Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- UN-Verhandlungen über Schiedsgerichte: Großer Reformbedarf
> Ab Montag geht es in Wien um die Zukunft der Investitionsschutzklagen.
> Damit können Unternehmen von Staaten Schadenersatz eintreiben.
Bild: Das Kernkraftwerk Krümmel an der Elbe
Berlin taz | Bei den [1][Stopp-TTIP-Protesten] haben die Klageprivilegien
für Unternehmen Hunderttausende mobilisiert, jetzt wird über eine Reform
der Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) verhandelt. Ab Montag tagt in
Wien die UN-Kommission für internationales Handelsrecht (UNCITRAL). Auf der
Tagesordnung steht neben der Reform der Schiedsgerichte auch der Vorschlag,
einen internationalen Gerichtshof für Investitionsstreitigkeiten
einzurichten.
Konzerne können Staaten vor Schiedsgerichten verklagen, wenn sie ihre
Interessen durch politische Entscheidungen beeinträchtigt sehen. Eines der
bekanntesten Verfahren ist das von Vattenfall gegen die Bundesrepublik
wegen des Atomausstiegs. Immer wieder werden Staaten etwa von
Tabakkonzernen und anderen Unternehmen verklagt, wenn sie neue Regeln zum
Gesundheits- oder Umweltschutz verabschieden.
Schiedsgerichte sind nach Angaben der EU-Kommission in rund 3.200 geltenden
Abkommen verankert. Auch das transatlantische Handelsabkommen zwischen den
USA und der EU hätte eine solche Klausel vorgesehen. Beim
europäisch-kanadischen Freihandelsvertrag Ceta wurde der Teil zur
Schiedsgerichtsbarkeit abgespalten, damit der Rest vorläufig in Kraft
treten kann. Ob alle EU-Staaten die Ceta-Schiedsgerichte ratifizieren
werden, ist unklar.
KritikerInnen betrachten die möglichen Investorenklagen als Paralleljustiz,
die nur Konzernen zur Verfügung steht und nicht Staaten oder Verbrauchern.
„Statt die Sonderrechte von großen Konzernen weiter auszuweiten, braucht es
endlich verbindliche internationale Regeln zum Schutz vor
Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in globalen Lieferketten“,
fordert Lia Polotzek vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND). Für Samstag rufen der BUND, Attac, das Netzwerk für Gerechten
Welthandel und weitere Organisationen zum [2][Aktionstag „Menschenrechte
schützen – Konzernklagen stoppen!“] auf. In Berlin vor dem KanzlerInamt,
aber auch in Frankfurt, Köln, Hamburg, München und anderen Städten sind
Aktionen geplant.
## Mehr Transparenz nötig
Befürworter sagen, Schiedsgerichte seien ein wichtiges Instrument, um im
Streitfall schnelle Entscheidungen zu erreichen. „Staaten unterwerfen sich
diesen Regeln, weil sie Anreize für ausländisches Kapital setzen wollen“,
sagt der Marburger Schiedsrechtsexperten und Juristen Reinmar Wolff. Komme
es nach einer Investition etwa zu einer staatlichen Enteignung oder
Übergriffen, sei es nicht sinnvoll, wenn Unternehmen vor nationale Gerichte
ziehen müssten. Davon profitieren nicht nur Konzerne, sagt er. In
Turkmenistan etwa hat das Militär die Hühnerfarm eines deutschen
Geschäftsmanns geplündert, weil er das Verteidigungsministerium nicht an
der Firma beteiligen wollte. Ein Investitionsschiedsgericht sprach dem Mann
eine Entschädigung zu.
Auch Wolff sieht Reformbedarf. „Das Hauptproblem ist die mangelnde
Transparenz“, sagt er. Das könne relativ leicht gelöst werden, indem
Staaten der [3][Mauritiuskonvention] beitreten, die klare Transparenzregeln
vorsieht. Das haben bislang allerdings erst Gambia, Kamerun, Kanada,
Mauritius und die Schweiz getan.
Um Fragen der Transparenz wird es auch gehen, wenn ab Montag in Wien
VertreterInnen aus 60 Staaten, die in die UN-Handelskommission gewählt
wurden, über die Reform beraten. Die EU schlägt die Einrichtung eines
multilateralen Investitionsgerichtshofs mit einer Berufungsinstanz vor.
Dieser könne „von allen interessierten Ländern in Anspruch genommen werden
und würde in Streitigkeiten im Zusammenhang mit künftigen und bestehenden
Investitionsabkommen entscheiden“, teilt die EU mit.
## Langwierige Verhandlungen
Schiedsrechtsexperte Wolff geht davon aus, dass durch einen Gerichtshof
Verfahren sehr aufwändig würden. „Denn damit würden drei Instanzen
entstehen – die Entscheidung, die Berufung und möglicherweise die
Rücküberweisung an die erste Instanz“, sagt er. Heute fällen die
Investitionsschiedsgerichte eine einzige Entscheidung – und die ist
verbindlich.
Gegen den Vorschlag der EU sind unter anderem die USA, Russland und Japan.
Sie wollen mehr Gestaltungsmöglichkeiten für einzelne Staaten. Gleichzeitig
stellt etwa Südafrika Klagemöglichkeiten von Investoren an sich infrage und
plädiert für eine sozialökologische Reform der zwischenstaatlichen
Handelsbeziehungen. Die Verhandlungen werden lange dauern. „Die UNCITRAL
ist sehr konsensorientiert“, sagt Jurist Wolff. „Bislang hat es nur eine
Handvoll Entscheidungen ohne 100 Prozent Zustimmung gegeben.“
14 Oct 2019
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-TTIP/!t5295622
[2] https://www.gerechter-welthandel.org/aktionstag2019/
[3] https://uncitral.un.org/en/texts/arbitration/conventions/transparency/status
## AUTOREN
Anja Krüger
## TAGS
ISDS
Freihandel
Schwerpunkt TTIP
Investitionsschutz
Bundesverfassungsgericht
Uno
ISDS
CETA
Freihandelsabkommen
## ARTIKEL ZUM THEMA
BVerfG zu Freihandelsabkommen Ceta: Blankoscheck für die Regierung?
Die Linksfraktion hat 2016 Verfassungsklage gegen die Zustimmung des
Bundestags zu Ceta erhoben. Am Dienstag wird in Karlsruhe darüber
verhandelt.
Bessere Normen für Unternehmen: Deutschland bremst Menschenrechte
Die UNO will, dass Unternehmen Menschenrechte einhalten. Weil sich die
Bundesregierung nicht beteiligen will, werfen ihr NGOs Blockade vor.
Expertin über Schiedsgerichtsreform: „Keine Privilegien für Konzerne“
Die EU will einen Gerichtshof für Investorenklagen. Das würde die
Klageprivilegien der Konzerne festigen, sagt Pia Eberhardt von der NGO CEO.
Gutachten zum Investitionsschutz: EuGH winkt Ceta durch
Der Europäische Gerichtshof hält Investitionsschutz im Handelsabkommen mit
Kanada mit dem EU-Recht für vereinbar. Ceta-Kritiker sind enttäuscht.
Wirtschaftspakt mit Singapur: EU-Parlament paukt Pakt durch
Die Zölle zwischen der EU und Singapur sollen wegfallen. KritikerInnen
planen eine Verfassungsbeschwerde gegen das Freihandelsabkommen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.