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# taz.de -- Musikszene in Sachsen: Der Klang-Hacker
> Der Dresdner Künstler Moritz Simon Geist arbeitet an der Zukunft der
> Musik – mit digitalen Klängen, die er von analogen Instrumenten erzeugen
> lässt.
Bild: Simon Geist, 38, will nicht nach Berlin
Dresden taz | Es müssen schon 3-D-Drucker sein. Drei Exemplare davon,
übereinander in einem Regal angeordnet, stehen in der Werkstatt des
Dresdner Künstlers Moritz Simon Geist. Wie am Fließband produzieren sie
kleine Plastikteile, passgenau designt für die Maschinen, die der Künstler
hier zusammenbaut. In einem monotonen Surren gehen sie ihrem Tagwerk nach.
Die Geräte, in die der 38-jährige Geist die gedruckten Teile verbaut,
sollen auch mal klingen. Es sind robotische Instrumente, Geist nennt sie
„Sonic Robots“ – Schallroboter. Diese erzeugen auf physikalische Weise
Klänge, die andere Technoproduzenten digital mit Programmen auf ihren
Computern erzeugen; umgebaute Laufwerke machen bei Geist Klickgeräusche,
mit Hydraulik ahmt er die Hi-Hat nach oder kleine Motoren schlagen auf
Metall. Dabei klingt seine Musik, als wäre sie im Computer entstanden. „Es
geht darum, den Klang aufzubrechen aus den Strukturen, die es jetzt gibt;
von dieser klassischen Produktion von elektronischer Musik möglichst weit
wegzugehen“, erklärt Geist seinen Ansatz.
Anschaulich wird das bei seinem ersten Projekt, der MR-808, dass er 2013
fertiggestellt hat. Als Vorlage nimmt er sich den Drumcomputer Roland
TR-808 aus den achtziger Jahren, der unter HipHop- und
Elektronikproduzent*innen Kultstatus genießt. Eigentlich soll ein
Drumcomputer Klänge, die ein Schlagzeug macht, künstlich generieren. Geist
kehrt das mit seinem Roboter um. Er baut eine Maschine, die Becken,
Trommeln und andere Perkussionsinstrumente mit mechanischen Hebeln
anschlägt – und genau so klingt wie die klassische TR-808.
Er braucht drei Jahre dafür, „Ich wusste anfangs gar nicht wie man das
macht, die Kunst“, sagt Geist rückblickend. Während er an seinem ersten
Projekt arbeitet, ist Geist eigentlich auf dem Weg zu einer ordentlichen
Ingenieurskarriere. Damals absolviert er gerade ein PhD-Programm mit dem
Schwerpunkt Halbleitertechnik. Das hat er an sein Mechatronikstudium
angeschlossen, für das er im Jahr 2001 aus seiner Heimatstadt Göttingen
nach Dresden gezogen ist.
## In Berlin kann er sich nicht konzentrieren
Geist kommt aus einer musikalischen Familie. Er genießt eine klassische
Ausbildung am Klavier und an der Klarinette; später lernt er Bass und
Gitarre und spielt in Noisebands. Schon damals baut er seine eigenen
Gitarreneffekte aus alten Radios. Für das Studium entscheidet er sich aber
für etwas „Handfestes“, wie er sagt, da er sich nicht traut Musik zu
studieren. Sein erstes Projekt, die MR-808, ist also nur eine logische
Kombination aus seiner Musikalität und seinem Technikverständnis.
Die MR-808 beschert ihm viel Aufmerksamkeit und Anerkennung in der
Medienkunstszene. „Ein Number-one-Hit“, sagt Geist. Sein Roboter wandert
seitdem von einem Kunstfestival zum nächsten. Im September wird er sogar
auf der [1][Biennale in Venedig] zu sehen sein. Durch den Erfolg ermutigt,
bricht er seinen PhD ab und konzentriert sich nur noch auf die Kunst.
Geist entwickelt daraufhin weitere Musikroboter, kombiniert sie jeweils
miteinander und tritt live mit ihnen auf. Irgendwann fängt er an, ein
kleines Team zu beschäftigen, das ihm beim Bau der Roboter hilft. Er tourt
vor allem im Ausland, deshalb kommuniziert er auf seiner Homepage und
seinen sozialen Kanälen auf Englisch. Seit einiger Zeit macht eine
US-Marketingfirma mit Sitz in New York die Öffentlichkeitsarbeit für ihn.
Seine Werkstatt und sein Zuhause belässt er trotzdem in Dresden. Natürlich
habe er sich schon öfters überlegt, nach Berlin zu ziehen, „da ist mir aber
zu viel los, da kann ich mich nicht konzentrieren“. Außerdem können nicht
alle immer nur wegziehen, findet Geist, es müsse auch mal jemand im Osten
bleiben. „In Berlin bist du nur einer von Tausend, da kann man nicht viel
beitragen. Hier in Dresden schon.“
## Sachsens Clubkultur positioniert sich gegen rechts
Tatsächlich verfügt Sachsen über eine [2][gewachsene Technoszene], die sich
über mehrere Städte erstreckt. Die größte Strahlkraft hat der Leipziger
Club Institut für Zukunft, der zu den besten Clubs in Deutschland zählt.
Außerdem haben sich wichtige Szenelabels in dem Bundesland etabliert:
Raster-Noton in Chemnitz und Uncanny Valley in Dresden. Seit 2014 gibt es
in Dresden mit dem Dave Festival zudem ein eigenes Festival für Clubkultur.
Diese Entwicklungen findet Geist wichtig. Mit der Clubkultur, die sich in
Sachsen klar gegen rechts positioniert, könne man junge Menschen erreichen.
Denn in Dresden und Sachsen gibt es mit rechten Strömungen definitiv ein
Problem.
Gleichzeitig überrascht es ihn nicht, wie er sagt: „Diese sehr konservative
Einstellung war schon immer da, aber es wird immer schlimmer mit der AfD.“
In Dresden gebe es eine extrem konservative bis rechte Masse, die sich dann
bei Pegida treffe. Das ist erst recht ein Grund für ihn, in Dresden zu
bleiben. Eine Stadt brauche eine Basis an Kulturschaffenden, die die
Stellung halten, andere Initiativen unterstützen und eine Alternative
bieten.
Von der kommenden Wahl in Sachsen macht er sich keine Illusionen. Die AfD
werde stark abschneiden, das würden die meisten hier erwarten. Umso
wichtiger, dass sich eine starke Koalition dagegen formiere. Gefährlich
könne es nur werden, wenn die ohnehin schon konservativen Stimmen in der
CDU mit den rechten Stimmen der AfD zusammentreffen und dann so
Einzelentscheidungen beeinflussen, meint er.
## Vertraute Klänge in fremder Form
Doch wie er das Politische mit seiner Kunst verbinden könne, darüber denkt
er in letzter Zeit öfters nach, sagt Geist. „Ich fühle mich der
Lokalpolitik hier schon verhaftet, aber gleichzeitig beschäftige ich mich
mit so abstrakten Themen wie der Mensch-Maschine-Interaktion, das in meiner
Kunst zusammen zu bringen, ist schwierig.“
„Am Ende zählt die Aktion“, sagt Geist. Deshalb unterstützt er
zivilgesellschaftliche Initiativen, beteiligt sich an Soliabenden und tritt
dort auf. Außerdem positioniert er sich als Person des öffentlichen Lebens.
Das findet er wichtig, „wer schweigt, macht mit“, sagt Geist.
In seiner Werkstatt in Dresden liegen Platinen und kleine Geräte herum,
über der Werkbank sind kleine Schubladen mit elektrischen Widerständen und
Schrauben darin. Begeistert wie ein kleiner Junge wirbelt der 38-Jährige
durch den Raum und zieht alle möglichen Roboter und Prototypen hervor,
erklärt, wie sie funktionieren, und führt sie vor. Geist ist groß und
schlaksig, seine langen Haare, die er an der Seite kurz trägt, streicht er
sich immer wieder aus dem Gesicht. Er nimmt eine Metallabdeckung zur Hand,
schlägt mit einem Schlägel darauf und es erklingt ein hoher Ton: „Daraus
will ich unbedingt noch etwas bauen“.
Für Geist ist alles ein potenzielles Bauteil, in seinen Händen ist nichts
sicher. Das ist für ihn Hacking, also dass Dinge für etwas benutzt werden,
für das sie eigentlich nicht gedacht sind. Neben den 3-D-Druckern steht ein
altes Claviset, ein Tasteninstrument. Er hat es auf dem Flohmarkt erworben,
altes Familienerbstück, er solle gut drauf aufpassen. „Dass ich das
verbauen möchte, hab ich ihm natürlich nicht gesagt“, sagt Geist und lacht
auf. Aber das ist, was seine Kunst ausmacht, er spaltet die Dinge auf und
setzt sie neu zusammen. „Ich möchte den Klang von möglichst vielen Seiten
beleuchten und auf möglichst granularer Ebene anschauen“, sagt Geist.
So schafft er vertraute Klänge in fremder Form. Wie seine Roboter
funktionieren, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, sie haben keine
Ähnlichkeit mit klassischen Instrumenten. Das macht Geist bewusst, dadurch
möchte er Referenzen an bereits Existierendes vermeiden und mit seiner
Kunst Zukunftsszenarien entwerfen. „Ich sehe meine Lebensaufgabe darin, als
Künstler Entwicklungen vorwegzunehmen oder zu visualisieren; ich denke, das
sollte die Aufgabe von vielen Künstlern sein.“
Momentan arbeitet Geist an seinem nächsten Roboter. In ihm wird er Röhren
eines Vibraphons – ein Schlaginstrument, das klanglich und optisch einem
Xylophon ähnelt – verbauen, eine zweieinhalb Meter hohe Skulptur soll so
entstehen – „wie eine Explosion im Raum“. „Langfristig“, sagt er, „…
darum, mich als Musiker auf der Bühne abzuschaffen.“ Dann kann er sich
schließlich ganz auf die Konstruktion seiner Roboter konzentrieren.
25 Aug 2019
## LINKS
[1] /58-Biennale-Venedig/!5594560
[2] /Technofestival-Balance-in-Leipzig/!5595341
## AUTOREN
Niklas Münch
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