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# taz.de -- Prozess gegen KZ-Wachmann Bruno D.: Ein Opfer erinnert sich
> Der Überlebende Marek Dunin-Wasowicz berichtet im Prozess gegen den
> KZ-Wachmann Bruno D. von den Grausamkeiten im KZ Stutthof.
Bild: Marek Dunin-Wasowicz, Überlebender des KZ Stutthof, bei seiner Aussage i…
Hamburg taz | „Der Weg zur Freiheit führt durch den Schornstein.“ Dieser
Satz des Zeugen Marek Dunin-Wasowicz aus Polen hallt im Saal 300 nach: Ein
Innehalten am fünften Tag des Gerichtsprozesses gegen den ehemaligen
SS-Wachmann Bruno D. vor dem Landgericht Hamburg. Die vorsitzende Richterin
Anne Meier-Möring fragt nicht gleich weiter, die Prozessbeobachter
unterbrechen das Schreiben und die Journalisten hören auf zu tippen.
Dunin-Wasowicz fasst mit diesem Satz zusammen, was im KZ Stutthof alle
Inhaftierten wussten: Sie waren hier, um zu sterben. Von den etwa 110.000
Menschen in dem Lager nahe Danzig starben rund 65.000.
Seit dem 17. Oktober muss sich Bruno D. vor dem Landgericht verantworten.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft dem 93-jährigen Rentner vor, als
Wachmann zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 Beihilfe zum
Mord in 5.230 Fällen begangen zu haben. Von der Anklagebank schaut er zum
Zeugenplatz, den Kopf leicht nach links geneigt. Eine sichtbare
Betroffenheit des Angeklagten ist bei der fast zweistündigen Anhörung aber
nicht wahrzunehmen.
Mit fester Stimme erzählt Dunin-Wasowicz. Der ebenfalls 93-Jährige will
berichten, aber die simultane Übersetzung bremst die Darstellung. Im Lager
habe jeder von der Gaskammer und dem Krematorium mit den Öfen gewusst,
später auch von den Scheiterhaufen, sagt er. Um zu überleben, habe er sich
bei einem Arbeitseinsatz einen Baumstamm auf den rechten Fuß fallen lassen,
die große Zehe zerquetscht und die kleine leicht verletzt. Von der
Krankenbaracke aus, sagt er, habe er die Gaskammer und das Krematorium
sehen können.
Auf Nachfrage Meier-Mörings räumt Dunin-Wasowicz, der nach 1945 als
Journalist arbeitete und auch zum KZ Stutthof forschte, ein, dass es nicht
immer leicht sei, zu unterscheiden, was er selbst erlebt oder recherchiert
habe. Die vorsichtige Intervention hilft dem Zeugen, sich mehr zu öffnen.
Im KZ hätten keine Morgenappelle stattgefunden, sagt er. Die Appelle hätten
stattgefunden, wenn ein Häftling versucht habe, zu fliehen. Egal bei
welchem Wetter, egal zu welcher Jahreszeit hätten die Häftlinge
bewegungslos am Hauptort strammstehen müssen, bis der Geflohene wieder
gefasst gewesen sei.
Zum Appell seien die Häftlinge auch gerufen worden, wenn eine Exekution
angestanden habe. An einem Holzblock seien die Opfer so festgebunden
worden, dass der Rücken frei gelegen habe. Mehr als 30 Peitschenhiebe habe
keiner ausgehalten, sagt Dunin-Wasowicz. Nicht alle hätten die Hinrichtung
sehen, jedoch alle die „wehleidige Stimme“ hören können.
Dunin-Wasowicz kam – wie der Beschuldigte auch – mit 17 Jahren ins KZ
Stutthof. Er sei geschlagen und getreten worden. Schon als Jugendlicher sei
er wie die gesamte Familie im Widerstand gewesen, habe „kleine
Sabotageakte“ verübt, Parolen gemalt und öffentliche Verlautbarungen der
deutschen Besatzer abgerissen. Seinem Vater und seiner Mutter hätten unter
anderem jüdische Bekannte geholfen, die Geld organisierten, sowie sein
älterer Bruder, der Jugendoffizier bei der Heimatarmee gewesen sei.
Den älteren Bruder habe die Gestapo als Ersten geholt und gefoltert. Mit
einer Geldzahlung sei er herausgeholt worden, Tage später aber sei die
Familie ins Gefängnis Pawiak gebracht worden. Nach der Niederschlagung des
Aufstands im Warschauer Ghetto nutzten die Nationalsozialisten die alte
Haftanstalt wieder als Gefängnis. „An jedem Morgengrauen wurden Häftlinge
aus den Zellen gezogen und dann erschossen, unmenschlich und unglaublich“,
sagt Dunin-Wasowicz.
Im KZ habe sich sein Bruder sofort dem klandestinen Untergrundnetzwerk
angeschlossen. Aus diesem Kreis sei auch der Hinweis eines Arztes gekommen,
dass Dunin-Wasowicz so schlimm aussehe, dass „sie dich bald vernichten“.
Seine Rettung sei seine Selbstverstümmelung gewesen.
Am kommenden Mittwoch wird Dunin-Wasowicz weiter vernommen.
29 Oct 2019
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
KZ Stutthof
Holocaust
NS-Opfer
NS-Verbrechen
SS-Wachmann
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Kolumne Zwischen Menschen
KZ Stutthof
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