# taz.de -- DFB und Politik: Heiße Luft mit warmen Worten | |
> Der DFB verordnet sich eine Haltung. Ob er damit die Debatten einfangen | |
> kann, die den Verband regelmäßig überfordern, ist fraglich. | |
Bild: Gibt die Richtung vor: DFB-Präsident Fritz Keller | |
„Die gesamte deutsche Gesellschaft ist überfordert“, so lautet die | |
Überschrift des Meinungsbeitrags, geschrieben nicht von irgendeinem | |
CDU-Fuzzi der zweiten Reihe, sondern von DFB-Präsident [1][Fritz Keller] in | |
der Tageszeitung Die Welt. Es geht ihm um, nun ja, eigentlich alles. „Die | |
politische Polarisierung ist ein Problem für den Fußball“, so Keller. Der | |
DFB müsse daher ein Leitbild entwickeln, „einen übergreifenden | |
Grundkonsens.“ | |
Als Beispiel führt er das Thema Frauenrechte an und kündigt an, der DFB | |
werde nicht mehr in Ländern antreten, wo Frauen „nicht gleichberechtigt und | |
frei“ ins Stadion gelassen werden. Außerdem äußert Keller sich recht | |
differenziert zu den Likes von Emre Can und Ilkay Gündoğan für den | |
[2][türkischen Militärsalut]. Von den beiden fordert er mehr Sensibilität | |
auf Social Media, räumt gleichzeitig aber ein: „Auch wir als DFB müssen uns | |
kritisch hinterfragen, ob wir im Umgang mit dem Thema alles richtig | |
machen.“ | |
Es ist ein hoch spannender Text. Zunächst bemerkenswert insofern, weil sich | |
da tatsächlich wieder ein DFB-Präsident konstruktiv mit der | |
gesellschaftlichen Wirkung des Fußballs und dem Wirken der Gesellschaft im | |
Fußball auseinandersetzt. Bemerkenswert auch, weil Keller einen | |
nachdenklichen, demütigen Ton trifft und „auch Fehler“ einräumt, ein | |
krasser Kontrast zum selbstherrlichen und gesellschaftlich völlig | |
unbeholfenen Grindel. | |
Es ist eine Außendarstellung, die dem DFB nach den jüngsten PR-Katastrophen | |
nicht mehr zuzutrauen war. Der nette, alte Fritz kehrt die Scherben auf und | |
schwierigen Themen nicht den Rücken zu. Aber was will er eigentlich? | |
## Equal Pay bleibt außen vor | |
Das Problem mit Kellers Text ist, dass er vor allem eine Luftblase ist. | |
Fritz Keller hat die Dynamiken erkannt, die von allen Seiten am alten DFB | |
zerren, und auch die nahezu Unmöglichkeit, angemessen darauf zu reagieren. | |
Seine „Wir sind alle überfordert“-Attitüde schützt ihn trefflich davor, | |
konkrete Veränderungen ankündigen zu müssen. Ein Grundkonsens bleibt | |
nebulös. Denn dass der DFB nicht mehr in Ländern antritt, die Frauen nicht | |
ins Stadion lassen, ist ja bloß zynisches Marketing: Es betrifft nur Iran | |
und Saudi-Arabien, und wann noch ist Deutschland zuletzt in Saudi-Arabien | |
angetreten? | |
Genau, nie. Länder boykottieren, deren Stadien von Arbeitssklaven errichtet | |
werden, so etwas wäre Haltung. Eine Haltung ohne Schmerz und Risiken aber | |
ist eben auch sehr billig. Zu den wirklich drängenden Gleichheitsthemen, | |
Equal Pay für Nationalteams etwa, schweigt Keller wohlweislich. Schon sein | |
Vorstoß zur Frauenförderung über Lizenzvorschriften wurde offenbar intern | |
zurückgepfiffen. Statt Aufbruch verteilt der Grüßonkel warme Worte. | |
Warme Worte sind nun auch nicht das Schlechteste, vor allem in der | |
Can-Gündoğan-Erdoğan-Debatte. Es sei „zu viel verlangt, dass ausgerechnet | |
zwei Fußballnationalspieler mit türkischen Wurzeln die perfekte Lösung | |
präsentieren sollen, die ein ganzes Land nicht findet“. Das ist ruhig und | |
gut formuliert. Konterkariert wird es allerdings von Kellers bizarrer Idee, | |
es müsse „einer unverhältnismäßigen Politisierung von Mannschaften Einhalt | |
geboten werden“. | |
Wie das? Die Sehnsucht nach politischem Maulkorb offenbart die | |
Hilflosigkeit des DFB. Debatten werden sich im hypermedialen Zeitalter kaum | |
verhindern lassen. Je mächtiger der Fußball wird, desto mehr wächst die | |
politische Einflussnahme auf ihn; und durch die sozialen Netzwerke sind | |
Spieler keine frommen Teamkameraden mehr, sondern Influencer, deren | |
Äußerungen sich der Kontrolle des DFB entziehen. Fritz Keller wird noch | |
mehr Stürme erleben mit seinen Schäfchen. So richtige Antworten hat er dazu | |
nicht parat. Immerhin, in einer Blütezeit testosterongesteuerter Narzissten | |
hat er den Mut, zuzugeben, dass er überfordert ist. | |
8 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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