# taz.de -- Forderung nach Zuzugstopp: Kommt bloß nicht nach Berlin | |
> Der CDU-Politiker Christian Gräff will, dass weniger Leute nach Berlin | |
> ziehen. Deshalb redet er die Stadt runter. Ein Akt der Verzweiflung. | |
Bild: Christian Gräff is 'n echta Berlina und dit is ihm wichtig | |
Ist Berlin zu voll, sind die Wohnungen zu rar und zu teuer, die Kitas | |
überfüllt, die Straßen zu eng? Sollte die Stadt also am besten eine Art | |
Zuzugsstopp verhängen? Der Berliner CDU-Politiker Christian Gräff hat die | |
Debatte entfacht, als er im Rundfunk RBB eine Art [1][Berlin-Warnung] | |
aussprach: „Wir müssen denen, die hierher kommen sagen: Macht euch keine | |
falschen Erwartungen. Wir haben die Infrastruktur nicht, ihr könnt hier | |
nicht herziehen!“ | |
Sich selbst hässlich zu machen, damit man in Ruhe gelassen wird, ist ein | |
krasser Akt der Verzweiflung. Und der Hysterie. Jeder Zugereiste aus einer | |
asiatischen Metropole würde milde lächeln, wenn man Berlin als „überfüllt… | |
bezeichnete. [2][Unzureichende Infrastruktur]? In Mumbai oder Bangkok kennt | |
man andere Aggregatszustände von Menschenmassen in Straßen und Häusern. | |
Allerdings leben in Berlin geflüchtete Familien zu fünft in zwei | |
Hostelzimmern, und das jahrelang. Aber das ist eine andere Geschichte. | |
Die Deutschen sind Territorialwesen. Auch in München gibt es Hasskommentare | |
in den Leserbriefspalten, die einen Zuzugsstopp für die bayrische | |
Landeshauptstadt fordern. Irgendwann muss es doch mal genug sein! Kommt | |
doch nicht alle hierher, was wollt Ihr eigentlich in der Stadt? | |
Dabei ist doch klar, was alle wollen: Das Vitalversprechen, dass das Leben | |
tobt in den Metropolen, gerade weil es so voll ist, weil die vielen | |
Menschen so unterschiedlich sind, weil man soviele Möglichkeiten hat im | |
Konsum, in der Liebe, in der Arbeit. If you can make it here, you can make | |
it anywhere! | |
## Da sein, wo die Anderen sind | |
In den 80er Jahren gab es unter Studis in West-Berlin den Mythos, dass man | |
nur nach New York ziehen müsse, um ein tolleres Leben zu haben, eine | |
interessantere Persönlichkeit zu entwickeln als die Daheimgebliebenen. | |
Insofern machen es einem die Metropolen einfach: Man muss nur da sein, wo | |
auch die Anderen sind. | |
Aber: [3][Haben Alteingesessene mehr Rechte, hier zu sein]? Wer sind | |
eigentlich die Guten, wer die Bösen? | |
Sollen im Ausland lebende Investoren in Berlin keine Eigentumswohnungen | |
kaufen dürfen? Sollen Besserverdiener nicht mehr herziehen dürfen, weil sie | |
die in Eigentum umgewandelten Mietwohnungen kaufen, aus denen RentnerInnen | |
vertrieben wurden? Aber was ist zum Beispiel mit den Krankenhäusern, den | |
Unternehmen, die dringend hochqualifizierte Zuzügler brauchen? | |
## Hohe Mieten als Zuzugsstopp | |
Junge Briten, die in Berlin einen internationalen Studiengang beginnen und | |
eine Miete von 900 Euro für ein Zimmer zahlen, weil sie das für ein | |
Schnäppchen halten – sind die gut, weil sie die Stadt bunter machen? Oder | |
sind sie schlecht, weil sie die Preise versauen? | |
Überhaupt die Ausländer: Die Berliner Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg | |
hat jetzt gefordert, die Tourismus-Werbung für die Stadt herunterzufahren. | |
Airbnb, lärmende Rollkoffer, biertrinkende EU-Backpacker auf den Straßen | |
scheinen für manche ein Riesenproblem zu sein. Obwohl der ein oder andere | |
Alteingesessene gut verdient mit dem Tourismus, man frage die Gastronomie | |
in Kreuzberg. | |
In Wahrheit gibt es ihn längst, den Zuzugsstopp. Das macht der Markt von | |
ganz alleine. Wer sich keine Wohnung in der Stadt leisten kann, der zieht | |
spätestens in Zeiten der Familiengründung nach Brandenburg und pendelt | |
jeden Tag zweieinhalb oder drei Stunden zum Job. Da kann man viel Leben | |
verpassen. Im Stau. In der Bahn, wenn man keinen Sitzplatz findet und nicht | |
lesen und arbeiten kann. | |
## 10.000 Euro Wegzugprämie | |
Gräff ist nach dem Shitstorm in den Medien über das vermeintliche | |
Zuzugsverbot alsbald zurück gerudert. Er hat im Tagesspiegel die | |
rot-rot-grüne Landesregierung angegriffen, an allem schuld zu sein: Sie | |
bremse das Wachstum, so dass man niemandem raten könne, herzuziehen. Also | |
alles wie immer in der Politik, das Hin- und Herschieben von Verantwortung. | |
Warum nicht eine „Wegzugprämie“ ausloben? 10.000 Euro für einen Wegzug aus | |
Berlin in eine Kleinstadt eigener Wahl, zum Beispiel. Im Ruhrgebiet, in der | |
Oberpfalz gibt es Regionen, die im Kommen sind. Mehr Quadratmeter, weniger | |
Euro. Wer Persönlichkeit hat, braucht die Metropole nicht. Auch New York | |
ist übrigens schon lange wieder out. | |
6 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/09/cdu-graeff-fordert-zuzugsstopp… | |
[2] /Enteignung-von-Wohnungskonzernen/!5620766 | |
[3] /Diskriminierung-bei-der-Wohnungssuche/!5619808 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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