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# taz.de -- Besetztes Haus in Köln: DB schmeißt obdachlose Frauen raus
> Kölner*innen hatten für obdachlose Frauen ein leerstehendes Haus der
> Deutschen Bahn besetzt – und sie wollten es kaufen. Nun wurde es geräumt.
Bild: Seit zwei Jahren ist Erika Henning obdachlos, mit fast 80 wurde sie zur H…
Köln taz | „Meine Söhne wissen noch nicht, dass ich Hausbesetzerin geworden
bin“, sagt die 79-jährige Erika Henning. Sie sitzt auf einer
Kunstledercouch und räufelt ihren Rocksaum von den Knien auf die
Oberschenkel. Draußen sind 35 Grad und durch die offenen Fenster kommt
keine Brise. Vor der Couch steht ein Holztisch mit Kerzenständer, daneben
eine alte Schirmlampe. Das Bett ist eine Matratze in der Ecke.
Sie schaut sich im Zimmer um und lächelt mit Zahnlücken. „Es ist ein so
schönes Haus. Hohe Decken. Laminat – das ist vom Saubermachen her leicht.
Fließendes Wasser. Toilettenspülung. Ich kann eine Tür zumachen und meinen
Körper ausruhen. Alles ist so schön.“ Das war vor einer Woche.
Henning gehörte zu einer Gruppe obdachloser Frauen – die meisten über 70 �…
die in Köln anderthalb Wochen lang in einem vormals leerstehenden Haus
lebten. An diesem Mittwoch hat die Polizei das Haus geräumt, auf Drängen
des Eigentümers, der Deutschen Bahn.
Das Haus steht in Köln-Ehrenfeld, Vogelsanger Straße 230. Die „Elster“, w…
die Frauen es nannten, hat zwei Obergeschosse und einen Keller, Strom und
Heizung, Gas und fließendes Wasser. Seit Jahren steht es leer. Bis am 19.
Juli eine Gruppe von Kölner*innen das Haus besetzte.
## Nicht an die Besetzer*innen verkaufen
Die Besetzer*innen sind lose organisiert, einige gehören zum Autonomen
Zentrum Köln oder zur sozialistischen Selbsthilfe Mülheim, andere zu einer
Gruppe, die sich Frauen der 1006 nennt. Es sind obdachlose Frauen, die in
der Vergangenheit – angefangen bei der Bergisch-Gladbacher Straße 1006 –
selbst Häuser besetzten. Auch das Haus in der Vogelsanger Straße soll
anderen obdachlosen Frauen zur Verfügung stehen. Der Plan ist, das Haus von
der Bahn zu kaufen.
Doch die Bahn, genauer ihre Tochter DB Immobilien, will das Haus zwar
verkaufen, aber nicht an die Besetzer*innen und ihre Unterstützer*innen.
Aus aktuellen Statistiken der Landesregierung geht hervor, dass die
Obdachlosigkeit in Nordrhein-Westfalen binnen eines Jahres um fast 40
Prozent gestiegen ist. „Wohnungslosigkeit ist nach Hunger das schlimmste
Zeichen von Armut“, sagte Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). In Köln
bauen Bürger*innen für obdachlose Mitmenschen inzwischen Wohnkästen aus
Spanplatten. Die Stadt Köln hat rund 6.000 Menschen als wohnungslos
erfasst. Die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Nach Angaben der Stadt
ist vor allem die Zahl der wohnungslosen Frauen gestiegen.
42 Jahre lang hat Erika Henning gearbeitet und alleinerziehend drei Söhne
großgezogen. Ihr ältester Enkel ist 27 Jahre alt und studiert in Weimar.
Zweimal hat sie Krebs überlebt. Dann keine Wohnung gefunden, trotz Rente.
Mit 77 wurde sie obdachlos. In den zwei Jahren ihrer Obdachlosigkeit hat
Erika Henning in Bahnhöfen geschlafen. Mehrfach sei sie bestohlen und
geschlagen worden, auch in Notunterkünften. „Ich bin 1940 geboren: Ich
musste mich immer durchbeißen“, meint sie nur.
„Wir helfen uns gegenseitig, das war die Idee“, sagt eine 22-jährige
Kölnerin, die die obdachlosen Frauen schon länger unterstützt. Sie nennt
sich Sascha Fink und war eine von vielen Unterstützer*innen, die Betten und
Matratzen organisierten, Lebensmittel heranschafften und sich um
Verhandlungen mit der Deutschen Bahn bemühten.
## Oben Wohnen, unten Beratung
„Frauen, die obdachlos waren oder sind, sprechen andere Frauen an und
helfen“, erläutert Fink die Idee für die neue Nutzung der Vogelsanger 230.
„Wenn du eine wohnungslose Frau bist, konntest du einziehen.“ Ziel war es,
in der „Elster“ ein feministisches soziales Zentrum zu schaffen. Oben
Wohnen, unten Platz für Frauenberatungsstellen. Zwei Kölner Initiativen,
denen gerade die Räume gekündigt wurden, sollten mit einziehen.
Auch die Nachbarschaft stellte sich auf die „Elster“ ein. Ein Supermarkt in
der Gegend legte Lebensmittel zur Abholung raus, die sonst in der Tonne
gelandet wären. Ein Kioskbesitzer kam mit kostenlosem Eis vorbei und gab
Rabatt. „Nette Leute“, sagt der Mann hinter dem Kiosktresen über die neuen
Nachbarn*innen. „Das Haus stand so lange frei. Und die Thematik und die
Forderung nach Mieten, die man bezahlen kann, finde ich gut.“
Handwerker*innen seien vor Ort gewesen, hätten Leitungen und Rohre geprüft,
erzählt Fink. Zwei Architekt*innen hätten bewohnbaren Zustand bescheinigt.
Nachdem sie das Haus besetzt haben, hätten die Besetzer*innen direkt bei
der Bahn angerufen, erzählt Fink. „Wir haben auch angeboten, einen
Zwischennutzungsvertrag anzufertigen, damit die DB schon vor dem Kauf aus
der Haftung raus ist.“ Die Bahn habe es zur Bedingung für Gespräche
gemacht, dass die obdachlosen Frauen das Haus verlassen.
## Und dann kam die Polizei
Der taz allerdings teilte eine Bahnsprecherin bereits zu diesem Zeitpunkt
mit, eine Nutzung als Bleibe für obdachlose Frauen sei generell „nicht
realistisch“. Das Gebäude halte man als Wohnraum generell für ungeeignet.
Und: „Andere Nutzungsideen können derzeit aus Sicherheitsgründen nicht
möglich gemacht werden.“ Das Grundstück solle verkauft werden – aber nicht
an die Besetzer*innen. „Im Falle eines Verkaufs muss das Gebäude
gegebenenfalls sogar abgerissen werden.“
Am Dienstag ging eine Abordnung der Besetzer*innen schließlich zum Sitz der
DB Immobilien. „Wir wollten sie bitten, wenigstens mit uns zu verhandeln“,
sagte Fink. „Wir wollten das Haus kaufen und haben nicht verstanden, warum
dafür erst obdachlose Frauen auf die Straße gesetzt werden sollen.“
Bei der DB Immobilien wurde die Gruppe empfangen und tatsächlich zum
Gespräch gebeten, das nach etwa zehn Minuten abrupt endete. Vier
Polizeibeamt*innen betraten den Raum. Die Besetzer*innen waren empört,
verließen aber das Gebäude. „Sie reden von Investoren, mit denen sie
zusammenarbeiten, und rufen im Hintergrund die Polizei“, sagt Fink.
„Bitter.“
Am Tag nach dem Gesprächsversuch der Besetzer*innen, hat die Polizei das
Haus auf Strafanzeige der Bahn geräumt. Mindestens vier Menschen wurden in
Gewahrsam genommen. Erika Henning lebt nun nicht mehr dort. Sie lebt wieder
auf der Straße.
31 Jul 2019
## AUTOREN
Anett Selle
## TAGS
Deutsche Bahn
Obdachlosigkeit
Hausbesetzung
Köln
Schwerpunkt Landtagswahlen
Kinderarmut
Canan Bayram
Obdachlosigkeit in Hamburg
Hannover
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