| # taz.de -- Kollektives Denken im Klimawandel: Ein neues Verhältnis zur Welt | |
| > Jeden Einzelnen für den Klimawandel verantwortlich zu machen, ist falsch. | |
| > Vielmehr braucht es politische Veränderungen, die alle mittragen wollen. | |
| Bild: Nicht abschrecken lassen, mitmachen | |
| Spätestens seit dem Klimastreik-Freitag mit seinem weltweiten Schub an | |
| politischer Energie, spätestens seit diesem 20. September ist klar: Wir | |
| können das Aufkommen von etwas ganz Neuem in Echtzeit beobachten. Durch | |
| alle Warnungen, Dringlichkeiten, durch alle apokalyptischen Szenarien | |
| hindurch bahnt es sich seinen Weg. Man kann die ersten Umrisse bereits | |
| erkennen. | |
| Im letzten „[1][Knapp überm Boulevard]“ wurden diese Umrisse kritisiert. | |
| Nun aber – vier Wochen später – ist es nötig, an diesem Punkt weiter zu | |
| denken. Denn manchmal benennt man ein Problem – und eröffnet damit aber | |
| auch ein Dilemma. Dann ist es ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit, | |
| die Widersprüche zu benennen. | |
| Kritisiert wurde hier die grassierende Vorstellung einer persönlichen | |
| Haftung für das Klima – wo jeder mit seinen Konsumgewohnheiten direkt | |
| verantwortlich gemacht wird. Denn dies führt zu einer Kontrolle unseres | |
| Verhaltens von außen: einer Beobachtung und eines moralischen Beurteilens | |
| des Konsum-, Müll- und Mobilitätsverhaltens seitens der Nachbarschaft oder | |
| des Milieus. Und es führt zu einer Kontrolle von innen: Über-Ich-Phänomene | |
| wie schlechtes Gewissen und Scham, die lange abgetragen werden mussten, um | |
| vielen gesellschaftlichen Befreiungen die Bahn zu ebnen, kehren nun mit | |
| Karacho auf die Bühne des Psychischen zurück. | |
| ## Das schöne Gefühl, etwas beizutragen | |
| Erfolgreich ist dies, weil die persönliche Askese dem Einzelnen nicht nur | |
| etwas abverlangt, sondern auch einen Gewinn verspricht: das schöne Gefühl, | |
| etwas beizutragen. Erlösung durch das gute Gewissen. All das ist nicht | |
| zuletzt Folge des alten Versprechens, dass wir als Konsumenten auch | |
| handlungsmächtig sind. Tatsächlich aber ist die drohende Katastrophe nicht | |
| durch die persönliche Lebensführung aufzuhalten. Angesichts der Größe und | |
| der Dringlichkeit des Problems ist der moralische Druck nicht nur absurd, | |
| sondern spricht dem Einzelnen auch eine falsche Position zu. Statt das | |
| Problem zu privatisieren, gilt es vielmehr, dieses zu politisieren. Das ist | |
| die Parole. Und sie gilt nach wie vor. Und dennoch. Es gibt ein Aber. | |
| Die Politik, die das lösen soll, muss von der Bevölkerung getragen werden. | |
| Die Gesetze, die das regulieren sollen, müssen akzeptiert werden. Die | |
| Bürger müssen mitmachen. Sie werden Belastungen akzeptieren müssen. Vor | |
| allem aber werden sie das Schwerste tun müssen: Veränderungen zustimmen. | |
| Wenn dies ein demokratischer Vorgang sein soll, dann ist dies ein immenser | |
| Umbau, der keine Schaltstelle hat – umso mehr muss er von etwas getragen | |
| sein. Dieses Etwas muss mehr sein als Einsicht in die Notwendigkeiten und | |
| mehr als moralischer Druck einer persönlichen Haftung. Beides sind | |
| unsichere Kantonisten. Das reicht nicht. | |
| ## Akzeptanz für die notwendige Transformation | |
| Woher soll also die Akzeptanz für die notwendige Transformation kommen? Sie | |
| bedarf nicht weniger als einer Ideologie. | |
| Ideologie nicht im Sinne eines falschen Bewusstseins – Ideologie im Sinne | |
| eines neuen Weltverhältnisses, getragen von neuen Gewohnheiten, | |
| Lebensformen, Mentalitäten, von neuen gesellschaftlichen Normen und | |
| Funktionsweisen. Kurzum – Ideologie im Sinne eines neuen Verhältnisses zur | |
| Welt und zu uns selbst. | |
| Das Dilemma ist also, dass die persönliche Haftung, die private | |
| Selbstkasteiung irreführend ist – und zugleich braucht es nicht weniger als | |
| einen Mentalitätswandel der Gesellschaft. Und damit auch des Einzelnen. | |
| Ob man nun an „Degrowth“ glaubt und das Wirtschaftswachstum einschränken | |
| möchte oder ob man vom wirtschaftlichen Umbau durch einen „Green New Deal“ | |
| überzeugt ist. In jedem Fall bedarf es eines grundlegenden ideologischen | |
| Wandels. Das lässt sich nicht durch Formen eines neuen Ablasshandels für | |
| Umweltsünden erkaufen. Man wird nicht umhinkommen, unsere Vorstellungen vom | |
| guten Leben neu zu buchstabieren. | |
| Eine solche Ideologie sehen wir im Entstehen. Eruptiv wie das plötzliche | |
| Auftauchen eines jungen Mädchens. Vor allem aber kommt diese Ideologie | |
| nicht von oben, um die Leute zu gängeln, sondern steigt von unten (oder aus | |
| der Mitte) nach oben. Und das weltweit. | |
| 24 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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