# taz.de -- Politik im Sport: Gefährliches Spiel | |
> Eine perfekte Bühne für Nationalpathos bietet der Fußball bei | |
> Ländervergleichen. Das Feld für Autokraten wie Erdoğan – es ist bestellt. | |
Bild: Eklat auf dem Feld: Türkische Spieler salutieren beim EM-Spiel gegen Fra… | |
Sie haben es wieder getan. Nach dem Ausgleichstreffer von Kaan Ayhan im | |
EM-Qualifikationsspiel der türkischen Nationalmannschaft in Frankreich | |
haben sich die Spieler der Auswahl vor den Fans aus der Türkei postiert und | |
militärisch salutiert. Nur einer hat abgedreht, wollte sich dem Gruß an die | |
Soldaten, [1][die gerade in Nordsyrien einmarschiert sind], nicht | |
anschließen. Kaan Ayan, der Torschütze. | |
Er war der Hingucker des Abends, nicht nur wegen seines Treffers zum 1:1, | |
der den Franzosen in St. Denis die Stimmung verhagelt hat. Der sportliche | |
Held des Abends hat sich zum Außenseiter gemacht. Er hat sich dem | |
Propagandaspiel verweigert, für das sich die türkische Nationalmannschaft | |
in diesen Zeiten des Kriegs hat einspannen lassen. | |
Gerne benutzen die Herrschenden die Popularität des Sports für ihre Zwecke. | |
Das ist in Kriegszeiten besonders auffällig, aber auch in friedlichen | |
Kontexten nicht zu übersehen. Gerade Fußballländerspiele werden inszeniert | |
wie nationale Weihefeste. Lange vor dem Anpfiff werden Freiwillige | |
gescoutet, die die Fahnen der am Spiel beteiligten Länder auf das Feld | |
tragen, als wären es Heiligtümer. Auf dem Rasen werden dann Fahnenschwenker | |
postiert, die riesige Stoffbahnen in den Nationalfarben zum Wehen bringen. | |
Und bevor die deutsche Mannschaft spielt, ruft der Stadionsprecher der | |
versammelten Fußballgemeinde zu: „Wir singen jetzt gemeinsam die deutsche | |
Nationalhymne!“ Ein Länderspiel wird wie ein Hochamt auf die Nation | |
zelebriert. Und während sich in den 1970er Jahren noch niemand darüber | |
beschwert hat, dass praktisch kein Nationalspieler bei der Hymne | |
mitgesungen hat, wird heutzutage genauestens registriert, wer wie die | |
Lippen zum Deutschlandlied bewegt. | |
## Die Fußballmannschaft als Armee-Einheit | |
Das Feld für Propagandaschlachten ist bereitet. Woran man sich in | |
Friedenszeiten gewöhnt hat, wird in Kriegszeiten zum Problem. Der Appell an | |
den Stolz, mit der ein Spieler das Trikot seiner Nation zu tragen hat, wird | |
besonders laut, wenn das Heer des Heimatlandes echte Schlachten schlägt. | |
Die Fußballmannschaft wird dann zur Armee-Einheit. Bei den großen | |
Fußballverbänden wie der Fifa oder der Uefa weiß man das. | |
Um zu verhindern, dass Fußballschlachten wie echte Kriege geführt werden, | |
sorgen die Verbände dafür, dass Mannschaften aus Ländern, die gegeneinander | |
Krieg führen, möglichst nicht zusammengelost werden. So kann Russland nicht | |
in eine Gruppe mit der Ukraine gelangen. Russische Spieler sollen möglichst | |
nicht provoziert werden durch den Schriftzug „Ruhm der Ukraine!“ auf den | |
Trikots des Kriegsgegners. | |
Der militärische Gruß, den die türkischen Spieler schon am Freitag beim | |
Spiele gegen Albanien gezeigt hatten, war denn auch das große Thema dieser | |
Länderspielpause. „Die Fußballer haben dieses Tor mit dem Militärgruß den | |
Soldaten geschenkt, die in der Operation Friedensquelle dienen.“ Mit diesen | |
Worten hat der türkische Fußballverband die Szenen erklärt und via | |
Instagram ein Foto in die Welt geschickt, das den gesamten Tross der | |
türkischen Nationalmannschaft mit militärischem Gruß zeigt. | |
Auch die deutsche Auswahl hat dieser Gruß erreicht. Die Nationalspieler | |
İlkay Gündoğan und Emre Can hatten einen Post von Cenk Tosun, dem Schützen | |
des einzigen Tors im Spiel gegen Albanien, mit einem Herzchen versehen. Der | |
hatte auf Instagram das Foto vom Salutgruß in die Kurve gepostet und | |
daruntergeschrieben: „Für unsere Nation, vor allem für jene, die für unser | |
Land ihr Leben riskieren.“ | |
Die Spieler taten schnell alles, um den Eindruck zu vermeiden, die beiden | |
Spieler würden den Überfall des türkischen Militärs auf die Kurdengebiete | |
im Norden Syrien gutheißen. Die beiden selbst meinten, sie hätten sich | |
einfach gefreut über das Tor von Tosun, mit dem sie einst zusammengespielt | |
hätten. Der DFB versicherte, die Spieler seien gegen Gewalt und Krieg, und | |
postete ein Foto, das den gesamten Tross des DFB bildet, wobei Manuel | |
Neuer, der Kapitän des Teams, den einen Arm um Gündoğan, den anderen um Can | |
geschlungen hat. Sie sollen Teil der Mannschaft bleiben. Als bekennende | |
Anhänger des Feldzugs gegen die Kurden hätten sie das vielleicht nicht | |
bleiben können, und so tat man alles, um die längst wieder zurückgenommenen | |
Herzchen zu entpolitisieren. | |
## Propagandaschlachten auf dem Spielfeld | |
Dass man seinen Job verlieren kann, wenn man sich hinter Erdoğans Krieg | |
stellt, hat Cenk Şahin erfahren. Der Zweitligist FC St. Pauli hat den | |
Stürmer freigestellt, [2][nachdem dieser einen kriegsverherrlichenden Post | |
geteilt hatte]. „Ohne jegliche Diskussion und ohne jeglichen Zweifel lehnen | |
wir kriegerische Handlungen ab. Diese und deren Solidarisierung | |
widersprechen grundsätzlich den Werten des Vereins“, teilte der Klub über | |
seine Homepage mit. Auch beim italienischen Erstligisten AS Rom wird über | |
den Salut der türkischen Spieler diskutiert. | |
Cengiz Ünder hat ihn nicht nur im Trikot der Nationalmannschaft gezeigt, | |
sondern sich auch mit der flachen Hand an der Stirn im Dress des AS Rom | |
fotografieren lassen. Über eine Bestrafung des Spielers wurde schon | |
diskutiert, weil Rom aber im November in der Europa League bei İstanbul | |
Başakşehir spielt, hat man wohl davon abgesehen, um die Kriegsstimmung | |
nicht weiter anzuheizen. Başakşehir ist der Klub, dem Präsident Erdoğan | |
besonders treu verbunden ist. In Zeiten des Krieges werden | |
Propagandaschlachten ebenso auf dem Spielfeld ausgetragen. | |
Doch auch wenn es nicht gegen ein Feindesland geht, wird fleißig salutiert. | |
Immer wieder grüßen Fußballer nach militärischer Sitte, wenn sie meinen, | |
ihrer Heimat damit einen besonderen Dienst erweisen zu können. Bei der | |
Fußball-WM 2018 in Russland war es Artjom Dsjuba, der Stürmer der | |
russischen Nationalmannschaft, der sich nach seinem Treffer im | |
Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien an der Auslinie aufgebaut hat, um zu | |
salutieren. Eine Hand legte er an die Stirn, die andere auf den Kopf. Er | |
mache das, meinte er, weil es im russische Militär nicht erlaubt sei, ohne | |
Mütze auf dem Kopf zu salutieren. Es war sein Beitrag zum Kampfeinsatz für | |
ein besseres Image Russlands in der Welt. | |
Auch der französische Weltmeister Antoine Griezman hat bei der WM 2018 zum | |
militärischen Gruß gegriffen. Als ihm der französische Staatspräsident nach | |
dem Gewinn der Titels gratuliert hat, salutierte der Angreifer. Schlimm | |
wollte das keiner finden. Im Fall von Mario Mandžukić, dem ehemaligen | |
Stürmer des FC Bayern München, war das ganz anders. Der Kroate baute sich | |
nach einem Tor ebenso wie sein Teamkamerad, der aus dem Kosovo stammende | |
Schweizer Xherdan Shaqiri, vor der Bayernkurve auf, salutierte mit der Hand | |
an der Stirn und streckte dann den Arm zur Seite. | |
Tags zuvor waren die kroatischen Bürgerkriegsgeneräle Ante Gotovina und | |
Mladen Markač vom UN-Kriegsverbrechertribunal überraschend von der Anklage | |
schwerster Verbrechen freigesprochen worden. Das Salutieren war | |
unmissverständlich als Gruß an die Generäle zu verstehen. Mandžukić wurde | |
vom DFB abgemahnt und in seiner Heimat gefeiert. Auch Konflikte, die nicht | |
mehr mit Waffengewalt ausgetragen werden, werden auf das Fußballfeld | |
transportiert. | |
## Strafe für den Militärgruß? | |
Bestraft wurde der Schweizer Auswahlspieler Shaqiri dann in einem späteren | |
Fall. Er hatte nach einem Tor gegen Serbien zusammen mit seinem ebenfalls | |
aus dem Kosovo stammenden Kollegen Granit Xhaka mit dem Händen einen | |
kosovarischen Doppeladler gebildet. Eine vierstellige Geldsumme mussten die | |
beiden zahlen, weil die Uefa-Regularien politische Äußerungen auf dem | |
Fußballplatz unter Strafe stellen. | |
Ob der Militärgruß der Türken eine solche darstellt und ob der türkische | |
Verband deshalb bestraft wird, könnte schon am Donnerstag entschieden | |
werden. Da kommt die zuständige Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer der | |
Uefa zu ihrem turnusmäßigen Treffen zusammen. Kaan Ayhan, der | |
Grußverweigerer vom Montag, ist dann wieder zurück bei Fortuna Düsseldorf | |
und darf sich des Lobs seines Klubs sicher sein. | |
Am Freitag noch hatte er sich am Salutjubel beteiligt – ebenso wie sein | |
Düsseldorfer Teamkamerad Kenan Karaman, der sich dem Salutieren am Montag | |
ebenfalls verweigert haben soll. Fortuna-Manager Lutz Pfannenstiel hat | |
schon mit beiden gesprochen. Er meinte: „Wir sind davon überzeugt, dass | |
ihnen nichts ferner lag, als ein politisches Statement abzugeben.“ | |
15 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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