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# taz.de -- Zwangsarbeit in Galizien: Jozef und seine Helfer
> Straßenbau für die Wehrmacht, Überleben im Versteck: Um den Holocaust in
> Galizien geht es in einer Ausstellung in Berlin.
Bild: Józef Lipman und seine Cousine Rozia Grünspan, 1939, im Kreise der Fami…
Am 30. Juni 1943 hat Friedrich Katzmann, der SS- und Polizeiführer von
Galizien, seinen Bericht „Lösung der Judenfrage im Distrikt Galizien“
fertiggestellt. Auf einer Schreibmaschine getippt, ist dieser Bericht ein
exemple par excellence für die Verzahnung von Kriegsökonomie und
Vernichtungskrieg an der Ostfront: „Arbeitsmöglichkeiten boten sich vor
allem an dem äußerst wichtigen, für dem gesamten Südabschnitt der Front
notwendigen Ausbau der Durchgangsstraße 4, die sich in einem katastrophalen
Zustand befand.
Am 15. Oktober 1941 wurde mit dem Ausbau der Lager an der Rollbahn
begonnen, und schon nach wenigen Wochen entstanden 7 Lager, die mit 4.000
Juden belegt wurden. Diesen ersten Lagern folgten bald weitere, sodass in
kürzester Zeit 15 derartige Lager dem höheren SS- und Polizeiführer
gemeldet werden konnten. Durch diese Lager sind im Laufe der Zeit rund
20.000 jüdische Arbeitskräfte durchgelaufen. Trotz aller erdenklichen
Schwierigkeiten, die bei diesem Problem auftauchten, können heute rund 160
Kilometer Straße als fertiggestellt betrachtet werden.“
Dieser Bericht ist, ergänzt durch zahlreiche Fotografien und Dokumente,
Bestandteil der Ausstellung „Holocaust und Zwangsarbeit in Galizien“ im
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide. Die
Durchgangsstraße IV führte von Breslau über Lemberg in den Kaukasus und
diente als zentrale Nachschublinie für die Heeresgruppe Süd. Unter der
Leitung der Organisation Todt beteiligten sich deutsche und lokale Firmen
am Ausbau der Straße.
## 40.000 von der SS Ermordete
Janowska wiederum war das zentrale jüdische SS-Zwangsarbeitslager in
Galizien. Im Oktober 1941 in Lemberg errichtet, waren dort im März 1943
etwa 15.000 jüdische Häftlinge interniert. Von der hier geleisteten
Zwangsarbeit profitierten vorwiegend die SS und die Wehrmacht. Gleichzeitig
diente es als Transitlager für die Arbeitslager an der Durchgangsstraße IV
und für das Vernichtungslager Belzec. In den nahe gelegenen Sandhügeln
wurden im Laufe des Kriegs etwa 40.000 Menschen von der SS ermordet.
Zwei Protagonisten, von denen die Ausstellung erzählt, sind Joźef Lipman
und Berthold Beitz. Joźef Lipman wurde 1931 in Borysław, einer Kleinstadt
südlich von Lemberg, in der 1930 ca. 13.000 Juden lebten, geboren. Sein
Vater Abraham hatte das polnische und deutsche Abitur und in Wien
studiert. Er betrieb in Borysław ein Sägewerk mit angeschlossenem
Bauunternehmen.
Berthold Beitz wurde im Juli 1941 mit 27 Jahren kaufmännischer Leiter der
Karpathen-Öl-AG in Borysław. Im November 1942 wurde dort ein
Zwangsarbeitslager eingerichtet, und an 1.670 Juden wurden R -Armbänder
ausgegeben. Somit waren sie in der kriegeswichtigen Industrie beschäftigt.
Abraham Lipman bekam einen Schlafplatz in diesem Arbeitslager. Seine Frau
Etka konnte in der Küche mitarbeiten, und der Sohn Joźef schärfte Spaten.
## Fachkräfte zurückgefordert
Ab August 1942, nach der Entlassung der Juden aus der Erdölindustrie,
rettete Beitz Hunderte Menschen, in dem er zu den Sammelstellen der SS fuhr
und sie als unentbehrliche Fachkräfte für die Ölindustrie zurückforderte.
Zusammen mit seiner Frau Else versteckte er jüdische Kinder und ganze
Familien im Wohnhaus und im Verwaltungsgebäude der Karpathen-Öl-AG.
Damit Joźef Lipman und seine Eltern in Galizien den Holocaust überleben
konnten, bedurfte es ständiger Hilfe. Als sich Joźef Lipman vor einigen
Jahren mit Teilnehmern der regelmäßigen Sommercamps der Aktion Sühnezeichen
Friedensdienste traf, ist neben dem Pflegen alter Friedhöfe in
Ostmitteleuropa die Idee zu dieser Wanderausstellung entstanden, die jetzt
im Berliner Dokumentationszentrum Zwangsarbeit angelangt ist.
Joźef Lipman hat es gewagt, sich an die Orte zu begeben, in denen er seine
„unkindliche Kindheit“ – so nennt er es in seinen Erinnerungen – verbra…
hat. Er hat seine alte Kinderfrau wiedergefunden und von seinen damaligen
Rettern erzählt.
So befindet sich in der Ausstellung eine mobile Schautafel, die ganz
konkret an diese Menschen erinnert: etwa an den Sägewerksleiter, der Joźef
bei sich übernachten ließ, an zwei ukrainische Jungs, die ihn vor einem
Polizisten schützten, an Berthold Beitz, der seinem Vater eine Anstellung
verschaffte, und an die Familie Popel, die die Familie gegen Geld in einer
Scheune versteckte.
„Am schlimmsten war es, im Lager ohne Arbeit herumzulaufen … Ich wollte ein
Vogel sein und träumte davon, auch so da draußen zu fliegen“, erinnert sich
Lipman. Seine Erinnerungen liegen neben dem „Bericht über die Lösung der
Judenfrage in Galizien“ aus. Cornelia Schmalz-Jacobsen, deren Vater viele
Juden in Drohobycz, einem Nachbarort von Borysław, gerettet hat, erzählt
von einem Treffen Überlebenden aus Drohobycz kürzlich in Israel: einem
Treffen von Geschwistern, so empfanden es die Überlebenden, war es doch
derselbe „Vater“, der sie gerettet hatte.
3 Sep 2019
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Holocaust
Zwangsarbeit
Wehrmacht
Galizien
Holocaust
NS-Verfolgte
Arbeitsministerium
Gedenkstätte
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