Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Whistleblower Daniel Ellsberg: „Sprich mit den Medien“
> Wieder bringt ein Hinweisgeber einen US-Präsidenten in Bedrängnis. Was
> sagt Daniel Ellsberg dazu, quasi der Vater heutiger Whistleblower?
Bild: US-Präsident Donald Trump im Kreuzverhör
[1][Ein wütender US-Präsident], ein wild um sich twitternder Donald Trump –
ein US-Geheimdienstmitarbeiter bringt den Mann im Weißen Haus in
Bedrängnis, die Demokraten sind dabei, ein Amtsenthebungsverfahren
einzuleiten.
Der Grund: Der Whistleblower hat sich beim Generalinspektor der
Geheimdienste darüber beschwert, dass Trump den ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenski [2][telefonisch gedrängt haben soll], Ermittlungen gegen
den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden und dessen Sohn
aufzunehmen. Biden würde das schwächen, Trump hätte einen Vorteil im
Wahlkampf.
Daniel Ellsberg, 88, war [3][selbst ein Whistleblower]. Als hochrangiger
Mitarbeiter im US-Verteidigungsministerium brachte er 1971 die Pentagon
Papers an die Öffentlichkeit. 7.000 Seiten, die die Lügen- und
Desinformationskampagne der US-Regierung vor und während des Vietnamkriegs
enthüllten.
Ellsberg wurde als erster Whistleblower in den USA wegen Spionage
angeklagt. Ihm drohten 115 Jahre Gefängnis. Erst als herauskam, dass
Mitarbeiter von Präsident Nixon in die Praxis von Ellsbergs Psychiater
eingebrochen waren, musste das Verfahren eingestellt werden.
taz: Wieder steht ein Whistleblower im Zentrum der Ereignisse in den USA.
Fühlen Sie Sich ihm verbunden?
Daniel Ellsberg: Für mich sind Whistleblower Helden. Nachdem ich die
Pentagon-Papiere enthüllt hatte, musste ich 39 Jahre auf die nächste große
Enthüllung warten. Dann machte Chelsea Manning Hunderttausende Dokumente
über den Irakkrieg öffentlich, drei Jahre später brachte Ed Snowden Licht
ins Dunkel der verfassungsfeindlichen Überwachungspraktiken vor allem
US-amerikanischer Geheimdienste. Die Person jetzt hat ein einziges Dokument
vorgelegt – aber das allein identifiziert den Präsidenten in Echtzeit,
während er eine Straftat begeht. Wir wissen sogar, wer anwesend war oder
zuhörte, als der Präsident die Straftat beging.
Machen sich diese Leute mit strafbar?
Jeder Zuhörer, der gemerkt hat, dass da eine Straftat stattfand, und nichts
dagegen unternommen hat, ist ein Komplize. Bislang gibt es keine Hinweise
darauf, dass jemand von ihnen versucht hat, den Anruf zu unterbrechen oder
die Wahrheit vor den Behörden zu enthüllen. Das wäre in diesem Fall der
US-Kongress, denn das Justizministerium ist vermutlich nicht besonders
effizient. Denn Justizminister William Barr scheint selbst ein Komplize zu
sein.
Welche Unterschiede im Vorgehen gibt es zwischen Ihnen und dem aktuellen
Whistleblower?
Ich war selbst Zeuge, als Präsident Lyndon B. Johnson im August 1964 die
Öffentlichkeit über die Angriffe auf zwei US-Schnellboote im Golf von
Tonkin belog. Er behauptete, es wären Nordvietnamesen gewesen, um so den
offiziellen Kriegseintritt der USA zu legitimieren
Ist es illegal, wenn ein Präsident die Öffentlichkeit belügt?
Trump hat das Tausende Male mit seinen Tweets getan und ich glaube nicht,
dass ein Gesetz das verbietet. Aber Lügen unter Eid vor dem Kongress sind
illegal. Genau das haben Johnsons Mitarbeiter vor dem US-Kongress getan,
als sie den Angriff als vietnamesische Provokationen bezeichneten, obwohl
er komplett von Amerikanern gemanagt worden war. Ich war einer von
vielleicht tausend Leuten, die wussten, dass das Lügen vor dem Kongress
waren. Keiner von uns hat das enthüllt. Damit haben wir alle unseren Eid
gebrochen, die Verfassung zu verteidigen.
Der Präsident sagt, der jetzige Whistleblower habe lediglich Informationen
aus zweiter Hand.
Bislang hat keiner der Zuhörer bestritten, dass der Anruf so stattgefunden
hat. Der Whistleblower hat mindestens eine Person identifiziert. Inzwischen
hat auch Außenminister Mike Pompeo zugegeben, dass er dabei war. Und ich
bin sicher, dass der Whistleblower auch die anderen benennen würde, wenn er
vom Kongress gefragt würde. Der Kongress könnte dann
Erste-Hand-Informationen bei ihnen einholen.
Anders ist auch, dass dieser Whistleblower den Dienstweg gegangen ist.
Er hat eine Untersuchung eingeleitet, indem er sich an den
Generalinspekteur für die Geheimdienste gewandt hat. Er – oder sie –
riskiert daher im Augenblick keine Verfolgung. Denn der Generalinspektor
hat bestätigt, dass die Person alles richtig gemacht hat.
Was passiert, wenn Trump verhindert, dass der Whistleblower vor dem
Kongress aussagt?
In dem Fall würde die Person vor einer ethischen Herausforderung stehen –
so wie ich, Manning und Snowden auch. Der Whistleblower müsste die eigene
Verfolgung dagegen abwägen, ob er dem Kongress Informationen vorenthalten
kann. Wir haben keinen Whistleblowerschutz für jemanden, der eine
Geheiminformation an eine Person ohne Top-Secret-Freigabe weitergibt, zum
Beispiel an Journalisten.
Was würden Sie tun?
Ich würde einen Präsidenten, der das Recht bricht und der sich selbst
schützt, indem er das Geheimhaltungssystem nutzt, nicht unterstützen. Aber
ich würde die Information nicht nur dem Kongress geben. Ich selbst habe
eineinhalb Jahre verloren, weil ich mich damals auf Senator Fulbright
verlassen habe, der mir zugesagt hatte, er würde Hearings über die Pentagon
Papers abhalten, das aber wegen Druck aus dem Weißen Haus nicht getan hat.
Ich würde sagen: Warte nicht lange. Sprich mit den Medien.
Alles riskieren, um es öffentlich zu machen?
Wir haben hier eine Straftat gegen unsere Verfassung. Einen Versuch, die
Macht der Regierung zu nutzen, um eine künftige Wahl mithilfe einer
ausländischen Regierung zu eigenen Gunsten zu manipulieren.
Wie erklären Sie, dass der Präsident überhaupt einen solchen Anruf bei dem
ukrainischen Präsidenten getätigt hat?
Gewöhnlich schützen Mitarbeiter den Präsidenten davor, illegale Dinge zu
tun. Sie lassen das andere erledigen. Dann können sie plausibel bestreiten,
dass es der Präsident war. Für mich bedeutet es, dass es diesem Präsidenten
egal ist, ob er legal handelt oder nicht. Er hat kein Gespür dafür, dass
das Gesetz auch für ihn gilt.
Warum hat ihn niemand abgehalten?
Trumps ehemalige Berater haben gesagt: Tu es nicht, sonst trete ich zurück.
Das hat Trump davor geschützt, schon früher ein Amtsenthebungsverfahren zu
bekommen. Jetzt hat Trump Leute wie Justizminister Barr, die alles tun, was
er verlangt.
Ist es politisch klug, etwas über ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl
eine Amtsenthebung einzuleiten?
Entweder man akzeptiert die Idee, dass der Präsident über dem Gesetz steht.
Oder man unternimmt Anstrengungen, um gegen ihn vorzugehen, wenn es
aussieht, als hätte er das Gesetz gebrochen.
Das Amtsenthebungsverfahren wird zu politischem Theater und
Schlammschlachten auf dem Höhepunkt des Wahlkampfs führen. Trump ist ein
Meister auf diesen Gebieten.
Wer diesen Präsidenten wegen seiner Fähigkeiten als Lügner und Demagoge zu
beeindruckend findet, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, wenn er das Recht
bricht, akzeptiert eine Autokratie. Auch im Jahr 1776, bei unserer
Gründung, waren viele willens, mit einem König zu leben. Aber bislang
konnte sich die Minderheit, die keinen absoluten Herrscher will,
durchsetzen.
Wenn im demokratischen Repräsentantenhaus die Amtsenthebung durchkommt,
wird der republikanische Senat Trump wohl freisprechen. Das könnte im
Endspurt des Wahlkampfs passieren und Trump zur Wiederwahl verhelfen.
Die Chance ist groß, dass das Amtsenthebungsverfahren im Repräsentantenhaus
durchkommt. Zugleich ist fast sicher, dass Trump im Senat frei gesprochen
werden wird. Ich hoffe, dass das Verfahren nicht nur die Republikaner,
sondern auch die Demokraten an die Urnen bringen wird. Wir wissen nicht, ob
das Verfahren Trump nutzt oder schadet. Aber es gibt noch andere
Erwägungen.
Welche?
Wir sollten unseren eigenen Vorhersagen nicht allzu sehr vertrauen. Denken
Sie an 2016 – da haben wir uns fast alle getäuscht. Vor einer Woche war die
Mehrheit der Amerikaner noch gegen ein Amtsenthebungsverfahren. Heute ist
das anders. Und wenn wir nichts unternehmen, würden sich die Leute
angewidert von den Demokraten abwenden. Auch das würde Trump helfen.
Sollte das Amtsenthebungsverfahren zum Erfolg führen, hätte eine anonyme
Person aus dem Geheimdienst die Demokratie in den USA gerettet.
Übertreiben Sie die Anonymität nicht. Der Generalinspektor der
Geheimdienste kennt die Person. Sie ist auch bereit, vor dem Kongress
auszusagen. Dabei wird fast sicher ihre Identität bekannt.
Dennoch kommt die Information aus den Geheimdiensten. Was sagt es über die
amerikanische Demokratie, wenn ein Whistleblower aus der CIA nötig ist, um
erstmals ernsthaft zu versuchen, Trump loszuwerden?
Die Person versucht nicht, Trump loszuwerden. Sondern schlägt vor, dass ihm
der Prozess gemacht wird. Entweder vor Gericht. Oder im Kongress. Auch
Donald Trump verdient einen fairen Prozess. Ich kann hier nichts erkennen,
was auch nur im Entferntesten fragwürdig wäre. Diese Person kommt aus dem
Geheimdienst. Ich kam aus dem Verteidigungsministerium. Alle Behörden
lügen. Zum Glück gibt es in einer repräsentativen Demokratie Wege, um das
herauszubringen. Nur sind die meisten Menschen nicht bereit, ihre Karriere,
ihre Familie, die Bildung ihrer Kinder, und alles aufs Spiel zu setzen, um
die Gesellschaft und die Behörden zu informieren.
5 Oct 2019
## LINKS
[1] /Donald-Trump-flippt-aus/!5628031
[2] /Amtsenthebungsverfahren-gegen-Trump/!5626389
[3] /Whistleblower-Ellsberg-zu-Julian-Assange/!5584961
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Impeachment
Whistleblower
Donald Trump
Whistleblower
Chelsea Manning
Julian Assange
Nancy Pelosi
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
## ARTIKEL ZUM THEMA
Enthüllungsbuch von Trumps Nichte: Es ist die Wahrheit, Dummerchen
Mary Trump hat ein Buch über ihren Onkel geschrieben: den US-Präsidenten.
Das kommt tiefenpsychologisch daher – und trifft nicht den Punkt.
Chelsea Manning ein Jahr in Beugehaft: Lasst. Sie. Frei.
Die Whistleblowerin Chelsea Manning hat erneut versucht, sich das Leben zu
nehmen. Ob ihre Beugehaft beendet wird, entscheidet am Freitag ein Richter.
Verfahren gegen Julian Assange: Assange drohen 175 Jahre Haft
Das Auslieferungsverfahren gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange beginnt.
Unterstützer*innen sagen, die Vorwürfe seien politisch motiviert.
Impeachmentverfahren in den USA: Nervenkrieg um Trump
Im zähen Ringen um ein Amtsenthebungsverfahren ist der Faktor Zeit
entscheidend: In 13 Monaten sind US-Wahlen.
Impeachment-Verfahren gegen Trump: Erste Anklage in Ukraine-Affäre
Zwei Männer wurden wegen Wahlkampfspenden an einen Trump-Unterstützer
festgenommen. Sie wollten sich mit einem One-Way-Ticket ins Ausland
absetzen.
Joe Biden im Visier des US-Präsidenten: Trump will, dass China ermittelt
Erst bat der US-Präsident die Ukraine um Ermittlungen gegen die Bidens, nun
fordert er das Gleiche von Peking. Die Demokraten sind entrüstet.
Donald Trump flippt aus: Ein stabiles Genie
Donald Trumps Pressegespräche waren schon immer von erratischen Ausbrüchen
geprägt. Eine Konferenz mit dem finnischen Präsidenten sprengt selbst das.
Trump zum Impeachment: Er wittert einen „Putsch“
US-Präsident Trump bezeichnet das gegen ihn angestrengte
Amtsenthebungsverfahren als „Wahlbetrug“. Auch Außenminister Pompeo gerät
unter Druck.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.