# taz.de -- Wohnunglose in Dresden: Gegen unfreiwillige Umzüge | |
> Mehrere Wohnungslose sollen aus einer zentral gelegenen Unterkunft in ein | |
> Industriegebiet ziehen. Aktivist*innen protestieren mit den Betroffenen. | |
Bild: Ein Mitarbeiter des Sozialamts im Gespräch mit Aktivist*innen in Dresden… | |
Dresden taz | „Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn“ und „Die | |
Stadt gehört uns allen“. Statements wie diese sind auf Transparenten und | |
bunten Schildern zu lesen, mit denen etwa 40 Aktivist*innen drei Tage in | |
Folge vor einer Unterkunft für wohnungslose Menschen in Dresden Pieschen | |
protestiert haben. Der Stadtteil ist etwa sechs Kilometer von der Dresdner | |
Altstadt entfernt. 43 Menschen sind aktuell dort untergebracht, bis zu 20 | |
von ihnen sollen nach Planung des Sozialamts der Stadt in die Unterkunft | |
„Zur Wetterwarte 34“ neben dem Flughafen bei Dresden Klotzsche ziehen. | |
Einige der Bewohner, die umziehen sollen, haben große Angst davor. „Die | |
Unterkunft ist mitten im Industriegebiet. Auf der einen Seite davon ist | |
Wald, auf der anderen das Rollfeld vom Flughafen. Hier in Pieschen habe ich | |
Freunde, ein Netzwerk, meinen Hausarzt und einen Supermarkt in 100 Metern | |
Entfernung. In Klotzsche ist die nächste Einkaufsmöglichkeit 1,7 Kilometer | |
weit weg. Ein Shuttle soll uns einmal stündlich von 8 bis 17 Uhr zur | |
Verfügung stehen.“, erklärt Rene, einer der Bewohner, der umziehen soll und | |
der mit den Aktivist*innen protestiert. | |
Schwierig ist es für die betroffenen Menschen aber nicht nur wegen der | |
offensichtlich schlechteren Verkehrsanbindung und sozialen Infrastruktur, | |
sondern auch, weil sie das Gefühl haben, vor vollendete Tatsachen gestellt | |
und nicht ausreichend am Entscheidungsprozess beteiligt worden zu sein. Sie | |
sind am 9. August von den konkreten Umzugsplänen informiert worden, heißt | |
es auf Nachfrage beim Sozialamt. Am Montag, 19. August, sollten die ersten | |
Bewohner aus Pieschen umziehen. Der Protest einer etwa 40-köpfigen | |
Aktivist*innengruppe verhinderte das, indem sie die Einfahrt zur Unterkunft | |
blockierten. | |
„Das Sozialamt verwaltet diese Menschen hier einfach nach Sachlagen, | |
anstatt ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen. Das ist alles andere als | |
Inklusion. Einer der Bewohner hier, der auch umziehen soll, hat gestern | |
unter Tränen erzählt, dass er sich schon ein Isomatte gekauft hat, weil er | |
lieber zurück auf die Straße gehen würde, als in die Unterkunft in | |
Klotzsche zu ziehen.“, erzählt eine Aktivistin. | |
Begründet werden die Umzugspläne vom Sozialamt damit, dass eine weitere | |
Unterkunft in Dresden für Wohnungslose abgerissen und neu gebaut werden | |
soll. Das werde wahrscheinlich zwei Jahre in Anspruch nehmen. Die Menschen, | |
die bisher dort gewohnt haben, sollen nun in die Unterkunft in die | |
Pieschen, dafür sollen 20 Menschen, die hier wohnen nach Klotzsche. Die | |
wurden allerdings nicht per Zufallsprinzip ausgewählt, erklärt das | |
Sozialamt. | |
Aufgrund von individuellen gesundheitlichen Beeinträchtigungen liegen bei | |
den ausgewählten Personen besondere Bedarfssituationen vor. Die Wetterwarte | |
in Klotzsche werde diesen Bedarfssituationen gerecht, heißt es. So sei sie | |
zum Beispiel barrierefrei. „Eine Rampe zum Eingang der Unterkunft ist aber | |
aus Stahl, das heißt, wenn es regnet und die Rampe nass ist, ist das | |
gefährlich.“, so ein Aktivist. | |
## Besuch der Sozialbürgermeisterin | |
Der Plan, die Wohnungslosen nach ihren jeweiligen Bedarfssituationen | |
unterzubringen, ist Teil des sogennanten [1][Wohnungsnotfallhilfekonzepts], | |
das im vergangenen Jahr vom Dresdner Sozialamt herausgebracht wurde. Bei | |
der Ausarbeitung des Konzepts sei der freie Träger der Unterkunft in | |
Pieschen – die [2][Suchtzentrum gGmbH] – nur am Anfang beteiligt worden, | |
später nicht mehr so sehr, heißt es dort auf Nachfrage. | |
Das Suchtzentrum betreibt auch Unterkünfte in Leipzig und Chemnitz. „Mit | |
den Sozialämtern in den beiden Städten und auch mit dem Gesundheitsamt hier | |
arbeiten wir sehr partizipativ und auf Augenhöhe zusammen.“ Mit dem | |
Dresdner Sozialamt sei das Verhältnis schon immer anders gewesen. | |
Mittwoch war also der dritte Tag in Folge, an dem sich bis zu 40 Menschen | |
ab acht Uhr morgens vor der Unterkunft für Wohnungslose versammelt haben, | |
um einen Umzug von Bewohnern gegen deren Willen zu verhindern. Einen Tag | |
zuvor hat ab 8.45 Uhr sogar die Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann von | |
der Partei Die Linke vorbeigeschaut. Zu einer Einigung mit den | |
Aktivist*innen kam es aber nicht. | |
„Sie hat uns und die Bewohner in Pieschen zum Sommerfest am 6. September in | |
der Unterkunft in Klotzsche eingeladen und uns aufgefordert, uns die | |
dortige Unterkunft mal anzugucken.“, erzählt eine Aktivistin der taz. Warum | |
die betroffenen Personen sich die Unterkunft nicht erst anschauen und dann | |
entscheiden dürften, ob sie dorthin umziehen wollen oder nicht, ist für die | |
Aktivist*innen nicht nachvollziehbar. | |
## Aktivist*innen werden wieder hier sein | |
Für Mittwoch 12 Uhr war der Umzug von Rene geplant. Bereits um 9.40 fährt | |
ein weißer Kleintransporter auf den Hof der Unterkunft, ein Mitarbeiter des | |
Sozialamts sitzt hinterm Steuer. Der führt ein kurzes 4-Augen-Gespräch mit | |
Rene, aber dann passiert lange Zeit nichts, die Aktivist*innen halten die | |
Einfahrt blockiert. Sie haben Frühstück und Kaffee mitgebracht. | |
Dann, um 14 Uhr nähert sich ein weiterer weißer Kleintransporter der | |
Unterkunft mit der Aufschrift „Wohnprojekt Zur Wetterwarte 34“. Außerdem | |
kommt noch ein Sozialamt-Mitarbeiter. Er führt mit seinem Kollegen | |
Gespräche mit Rene und anderen Bewohnern, die umziehen sollen, kommt wieder | |
raus, fragt die Aktivist*innen, wie lange sie noch gedenken, die Einfahrt | |
zu blockieren. Deren Antwort ist eindeutig: „Solange bis Sie uns zusichern, | |
dass keine Person hier gegen ihren Willen umziehen muss. Es müssen | |
Gespräche auf Augenhöhe mit den Leuten geführt werden.“, antworten einer | |
der Aktivist*innen, die in der Einfahrt sitzen. Der Sozialamt-Mitarbeiter | |
erläutert die Notwendigkeit des Umzugs und die Vorteile der Wetterwarte, | |
die Aktivist*innen beharren auf ihrer Forderung – das Gespräch dreht sich | |
mehrmals im Kreis. | |
Währenddessen packen zwei Bewohner ihre Sachen – einer ist bereit, | |
umzuziehen, der andere zieht aus Solidarität mit ihm um. Doch als der weiße | |
Kleintransporter mit der Aufschrift auf die Einfahrt fahren soll, springt | |
er nicht an. Die Situation wirkt absurd. Es wird ein Reparaturservice | |
geholt, dann müssen die Fahrerin des Transporters und Mitarbeiter der | |
Unterkunft das Fahrzeug anschieben, damit es schließlich doch wieder | |
anspringt. Die Aktivist*innen lassen es auf den Hof fahren, Umzugskartons | |
werden durch ein Fenster eingeladen, die zwei Bewohner steigen ein. Der | |
Unterkunftsleiter ruft dem abfahrenden Auto Abschiedsworte nach. | |
Die Aktivist*innen packen nach und nach ihre Sachen und machen sich nach | |
fast acht Stunden Ausharren auf den Weg nach Hause. Der Tag war zwar | |
anstrengend, hat sich für sie aber gelohnt: Niemand musste heute gegen | |
seinen Willen umziehen. Damit das auch in Zukunft nicht passiert, ist für | |
sie klar: Sobald sie von nächsten Umzugsterminen für weitere der 20 | |
geplanten Personen erfahren, werden sie wieder hier sein. Am Donnerstag war | |
nach drei Tagen erstmals kein Umzug geplant. Für Freitag sieht das schon | |
wieder anders aus. | |
22 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dresden.de/media/pdf/sozialamt/Wohnungsnotfallhilfekonzept_2018… | |
[2] https://www.suchtzentrum.de/ | |
## AUTOREN | |
Juliane Fiegler | |
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