Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pop-Kultur Festival: Unterkomplexe Debatten
> Bei der Pop-Kultur widmeten sich zwei Talks Antisemitismus und Sexismus
> im HipHop. Die Diskussionen gingen nicht über Offensichtliches hinaus.
Bild: Rappt besser als viele männliche Kollegen: Haiyti hat im Juni ihr Album …
Deutschrap trieft nur so vor antisemitischen Zeilen und sexistischen Posen.
Da sind Kollegah und Farid Bang, die mit einer hirnlosen Analogie
Holocaustüberlebende beleidigen. Da ist der Gangstarapper Gzuz, der
jenseits seiner obligatorischen Penetrationsandrohungen auf einem Festival
eine Frau sexuell belästigt haben soll. All das gilt es zu bekämpfen. Bloß
wie?
Gut, dass sich beim vergangenen Freitag zu Ende gegangenen Festival
Pop-Kultur in der Kulturbrauerei gleich zwei Talks dieser Fragen angenommen
haben. Einer davon, mit dem originellen Titel „I’ve got 99 problems but
being a feminist listening to rap ain’t one“ ließ die Journalistinnen Lena
Grehl und Miriam Davoudvandi mit der Wiener Rapperin Ebow über Sexismus im
HipHop debattieren.
Für wen dieser Zusammenhang bisher eher abstrakt, wenn auch unhinterfragt
blieb, der bekam hier einige konkrete Fakten zu hören. Davoudvandi,
ehemalige Chefredakteurin des Magazins splash!, analysierte nüchtern,
welche politökonomischen Dimensionen das Problem hat: Spotify-Playlists wie
Modus Mio, in der keine einzige Künstlerin vorkommt, Festivals wie Splash,
deren Line-ups fast leer sind, wenn man die männlichen Namen mit einem
Bildbearbeitungsprogramm ausblendet. Rapperin Ebow ergänzte die Analysen
mit Anekdoten über Klischees: Labels, die sich bei Künstlerinnen vor einem
komplizierten Umgang fürchten, weil sie eben Frauen sind, und lieber einen
unerfahrenen Kerl unter Vertrag nehmen. Ebow trocken: „Wollen die jetzt,
dass ich rappe oder nicht?“
Spätestens seit einer WDR-Doku über die Affäre beim Musikpreis „Echo“ ist
der Komplex Antisemitismus im HipHop Aufregerthema über die Szene hinaus.
Die Journalistin Jasmin Kröger hat deshalb beim zweiten Tallk „Rap,
Antisemitismus, Identitätspolitik: über Verantwortung im Pop“ den Berliner
Rapper Ben Salomo und den Journalisten Jens Balzer befragt. Auffällig auch
hier: Mehr als einige Sätze bekam Kröger nicht los, die beiden Männer
sprachen pausenlos.
## Die enttäuschte Hoffnung
Salomo, geboren in Israel, aufgewachsen in Berlin, berichtete über eigene
Erfahrungen und nannte zahllose anschauliche Beispiele für offenen oder
strukturellen Antisemitismus in der Rapszene. Und er klagte darüber, dass
Antisemitismus in migrantischen Milieus toleriert werde: „Bei Nazis sagen
wir ja auch nicht: Die sind halt so aufgewachsen.“ So weit, so gut. Balzer
stellte Analogien zwischen rechten und migrantischen Identitätspolitiken
her, auch mit Verweis auf die antisemitische Boykottkampagne von BDS.
Ohnehin einigten sich er und Ben Salomo immer wieder darauf, dass die
Gefahr des Antisemitismus von Rechts- und Linksextremisten gleichermaßen
ausgehe.
Niemand stellt in Abrede, dass es linken Antisemitismus gibt: Nur geriet
der Exkurs von Salomo und Balzer in ihrem allzu banalen
Extremismustheoriegedöns, einer ständigen Gleichsetzung sowie die
Behauptung einer vermeintlich gesunden Mitte, zur Enttäuschung für alle
jene, die sich tatsächliche gesellschaftskritische Einblicke in die
deutsche Rapszene erhofft hatten. Eine Hoffnung, die sich darin begründet,
dass die Kritik von identitären Herrschaftsverhältnissen und ewiggestrigen
Welterklärungsideologien mittlerweile – zum Glück! – im Mainstream
angekommen ist. Es wäre jedoch höchste Zeit, mit komplexeren Analysen die
Wurzeln dieser Ideologien zu identifizieren.
Bei beiden Debatten war zu merken, dass der Anspruch des Festivals,
gleichermaßen musikalisch und gesellschaftlich als Avantgarde zu wirken,
noch nicht ganz griff. Denn die Reflexionsversuche verharrten auf dem Level
des Mainstream, das heißt auf einem feststellenden und bedauernden, immerzu
deskriptiven Modus.
Dabei gäbe es so viele spannende Fragen, die nicht nur den HipHop, sondern
die Gesellschaft als Ganzes weiterbringen könnten: In welchen Milieus
entsteht diese Musik? Wie funktionieren diese Milieus sozial, ökonomisch,
psychologisch? Warum funktionieren antisemitische und sexistische
Ideologien in diesen Milieus?
29 Aug 2019
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Popkultur
Popkultur-Festival
HipHop
Rapper
Antisemitismus
Sexismus
Echo
Kollegah
Toleranz
Schwerpunkt Rassismus
Lesestück Interview
Haiyti
Kollegah
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umgang mit verbaler Diskriminierung: Das Toleranz-Dilemma
Wie sollte man auf diskriminierende Äußerungen im Alltag reagieren? Zu
argumentieren, wäre zu viel der Toleranz. Aber Schweigen geht auch nicht.
Rapperin Ebow über Identität: „Wir müssen nicht mehr stark sein“
Ebow rappt gegen Rassismus, kulturelle Aneignung und Sexismus. Gangster-Rap
verteidigt sie trotzdem. Ein Gespräch über Zusammenhalt in den eigenen
Reihen.
Die Musikerin Mona Mur im Interview: „Den Finger in die Wunde legen“
Sie ist seit 1982 im Musikgeschäft und will keine musikalischen Kompromisse
machen: Mona Mur tritt beim Pop-Kultur-Festival auf.
Rapperin Haiyti: Jet-Set-Diva im Gaunermilieu
Der Haiyti-Pop ist voller Widersprüche. Von Chanel bis Gansterrap beackert
die 26-jährige Hamburger Rapperin alle Register des Glamour.
Kommentar zur Kollegah-Entscheidung: Grenzgänger brauchen Grenzen
Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft meint, brutale und Minderheiten
verachtende Textzeilen seien vom Recht auf Kunstfreiheit gedeckt. Ein
fatales Signal.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.