# taz.de -- Regierungsbildung in Italien: Wie aus Feinden Partner werden | |
> In Italien bilden die Fünf Sterne und die sozialdemokratische PD eine | |
> neue Regierung. Es gibt mehr Schnittmengen als zunächst gedacht. | |
Bild: Er hat ein starkes Onlinevotum seiner AnhängerInnen im Rücken: der Chef… | |
ROM taz | Italiens alter Ministerpräsident ist auch der neue. Nachdem die | |
Basis der Fünf Sterne am Dienstag in einem Onlinevotum die Koalition mit | |
der Partito Democratico (PD) absegnete, steht fest, dass Ministerpräsident | |
Giuseppe Conte seinen Job behält. | |
Am Mittwoch wurden noch die letzten Details zum Regierungsprogramm und zur | |
Kabinettsliste ausgehandelt. Doch da gab es schon keinen Zweifel mehr, dass | |
das Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) und die PD das Experiment | |
wagen wollen, eine Koalition der bisher tief verfeindeten Kräfte zu bilden. | |
Das Onlinevotum – stimmberechtigt waren etwa 117.000 Aktivisten, die seit | |
mindestens sechs Monaten auf der M5S-Internetplattform „Rousseau“ | |
registriert sind – hätte nicht eindeutiger ausfallen können. Knapp 80.000 | |
Stimmen wurden abgegeben, eine bisher bei M5S-Onlinevoten nie da gewesene | |
Rekordbeteiligung. [1][Mit 79 Prozent sprach sich eine klare Mehrheit] für | |
die Koalition mit der PD unter Führung Giuseppe Contes aus. Damit haben | |
sowohl die M5S-Spitze unter dem bisherigen Arbeits- und Wirtschaftsminister | |
Luigi Di Maio als auch der parteilose Conte ein klares Mandat. Di Maio wird | |
neuer Außenminister. Da auch die PD fast völlig geschlossen hinter der | |
Koalition steht, kann diese die Arbeit aufnehmen. | |
Dieses Resultat ist nicht selbstverständlich. Schließlich hatte der Chef | |
der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega und bisherige Innenminister | |
Matteo Salvini [2][am 8. August die Regierungskrise ausgelöst], weil er | |
davon ausging, dass eine alternative Koalition aus M5S und PD undenkbar | |
sei. Galt doch die PD den Fünf Sternen als Inbegriff der „politischen | |
Kaste“ und war doch das M5S für die PD die Ausgeburt eines womöglich gar | |
die Demokratie gefährdenden Populismus. | |
## Die „Regierung der Lustlosen“ | |
Auch die Koalitionsverhandlungen der vergangenen Tage wurden erneut zum | |
Beleg des tiefen Misstrauens zwischen den künftigen Partnern. Der | |
PD-Vorsitzende Nicola Zingaretti wollte unbedingt Conte als neuen-alten | |
Premier verhindern, um ein Zeichen der „Diskontinuität“ zu setzen. | |
Daraufhin standen die Gespräche kurz vor dem Abbruch. Erst in letzter | |
Minute gab Zingaretti nach. Darauf folgte ein weiteres tagelanges | |
Tauziehen, da die PD nun verhindern wollte, dass M5S-Chef Di Maio im neuen | |
Kabinett nicht nur ein Ministerium, sondern wie bisher auch den Posten des | |
Vizepremiers erhält. | |
Hier konnte sich die PD durchsetzen, doch derweil hatten M5S und PD nicht | |
das Bild eines neuen Aufbruchs geschaffen, sondern vor allem schlechte | |
Laune verbreitet. Über eine kommende „Regierung der Lustlosen“ spottete | |
denn auch der Journalist Antonio Padellaro. | |
Di Maios Lustlosigkeit zeigte sich noch während des M5S-Referendums am | |
Dienstag: Der Chef der Bewegung brachte es nicht über sich, die Anhänger | |
öffentlich zu einem Ja aufzufordern. Das tat dann der Gründungs- und | |
Übervater der Fünf Sterne, der Komiker Beppe Grillo. In einem Blog-Post | |
beklagte er den „Mangel an Euphorie“, schließlich biete sich jetzt eine | |
„einmalige Gelegenheit“ in diesem „außerordentlichen Moment“. Ähnlich | |
emphatisch machte sich auch Premier Conte für die Verlängerung seines | |
eigenen Arbeitsvertrags stark. Es sei jetzt „Zeit, die Träume aus der | |
Schublade zu holen“, rief er der Fünf-Sterne-Basis zu. | |
Zumindest die ersten Linien des Koalitionsprogramms, die bekannt wurden, | |
laden zum Träumen ein. Die EU-Stabilitätsziele sollen eingehalten, zugleich | |
aber auch ein expansiver Haushalt verabschiedet werden. Die neue Regierung | |
will eine deutliche Steuersenkung für untere und mittlere Einkommensgruppen | |
auf den Weg bringen. Sie will einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, in | |
die Green Economy sowie in Schulen und Unis investieren. Sie will die | |
Justiz reformieren und für Bürokratieabbau in den öffentlichen Verwaltungen | |
sorgen. | |
Bisher sind dies vor allem Spiegelstriche, zu deren Umsetzung detaillierte | |
Pläne noch nicht vorliegen. Doch schon die Fixierung der politischen Ziele | |
zeigte, dass die inhaltlichen Schnittmengen größer sind als ursprünglich | |
angenommen. | |
## Matteo Salvini giftet | |
Derweil muss [3][Matteo Salvini von der Lega], der sich schon als künftiger | |
Regierungschef sah, noch die Rolle des Oppositionsführers üben. Bisher | |
giftet er vor allem, in der Regierung hätten „Verlierer“ zusammengefunden, | |
die im Auftrag Merkels und Macrons die Interessen Italiens verraten wollten | |
und allein an der Aufteilung von Posten interessiert seien. Bei diesem | |
„Kuhhandel“ mache die Lega nicht mit, behauptet Salvini, nachdem er erst | |
vor einer Woche Di Maio das Amt des Premiers angeboten hatte, wenn das M5S | |
wieder an die Seite der Lega zurückkehre. | |
Salvini dürfte besonders schmerzen, dass nicht nur die von ihm angestrebten | |
Neuwahlen vorerst ausbleiben, sondern dass die Lega in allen Umfragen im | |
Abschwung ist. Während das M5S, das bei den EU-Wahlen im Mai nur 17 Prozent | |
geholt hatte, wieder bei 22–24 Prozent liegt, während die PD nach 22 | |
Prozent bei den EU-Wahlen jetzt 23 Prozent erreicht, rutscht die Lega von | |
ihren damaligen 34 auf 30 Prozent ab. Seine Behauptung, da bilde sich eine | |
Koalition gegen den Willen der Mehrheit der italienischen Wähler, wird | |
damit zunehmend brüchig. | |
Diese Koalition hat, so sie will, noch dreieinhalb Jahre in der laufenden | |
Legislaturperiode vor sich. Das wäre genug Zeit, um jene „Wende“ im Land | |
auf den Weg zu bringen, die PD-Chef Zingaretti jetzt verspricht. | |
4 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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