtigen
natürlich.
4 Nov 2019
## LINKS
[1] /Alexander-Schalck-Golodkowski-ist-tot/!5205927
[2] https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/d…
[3] https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzeit/zdfzeit-ausverkauf-ost-2-100.html
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
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