# taz.de -- Anklage im Mordfall Lübcke: Heikle Erkenntnisse | |
> Der Bundesgerichtshof hält das verworfene Geständnis des Tatverdächtigen | |
> weiter für gültig – und sieht auch einen Mitbeschuldigten schwer | |
> belastet. | |
Bild: Auch die Zivilgesellschaft erhebt Anklage – auf einer Demonstration in … | |
BERLIN taz | Seit dem 15. Juni sitzt Stephan Ernst in Untersuchungshaft. | |
Der Vorwurf: Der Rechtsextremist soll zwei Wochen zuvor den Kasseler | |
Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen haben. Inzwischen läuft | |
alles auf eine Anklage hinaus. Denn der Bundesgerichtshof hält das | |
verworfene Geständnis von Ernst weiter für gültig: Es gebe „kein Anlass, an | |
dem Wahrheitsgehalt der Einlassung zu zweifeln“, heißt es in einem | |
aktuellen Beschluss. | |
Ernst hatte nach seiner Festnahme die Tat zunächst eingeräumt. Er habe | |
Lübcke im Herbst 2015 auf einer Bürgerversammlung in Kassel-Lohfelden, nahe | |
seinem Wohnort, erlebt, als es um die Unterbringung von Geflüchteten ging. | |
Der CDU-Politiker hatte damals für die Aufnahme der Aslysuchenden geworben | |
und zu deren Gegnern gesagt, sie könnten „jederzeit dieses Land verlassen“. | |
Dies, so Ernst zu den Ermittlern, habe ihn „richtig emotional aufgeladen“. | |
Er habe „einen Hass bekommen“ und sich „da reingesteigert“. Nachdem er | |
bereits früh das Haus von Lübcke ausgekundschaftet habe, habe er ihn am 1. | |
Juni dieses Jahres schließlich mit einem Kopfschuss getötet. | |
Dieses Geständnis [1][widerrief Ernst] allerdings nach kurzer Zeit wieder. | |
Warum, war bisher nicht bekannt. In dem Beschluss des Bundesgerichtshofs | |
(BGH) aber heißt es nun, Ernst habe sich bei der Vernehmung unter Druck | |
gesetzt gefühlt. Auch habe er angeblich unter dem Einfluss von | |
Beruhigungsmitteln gestanden. Die BGH-Richter folgen den Einwänden nicht. | |
Die Aussage mit dem Druck habe Ernst selbst später relativiert. Und zu den | |
Beruhigungsmitteln habe die Ärztin seiner JVA, mit Blick auf den Zeitpunkt | |
der Verabreichung und der eingesetzten Dosis, „eine Beeinträchtigung der | |
Vernehmungsfähigkeit ausgeschlossen“. | |
Das ursprünglich Geständnis sei somit weiterhin glaubwürdig, resümieren die | |
BGH-Richter. Zudem verweisen sie auf eine DNA-Spur von Ernst, die an der | |
Kleidung von Lübcke gefunden wurde und den Tatverdacht ebenso erhärte. Der | |
benannte Beschluss beschäftigt sich eigentlich mit der Haftbeschwerde eines | |
Mitbeschuldigten: des Kasseler Markus H., ebenfalls ein Rechtsextremist. Er | |
soll Ernst die [2][Tatwaffe] vermittelt haben, mit der dieser Lübcke | |
erschoss. Und auch Markus H. wird durch die Ermittlungsergebnisse | |
inzwischen schwer belastet. | |
## „Geschäftsbeziehung“ mit Waffen | |
Schon vor Jahren habe [3][Markus H. Stephan Ernst kennengelernt], schreibt | |
der BGH. 2013 seien sich beide wieder am Arbeitsplatz begegnet, bei einer | |
Kasseler Bahntechnikfirma. Zwischen den Männern entwickelte sich laut | |
Ermittlern eine „enge Freundschaft“, geprägt von der „beiderseitigen | |
rechtsnationalen Gesinnung“, die „immer radikaler“ wurde. Auf Initiative | |
von Markus H. sei Ernst auch dessen Schützenverein eingetreten. Beide | |
hätten damals wiederholt über eine Bewaffnung gesprochen, weil sie | |
„bürgerkriegsähnliche Zustände“ befürchteten – ausgelöst durch zugew… | |
Migranten. | |
Markus H. habe Ernst schließlich eine Schrotflinte verkauft und mit ihm | |
Schießübungen in Wäldern und auf dem Schützenvereinsgelände durchgeführt. | |
Anfang 2015 habe H. ihn zudem an einen weiteren Beschuldigten – Elmar J. | |
aus Nordrhein-Westfalen – vermittelt, mit dem Ernst fortan eine | |
„Geschäftsbeziehung“ mit Waffen pflegte und dort auch seine spätere | |
Tatwaffe, einen Trommelrevolver, Kaliber 9 mm, kaufte. | |
Im Oktober 2015 seien Stephan Ernst und Markus H. dann gemeinsam zu der | |
Bürgerversammlung von Walter Lübcke gegangen. Beide seien über den | |
CDU-Politiker „in hohen Maße verärgert“ gewesen, so die BGH-Richter. Mark… | |
H. habe den Auftritt auch gefilmt und die Passage mit dem | |
„Auswandern“-Ausspruch online gestellt – sie kursierte darauf breit in | |
rechten Kreisen. Ernst wiederum habe wenig später die Adresse Lübckes | |
recherchiert und H. mitgeteilt: „Vielleicht könne man da mal was machen.“ | |
Beide hätten danach weiter im Schützenverein Schießübungen durchgeführt, | |
vor allem mit Waffen des Kalibers 9 mm, so die Ermittler. Auch hätten die | |
Männer zusammen rechte Demonstrationen besucht. Beides sind heikle | |
Erkenntnisse: Denn die Sicherheitsbehörden hatten bisher mitgeteilt, Ernst | |
habe sich seit 2009 nicht mehr offen politisch betätigt und sei deshalb von | |
ihrem Radar verschwunden. Und auch der Schützenverein beteuerte bisher, | |
Ernst sei dort nur als Bogenschütze tätig gewesen – ohne Zugang zu | |
Schusswaffen. | |
Die Ermittler werfen Markus H. nun vor, Stephan Ernst durch die | |
Schießtrainings für dessen Mordplan „Zuspruch und Sicherheit“ vermittelt … | |
haben, ihn darin „bestärkt“ zu haben. Auch wenn Ernst den Plan nicht klar | |
ausgesprochen habe, sei es zu „Andeutungen“ gekommen. Vor allem die | |
Silvesternacht 2015 und das islamistische Lkw-Attentat in Nizza im Juli | |
2016 seien für Ernst weitere „Schlüsselereignisse“ gewesen. Ernst und | |
Markus H. hätten sich zudem „klandestin“ über den Messenger Threema | |
ausgetauscht, so der BGH weiter. H. habe somit den Mordanschlag auf Lübcke | |
„billigend in Kauf genommen“. | |
Die Ermittler sehen Markus H. zudem belastet, weil bei ihm ein Buch des | |
rechten Skandalautors Akif Pirinçci gefunden wurde. Dort wird auch Walter | |
Lübcke erwähnt – dessen Name mit einem Textmarker markiert gewesen sei. | |
Zudem belastet den 43-Jährigen auch seine frühere Partnerin. Diese | |
bezeichnete H. als „Denker“ und Ernst als „Macher“. Zudem habe H. einmal | |
gesagt, sollte er irgendwann schwer erkranken, werde er sich mit einem | |
Sprengstoffgürtel in die Luft sprengen und möglichst viele „Kanaken“ | |
mitnehmen. | |
Auch wegen der neuen Ermittlungsergebnisse hat der Haftbefehl gegen Markus | |
H. weiter Bestand. Dessen Verteidiger bestreitet hingegen, dass der | |
Kasseler in die Mordpläne gegen Lübcke eingeweiht war: Er habe vielmehr | |
geglaubt, Ernst sei es um etwas wie das Beschmieren einer Hauswand | |
gegangen. Bei Stephan Ernst werten die Ermittler derzeit noch aufgefundene | |
Datenträger aus und prüfen, ob er weitere politische Kontakte hatte. Mit | |
Anklagen wird noch in diesem Jahr gerechnet. | |
17 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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