| # taz.de -- Verzicht des Einzelnen reicht nicht: Greta-Moment statt Greta-Formel | |
| > Es geht nicht allein um die individuelle Konsumaskese. Es hilft nur eine | |
| > gesamtgesellschaftliche Vorgabe, um das Klima zu retten. | |
| Bild: Das Team Malizia: die beiden Skipper, der Filmemacher, Greta und ihr Vate… | |
| Es gibt das eine: den „Greta-Moment“ – das neue gesellschaftliche | |
| Bewusstsein für die Dringlichkeit von politischen Maßnahmen zum | |
| Klimaschutz. Und es gibt das andere – die Übertragung auf die Person. | |
| [1][Greta Thunberg verkörpert ihre Forderungen]. Bei einer Ikone mag das | |
| gelten. Sie muss 65 Stunden mit dem Zug anreisen und in die USA segeln. Mit | |
| allen Nebenwirkungen. Denn ihr Handeln ist symbolisch. | |
| Übersetzt für uns alle ergibt das aber die „Greta-Formel“. Diese besagt: | |
| Nur strenge Konsumaskese des Einzelnen sei ein effizientes Vorgehen gegen | |
| die Klimakrise. Eine asketische Ideologie mit allem, was dazugehört: | |
| strenge Gewissens- und Schulddiskurse. Denunziation, gesellschaftliche | |
| Ächtung, Sozialkontrolle für Klimasünder. Mit steigender Tendenz. | |
| Plötzlich sind wir unterteilt in gute und schlechte Konsumenten. Plötzlich | |
| wird die Angemessenheit von politischen Forderungen an der persönlichen | |
| Ökobilanz gemessen. Plötzlich werden Leute denunziert, weil sie Klimakrise | |
| predigen und dennoch fliegen. Die „Greta-Formel“ wird zum Maßstab. Aber | |
| stimmt dieser Maßstab? Ja und nein. | |
| Nehmen wir etwa das Fliegen. Natürlich stimmt der Maßstab in Bezug auf die | |
| Schadstoffemission. Aber er stimmt dort nicht, wo es um den Stellenwert des | |
| individuellen Verzichts geht. Denn Hilfe, tatsächliche, effiziente Hilfe | |
| fürs Klima bedarf einer Dimension, die weit über jede individuelle | |
| Abstinenz hinausgeht. | |
| ## Der Einzelne fühlt sich ökologisch schuldig | |
| Aber wäre der Verzicht des Einzelnen nicht einmal ein Anfang? Auch da muss | |
| man sagen: ja und nein. Das eigene schlechte Gewissen, sich „ökologisch | |
| schuldig“ zu fühlen (Fred Luks), ist eine Triebkraft. Keine Frage. Zugleich | |
| aber ist das schlechte Gewissen trügerisch: Tatsächlich kann eine | |
| asketische Regulierung nur dann wirksam werden, wenn sie eine | |
| gesamtgesellschaftliche Vorgabe ist – und nicht die persönliche Haftung des | |
| Einzelnen. | |
| Selbst die „protestantische Ethik“ mit ihrer verinnerlichten Vorgabe von | |
| Fleiß, Pflichterfüllung und Askese konnte nur dadurch zum „Geist des | |
| Kapitalismus“ werden, wie Max Weber es nannte, weil dieser Appell an den | |
| Einzelnen gesamtgesellschaftlicher Konsens war. | |
| Ende des 20. Jahrhunderts hatte diese Askeseforderung mit den Anfängen der | |
| Umweltschutzbewegung eine Neuauflage erfahren. Damals kamen asketische und | |
| disziplinierende Vorgaben der Lebensführung als Erlösungsformel wieder auf. | |
| Mülltrennung und Konsumverzicht gegen die Apokalypse, lautete die Devise. | |
| ## Der mündige Konsument, nicht nur Citoyen | |
| Das Besondere daran war, dass damit ein neues Subjekt ermächtigt wurde: der | |
| Konsument. Man begehrte nicht mehr als Ausgebeuteter auf, man meldete sich | |
| nicht mehr als Citoyen zu Wort – man agierte als Konsument. Das war die | |
| vielleicht letzte Handlungsoption, die man nach dem Zeitalter der | |
| Enttäuschungen noch hatte. Das Narrativ des mündigen Konsumenten – das war | |
| gewissermaßen die Versöhnung von Aufbegehren und Ohnmacht. Aber wenn dieses | |
| Versprechen, wenn die Handlungsmacht des Konsumenten nicht trügerisch | |
| gewesen wäre, dann hätten wir heute keine ökologische Dringlichkeit. | |
| Deshalb zeigt sich jetzt – erstens: Konsumverzicht reicht nicht. Es gibt | |
| keine private Haftung fürs Klima. Die individuelle Askese kann bestenfalls | |
| Auslöser sein für das, was es jetzt braucht – große politische Lösungen | |
| (wie sie auch #fff fordern). Sie kann diese nicht ersetzen. | |
| Zweitens aber kann die „Greta-Formel“, die asketische Lebensführung, im | |
| schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv sein. Denn sie bringt dem Einzelnen | |
| zu schnelle Befriedigung. Und das kann politisches Handeln verhindern oder | |
| zumindest reduzieren. Man errechnet seine Öko-Bilanz, man vermisst seinen | |
| ökologischen Fußabdruck und lehnt sich zurück. Askese erzeugt ein sattes | |
| Gefühl. | |
| Es braucht bewusste Konsumenten. Keine Frage. Aber Konsum allein ist noch | |
| keine Lösung. Der Konsument ist keine Rettung – weder für sich noch fürs | |
| Klima. Er kann bestenfalls Druck erzeugen. Und das soll er auch. Aber um | |
| wirksam zu werden, muss dieser Druck ins Politische übersetzt werden. Von | |
| der „Greta-Formel“ in den „Greta-Moment“ sozusagen. | |
| 2 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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