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# taz.de -- Mietenwatch-Studie: Berlin, Stadt der Reichen
> Mietenwatch hat fast 80.000 Wohnungsangebote ausgewertet. Vor allem in
> den Innenstadtbezirken sind die Mieten für die Mehrheit nicht mehr
> leistbar.
Bild: Schön ist die Stadt. Man muss sie sich nur leisten können
Berlin taz | Berlin ist unbezahlbar. Wohnungssuchende sind quer durch die
Stadt mit der vollen Härte des Marktes konfrontiert, leistbare Wohnungen
gibt es kaum. Das ist das Ergebnis der bislang umfassendsten Untersuchung
von Neu- und Wiedervermietungspreisen in Berlin, die unter dem Namen
[1][Mietenwatch] ab Dienstag veröffentlicht wird. Die Befunde sind mit dem
Begriff Mietenwahnsinn treffend beschrieben: das Schlagwort der
Mieterbewegung als realistische Zustandsbeschreibung.
Durch Privatisierungen, Spekulation und eine Nachfrage, die das Angebot
übersteigt, sind die Immobilienpreise in Berlin in den vergangenen Jahren
stärker gestiegen als irgendwo sonst auf der Welt. Zu spüren bekommt das
vor allem, wer eine Wohnung neu anmieten will. Besonders innerhalb des
S-Bahn-Rings haben Normalverdiener kaum noch eine Chance.
Rückblende: Frühjahr 2018, ein Jahr vor dem Start des Volksbegehrens
[2][Deutsche Wohnen und Co. enteignen]. Bei einem Kampagnentreffen sprechen
AktivistInnen über die Idee der Vergesellschaftung. Doch welche Unternehmen
haben mehr als 3.000 Wohnungen und wo sind ihre Bestände? Das weiß keiner
der Anwesenden so genau. Eigentümer können sich in Deutschland gut
verstecken.
Tilman Miraß, Aktivist des [3][Peng-Kollektivs], hat an jenem Abend eine
Idee: Er will die Bestände der Wohnungskonzerne über ihre Wohnungsangebote
erfassen. Ein Programm, um öffentlich zugängliche Inserate auszuwerten, hat
er schnell geschrieben. Im April 2018 geht es los; 18 Monate später sind
78.947 Wohnungsinserate in die Ergebnisse eingeflossen.
Wo Deutsche Wohnen, Akelius oder die Degewo ihre Wohnungen anbieten, lässt
sich anhand der Daten lokalisieren. Doch aus der ursprünglichen Idee ist
viel mehr geworden. Mit finanzieller Förderung des Forschungsministeriums
in Höhe von 47.500 Euro konnte Miraß sein Projekt ausweiten. Mietenwatch
bietet einen ebenso umfassenden wie kritischen Überblick über den aktuellen
Wohnungsmarkt der Stadt.
## Mieten zu Höchstpreisen
Die Befunde sind alarmierend: Die untersuchten Angebotsmieten haben sich
von den Bestandsmieten entkoppelt. Innerhalb des S-Bahn-Rings liegen die
Neuvermietungspreise 6,51 Euro pro qm über den maximalen ortsüblichen
Bestandsmieten – das sind ganze 65 Prozent mehr. Die Differenz zu
durchschnittlich ausgestatteten Wohnungen, für die nicht die Oberwerte des
Mietspiegels gelten, ist noch höher. Außerhalb des S-Bahn-Rings beträgt der
Aufschlag auf die bestehenden Mietpreise mit 3,51 Euro 45 Prozent. In
Friedrichshain-Kreuzberg schlagen Vermieter am meisten drauf, am wenigsten
in Lichtenberg.
Was das heißt, lässt sich an einer Beispielrechnung zeigen: Bislang kostet
eine 60 qm große Altbauwohnung in einfacher Wohnlage etwa in Moabit laut
[4][Mietspiegel] im Höchstfall 10 Euro pro Quadratmeter – nettokalt, also
ohne Heiz- und Betriebskosten. Viele liegen weit darunter. Der von
Mietenwatch ermittelte Aufschlag bedeutet, dass freie Wohnungen für 16,51
Euro pro qm angeboten werden. Der neue Mieter zahlt dann nicht mehr 600
Euro wie der Vormieter, sondern 960,60 Euro.
Leisten können sich das immer weniger Menschen, das gilt zunehmend auch für
die Mittelschicht. Als leistbar gilt, maximal 30 Prozent des
Nettoeinkommens für die Miete aufzuwenden. Ein Ein-Personen-Haushalt hat in
Berlin netto durchschnittlich 1.375 Euro monatlich zur Verfügung, leistbar
wäre demnach eine Miete von 412,50 Euro. Berlinweit liegen nur 4,4 Prozent
der Wohnungsangebote unter dieser Schwelle, innerhalb des Rings sogar nur 1
Prozent.
Etwas besser haben es Haushalte mit zwei Personen. Immerhin noch 10 Prozent
innerhalb und 46 Prozent außerhalb des Rings sind für sie bezahlbar. Wer
bereit ist, nach Marzahn oder Spandau zu ziehen, kann also noch fündig
werden. Dramatisch ist die Lage für 5-Personen-Haushalte: Für sie gibt es
in der Innenstadt überhaupt keine leistbaren Wohnungen mehr.
## Mieten oder leben?
Schon jetzt zahlt ein Fünftel der BerlinerInnen mindestens 30 Prozent des
Einkommens für die Miete. Die Folgen: Die Zahl der Umzüge sinkt seit
Jahren, viele MieterInnen rücken in ihren Wohnungen zusammen. Wer umziehen
muss und nicht auf der Straße landen will, muss bereit sein, in der ganzen
Stadt zu suchen und sich in anderen Bereichen finanziell einzuschränken.
Die [5][Mietpreisbremse], die seit 2015 drastische Mietsteigerungen bei
Wiedervermietungen verhindern soll, greift nicht. 92,5 Prozent der
Wohnungsangebote liegen mehr als die erlaubten 10 Prozent über der
maximalen ortsüblichen Vergleichsmiete. Legt man eine durchschnittliche
Wohnausstattung und damit den mittleren Mietspiegelwert zugrunde, sind es
sogar mehr als 99 Prozent. Rechtlich zulässig ist eine Überschreitung nur
nach umfassender Sanierung oder wenn die Miete schon vorher höher lag.
Angesichts der Zahlen sind die Ergebnisse aber eindeutig: Das Gesetz, das
die Bundesregierung als ihren größten Beitrag im Kampf gegen steigende
Mieten anpreist, ist gescheitert. Eine Überraschung ist das nicht. Weder
sind Vermieter dazu verpflichtet, in ihren Inseraten die Vormiete
offenzulegen, noch pochen Wohnungssuchende in ihrer Notsituation auf die
Einhaltung des Gesetzes und zahlen stattdessen die überhöhten Preise.
## Die Neubau-Lüge
Neubauten, die laut Theorie die Preise dämpfen sollten, tragen im
besonderen Maße zu der Preisspirale nach oben bei. 6.000 Angebote für
Neubauwohnungen hat Mietenwatch ausgewertet, unter 15 Euro pro Quadratmeter
ist berlinweit quasi nichts zu finden. Die Vermieter erklären die Preise
mit dem enormen Anstieg der Baukosten und den Spekulationspreisen auf Grund
und Boden. Fatal bleibt, dass am Bedarf nach günstigen Wohnraum
vorbeigebaut wird. Mietenwatch spricht von der „Bauen, bauen, bauen-Lüge“,
denn: „Neubau ist für einen Großteil der Bevölkerung nicht leistbar.“
Berlin ist für viele Wohnungssuchende zur No-go-Area geworden.
Damit einher geht auch ein immer größerer Druck für jene, die schon – oder
noch – eine Wohnung haben. Mietenwatch hat den Verdrängungsdruck für 477
Kieze berechnet, der sich aus dem Verhältnis von Einkommen der
BewohnerInnen und Neuvermietungspreisen ergibt. [6][Der nächste
Gentrifizierungs-Hotspot ist demnach vor allem der Wedding]. Hier ist es
für Vermieter besonders attraktiv, Altmieter loszuwerden und deren Wohnung
danach teurer wiederzuvermieten.
Die Dramatik der Lage kann man auch anhand der leistbaren Wohnungsgröße
verdeutlichen. Für 30 Prozent des Durchschnittseinkommens kann sich eine
Person in Mitte gerade einmal 19,3 qm Wohnfläche leisten, in
Marzahn-Hellersdorf sind es immerhin noch 31,5 qm. Besonders katastrophal
ist das Angebot für all jene, die auf ALG II angewiesen sind. Gibt es
überhaupt Wohnungen zu Preisen, die vom Amt als angemessen übernommen
werden, befinden die sich am ehesten in Marzahn oder Buch. Ist Berlin,
zumindest im Zentrum, also schon eine Stadt der Reichen?
Korrekt muss man wohl sagen: Berlin ist eine Stadt, in der es Wohnungen vor
allem für Gutverdienende gibt. Wer die Wohnung wechselt oder neu in die
Stadt kommt, braucht Geld. Ungebremst wäre eine Entwicklung in Richtung
London oder Paris, in deren Innenstädten fast nur noch Gut- und
Bestverdienende wohnen, unausweichlich.
Die Hoffnung, der Entwicklung Einhalt zu gebieten, heißt [7][Mietendeckel].
Noch streitet die rot-rot-grüne Koalition über die Ausgestaltung,
insbesondere über die Möglichkeit von Mietabsenkungen. Angesichts der
steigenden Zahl jener, die schon jetzt mehr als 30 Prozent ihres Einkommens
aufwenden müssen, liegt die Notwendigkeit dafür auf der Hand.
8 Oct 2019
## LINKS
[1] https://mietenwatch.de/
[2] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!t5562213/
[3] /!t5012098/
[4] /Berliner-Mietspiegel-vorgestellt/!5594733/
[5] /Mietpreisbremse/!t5014932/
[6] /Mietenwatch-Gentrifizierungskiez/!5628436/
[7] /Mietendeckel/!t5567229/
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
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