# taz.de -- Die Kulturszene vor der Sachsen-Wahl: Es steht was auf dem Spiel | |
> Muss Dresdens vitale Kulturszene Angst vor dem Wahlergebnis in Sachsen | |
> haben? Zwischen Kapitulation und Jetzt-erst-recht. | |
Bild: Seit 2015 zieht die Tolerade, Menschen aus Clubszene und Zivilgesellschaf… | |
Berlin taz | Es braucht dieser Tage nicht viel, um in Dresden auf das eine | |
Thema zu kommen, das hier alle bewegt. Joachim Klement hat sich in seinem | |
Büro hoch oben [1][im Schauspielhaus] gerade gesetzt, da spricht er schon | |
über [2][Jörg Urban, den Spitzenkandidaten der AfD in Sachsen]. Jener | |
Partei, die sich zu einer „deutschen Leitkultur bekennt“ und sich in | |
Sachsen eine weitestmöglich entpolitisierte Kultursphäre wünscht. Urban | |
selbst denkt darüber nach, von staatlicher Seite Einfluss auf Spielpläne | |
und Ausstellungen zu nehmen. | |
„Sehen Sie“, sagt Klement und zeigt auf die Sächsische Zeitung, „der Mann | |
wird hier als ‚wendig‘ bezeichnet. Also: Das ist jemand, der sich [3][beim | |
Kyffhäuser-Treffen des ‚Flügels‘] blicken lässt. Er grenzt sich in keins… | |
Weise vom rechtsextremen Rand ab. Dieser Mann ist alles andere als wendig.“ | |
Klement sagt das mit leiser, heller Stimme, in der dennoch viel | |
Entschlossenheit liegt. Den Zeitungsausschnitt legt er auf den Tisch, „Der | |
Wendige“ ist auch die Überschrift des Porträts. Ein Wort, in dem nicht | |
zufällig auch das Wort Wende steckt. | |
Joachim Klement ist seit zwei Jahren Intendant des wichtigsten Theaters | |
der Stadt, direkt gegenüber dem Zwinger. Klement hat in Graz, Düsseldorf, | |
Bremen und Hamburg gearbeitet, nun erstmals im Osten. Als Wessi. „Da höre | |
ich natürlich oft: ‚Ihr aus dem Westen habt ja keine Ahnung vom Osten.‘ Ja, | |
das stimmt. Umgekehrt gilt das aber auch, ich kenne das Ruhrgebiet sehr | |
gut, das auch seine ganz eigenen Strukturprobleme hat. Dann denke ich, | |
niemand aus Dresden würde dort tot überm Zaun hängen wollen.“ | |
Das Staatsschauspiel weiß, wo es steht. Es hat sich 2014 der Initiative | |
Weltoffenes Dresden angeschlossen, mit [4][„Das blaue Wunder“] kommt hier | |
aktuell ein sehr schlicht gegen die AfD polemisierendes Stück von Volker | |
Lösch auf die Bühne. Das Theater hat auch die [5][„Dresdener Erklärung der | |
Vielen“] unterzeichnet, in der davor gewarnt wird, dass AfD, Pegida und | |
Identitäre Bewegung in Sachsen „Hand in Hand“ arbeiteten. Klement: „Man | |
könnte das als Verletzung des Neutralitätsgebots betrachten. Aber es sind | |
einfach nur Tatsachen.“ | |
## Streitende Stadt | |
Die Gräben, die sich in Dresden auftun, ziehen sich auch durch die | |
Kulturszene der Stadt. Schriftsteller Uwe Tellkamp war Erstunterzeichner | |
der „Erklärung 2018“, die sich gegen die „illegale Masseneinwanderung“ | |
richtete, die Deutschland „beschädige“. Die stadtweit geschätzte | |
Buchhändlerin Susanne Dagen schwamm in ähnlichem Fahrwasser. | |
Und erst im Mai gab es Zoff an der Hochschule für Bildende Künste, weil die | |
dortige Bibliotheksleiterin auf der Liste der AfD kandidierte. | |
Student_innen besetzten aus Protest die Bibliothek. Das Positive an | |
alledem: Die Stadtgesellschaft redet, streitet, debattiert wieder darüber, | |
was Konsens ist und was nicht. Und über ihr Dresdenbild. | |
Das Dresdenbild: ein vielschichtiges Gemälde, mehrfach überpinselt, teils | |
ausgetrocknet, mit ein paar frischen Farbtupfern. Wenn man die Geschichte, | |
die Sozialstruktur, die Selbst- und Fremdwahrnehmung betrachtet, ist wohl | |
keine deutsche Stadt (abgesehen von Berlin vielleicht) komplexer als diese. | |
Da ist die Besonderheit Dresdens als Residenzstadt, in der Muster des | |
Obrigkeitsdenkens besonders stark ausgebildet waren und der barocke Schein | |
regierte. Da ist der 13. Februar. Da ist das „Tal der Ahnungslosen“ während | |
der DDR-Zeit. Dann die Biedenkopf-Jahre, eine Art Adenauer-Zeit Sachsens. | |
Und so weiter. | |
## Vernetzen gegen Rechts | |
Die vitale Subkultur- und Kunstszene wird dabei oft übersehen. „Viele | |
machen es sich zu bequem mit dem Bild, das sie von Dresden haben. Es ist | |
immer falsch zu sagen, hier ist das Gute, und dort ist das Schlimme“, sagt | |
Leif Greinus, Betreiber des in Dresden und Berlin ansässigen Verlags Voland | |
& Quist. Greinus, 43, sitzt in der Scheune, einem Kulturzentrum in der | |
Dresdener Neustadt, neben ihm sein Mitarbeiter Björn Reinemer, 32, der | |
zudem Konzertveranstalter ist. Beide sind gebürtige Dresdener. | |
In der Gegend rund um die Scheune ballt sich die vielfältige Kultur der | |
Stadt. Mit Cafés, Kneipen und Street-Art, mit einem heterogenen Straßenbild | |
wie in St. Pauli oder Kreuzberg. Darüber hinaus hat Dresden Festivals wie | |
den Schaubudensommer, das Straßenfest Bunte Republik oder das Literatur | |
Jetzt!. „Alle Kulturakteure, die diese Vielfalt verteidigen wollen, sind | |
seit dem Aufkommen von Pegida und dem Erstarken der AfD näher | |
zusammengerückt“, sagt Reinemer, „Wir sind besser vernetzt, sprechen mehr | |
mit einer Stimme.“ | |
Manchmal aber rennen auch sie gegen Mauern mit ihrem Kulturbegriff. „Die | |
Angst vor Neuem und Fremdem ist in Dresden besonders ausgeprägt“, sagt | |
Greinus, „selbst Leute, die man eigentlich als progressiv einschätzen | |
würde, haben hier manchmal überraschend altbackene Ansichten. Als ich zum | |
Beispiel 2003 den ‚Poetry Slam‘ in Dresden etabliert habe, da sagten einige | |
Leute zu mir: ‚So etwas brauchen wir hier nicht.‘ “ | |
Es ist diese verhärtete Klientel, die die AfD in Sachsen gewinnen will. | |
Stimmung gegen weite Teile der Kulturszene macht die Partei schon jetzt. | |
Dem deutschlandweit bekannten [6][Europäischen Zentrum der Künste in | |
Hellerau] will sie die Mittel streichen. Und im Dresdener Stadtrat sorgte | |
ein rechtskonservatives Bündnis aus CDU und AfD Anfang Januar dafür, dass | |
eine von Rot-Rot-Grün geforderte Aufstockung der Mittel für die freie | |
Kulturszene von zwei Millionen auf 400.000 Euro eingedampft wurde. | |
## Bangende Clubs | |
Muss die Kulturszene Angst vor den Wahlen am 1. September haben? | |
„Wenn die Politik nach rechts rückt, muss sich die Clubkultur schon | |
fürchten, dass sie wieder ins Fahndungsraster gerät. Denn als Freiraum | |
steht sie ja exemplarisch für das Unbeherrschbare, die Unordnung, den | |
Rausch“, sagt Felix Buchta, Mitbetreiber des Clubs objekt klein a im | |
Dresdener Norden. „Aber wenn man ehrlich ist, macht sich auch Resignation | |
breit. Die Kommunalwahlen im Juni waren sachsenweit nicht gerade | |
berauschend, und etwas bange ist natürlich allen.“ | |
Buchta, 31, ein schlanker, ruhiger Typ mit Käppi, lebt seit zehn Jahren in | |
Dresden, er sitzt auf dem Außengelände des Clubs, den er seit zwei Jahren | |
mit einem Kollektiv betreibt. Zudem arbeitet er für den Verein Tolerave, | |
der einmal im Jahr die Tanzparade Tolerade ausrichtet. Auch Elisabeth Heinz | |
alias DJ Elfaux, die bereits häufiger im objekt klein a aufgelegt hat, ist | |
auf mehreren kulturellen Feldern unterwegs. | |
Heinz, 29, gebürtig aus Jena, war zum Beispiel an der im Juni | |
ausgerichteten Konferenz „Raumkon“ beteiligt, auf der über die Zukunft des | |
urbanen öffentlichen Raums debattiert wurde. Events wie diese, sagt sie, | |
seien häufig auf Crowdfunding angewiesen, denn die freie Szene habe es | |
schwer: „Die Arbeit mit der Stadt kann unglaublich zäh sein. Subkultur wird | |
oft von vornherein abgelehnt.“ Solche Sätze fallen mehr als einmal über | |
eine Stadt, die 2025 Kulturhauptstadt Europas werden will. | |
## Hoffen auf die Jungen | |
So bleibt der Eindruck, dass die Kulturszene zwischen Kapitulation und | |
Jetzt-erst-recht-Attitüde schwankt. Mal schlägt das Pendel zur einen, mal | |
zur anderen Seite aus. So auch bei Schriftsteller Marcel Beyer, der seit | |
1996 in Dresden lebt. „Es gibt hier einen Hang zur Griesgrämigkeit, den ich | |
überhaupt nicht verstehe“, sagt der 53-Jährige. | |
„Ich frage mich, ob das mit einer Generation – Menschen meines Jahrgangs | |
und älter – zu tun hat, die diese Verbitterung ausstrahlt. Ich setze auf | |
die jungen Leute. Die werden Ideen haben, die diese Generation gar nicht | |
haben kann.“ | |
Es ist eine Hassliebe, mit der der in Kiel und Neuss aufgewachsene Beyer | |
über seine Wahlheimat spricht. Beyer besucht auch gern Orte im Umland, die | |
noch viel mehr von lebensweltlicher Verödung bedroht sind. Aber was tun? | |
„Wandertheater helfen sicher nicht. Ich habe den Eindruck, der ganze | |
Kulturbereich kann wenig ausrichten, weil er so in die Defensive geraten | |
ist.“ | |
Es wundert am Ende wenig, wenn Theaterintendant Klement über seine | |
bisherige Dresdener Zeit sagt: „Das, was wir hier an Erfahrungen und | |
Auseinandersetzungen erleben, ist zentral, um die derzeitigen Konflikte in | |
der Gesellschaft zu verstehen. Ich möchte keine Sekunde missen.“ | |
Ob er Angst vor dem 1. September habe? „Angst? Ach Quatsch, überhaupt | |
nicht. Wir haben Haltungen. Und für die stehen wir. Die haben etwas mit | |
lebendiger Demokratie zu tun und mit unerschütterlichem Glauben, dass sich | |
die besseren Argumente durchsetzen.“ | |
25 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Agota-Kristof-im-Schauspiel-Dresden/!5481350 | |
[2] /Wie-Pegida-ins-Abseits-marschierte/!5530185 | |
[3] /Fluegel-Streit-der-AfD/!5606295 | |
[4] https://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/a-z/das_blaue_wunder/ | |
[5] https://www.dievielen.de/erklaerungen/Dresden/ | |
[6] https://www.hellerau.org/de/ | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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