# taz.de -- Prozess gegen SS-Schütze Bruno D.: KZ-Wachmann vor Gericht | |
> In Hamburg wird der Prozess gegen Bruno D. vorbereitet. Der 92-Jährige | |
> sagt, er habe vom Massenmord gewusst. Aber schuldig fühle er sich nicht. | |
Bild: Das ehemalige KZ Stutthof ist heute eine Gedenkstätte | |
HAMBURG taz | Die Verhandlungstage gegen Bruno D. werden jeweils maximal | |
zwei Stunden dauern. D. ist 92 und deshalb nur eingeschränkt | |
verhandlungsfähig. Vor der Großen Strafkammer 17 des Jugendschwurgerichts | |
muss sich der Rentner wegen des Vorwurfes „der Beihilfe zum Mord in 5.320 | |
tateinheitlich zusammentreffenden Fällen“ verantworten. | |
Vor 75 Jahren war der damals 17-Jährige als SS-Schütze in der 1. Kompanie | |
des Totenkopfsturmbanns als Wachmann im KZ Stutthof, 40 Kilometer entfernt | |
von Danzig, stationiert. Durch diese Tätigkeit habe Bruno D. „die | |
heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge | |
unterstützt“, wirft ihm die Staatsanwaltschaft Hamburg vor. | |
Am 17. Oktober soll der Prozess im Saal 300 des Strafjustizgebäudes in | |
Hamburg beginnen; am 17. Dezember soll er enden. Nach der Anklageerhebung | |
im April dieses Jahres war Bruno D. zunächst wegen seines hohen Alters als | |
verhandlungsunfähig eingestuft worden. Ein neues Gutachten stellte jedoch | |
die eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit fest. Auf Grund von D.’s jungem | |
Alter zur Tatzeit muss der Prozess als Jugendstrafverfahren geführt werden, | |
sodass die Hauptverhandlung in „nicht öffentlicher Sitzung“ stattfindet. | |
Nach den Vernehmungsprotokollen bestreite Bruno D. seine Anwesenheit im KZ | |
Stutthof nicht, berichtet die Welt, die die Protokolle einsehen konnte. Er | |
fühle sich aber nicht schuldig. Vom August 1944 bis April 1945 gehörte er | |
nachweislich der Wachmannschaft des Konzentrationslagers an. | |
Ab Sommer 1944 begann in dem KZ die systematische Tötung von Lagerinsassen. | |
Sie wurden in einer Gaskammer ermordet oder durch Genickschüsse | |
hingerichtet. „Zudem kamen zahlreiche Personen durch die bewusste | |
Herbeiführung und Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen wie | |
Nahrungsentzug und Verweigerung medizinischer Versorgung ums Leben“, | |
zitiert die Welt die 79 Seiten starke Anklage. | |
Zu den Aufgaben des Wachpersonals habe es gehört, die Flucht oder Befreiung | |
von Häftlingen sowie eine Revolte im Lager zu verhindern. Oberstaatsanwalt | |
Lars Mahnke hält dem Beschuldigten deshalb vor, „als ‚Rädchen der | |
Mordmaschinerie‘ in Kenntnis aller Gesamtumstände dazu beigetragen zu | |
haben, dass der Tötungsbefehl umgesetzt werden konnte“. | |
In den Vernehmungen räumte der gelernte Bäcker D. laut dem Zeitungsbericht | |
ein, von den Morden mit dem Giftgas Zyklon B gewusst zu haben. In seiner | |
Zeit im KZ habe D. die Gaskammer gesehen, die Schreie gehört und | |
beobachtete, wie tote Häftlinge aus den Baracken geholt und „stapelweise“ | |
ins Krematorium gebracht wurden. Den Block 29/30, den sogenannten | |
Todesblock, habe er ebenfalls wahrgenommen. In dem Block wurden Juden durch | |
Nahrungs- und Wasserentzug ermordet. D.’s SS-Kameraden hätten außerdem | |
offen von „Judenvernichtung“ gesprochen. | |
D. sei zur SS gekommen, weil er aufgrund einer Herzerkrankung nicht als | |
Soldat eingezogen werden konnte, sondern nur „garnisonsverwendungsfähig“ | |
gewesen sei. Das dort Juden umgebracht wurden, nur weil sie Juden waren, | |
habe er gewusst. Die Opfer hätten ihm „leidgetan“. Vom Nationalsozialismus, | |
behauptet er, habe er sich aber ferngehalten. | |
Warum er sich nicht versetzen lies, fragen die Ermittler den Rentner in den | |
Vernehmungen. Das hätte ihn den Kopf gekostet, antwortet D. – was gelogen | |
ist. Bis heute ist kein Fall bekannt, in dem ein KZ-Wachmann wegen eines | |
Versetzungsantrags Nachteile erfahren musste. Eine Versetzung an die Front | |
dürfte allerdings auch wenig attraktiv gewesen sein. | |
Oberstaatsanwalt Mahnke sieht in D. keinen überzeugten Anhänger des | |
Nationalsozialismus. Der Angeklagte, so der Ankläger, hätte eher geglaubt, | |
als Einzelgänger, der einfach nur Befehle ausführe, jene Zeit zu | |
überstehen. Für die Verfolgten hätte er sich jedoch nie eingesetzt. | |
Bis zur Befreiung des Lagers durch die russischen Alliierten waren dort | |
110.000 Menschen inhaftiert, ungefähr 65.000 Menschen wurden in dem | |
Konzentrationslager ermordet – etwa 70 Prozent waren Juden. | |
13 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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