| # taz.de -- Gründer über 25 Jahre Distillery Leipzig: „Einen geschützten R… | |
| > Der Technoclub Distillery wird ein Vierteljahrhundert alt. Einige, die | |
| > früher rausgeschmissen wurden, sind heute Stammgäste, sagt | |
| > Gründungsmitglied Steffen Kache. | |
| Bild: Im Sommer eine echte Alternative: der Garten der Distillery in Leipzig | |
| taz: Steffen Kache, wie ist Ihr Zugang zu Techno? | |
| Steffen Kache: Beim Ostradio DT 64 gab es Anfang der Neunziger eine Sendung | |
| mit Marusha, in der sie immer DJs zu Gast hatte, die später am Abend noch | |
| im Tresor oder Planet in Berlin aufgelegt haben. So hat sich der Virus über | |
| ganz Ostdeutschland verbreitet. Selbst die Dörfler haben mitbekommen, was | |
| in Berlin abgeht. Das Problem war aber, dass in Sachsen nirgendwo in den | |
| Clubs Techno gespielt wurde, weil die Diskoinhaber Angst hatten, dass der | |
| Sound ihre Gäste vertreibt. Erst allmählich haben auch dort und in Halle, | |
| Jena und Freiberg Leute angefangen, Clubs zu starten. | |
| Und in Leipzig haben Sie 1992 in einer stillgelegten Brauerei den illegalen | |
| Technoclub Distillery eröffnet. | |
| Ja, wir waren damals zu neunt. Eine Clique von Freunden, die bereits vorher | |
| ab und an Partys veranstaltet hat. Aber wir wollten etwas Eigenes. Und von | |
| dem Balkon eines Bruders von einem von uns konnten wir das Brauereigebäude | |
| sehen, das kurz zuvor geschlossen worden war. Da dachten wir, mal | |
| anschauen. Dann haben wir es leergeräumt, den Brauereibrunnen angezapft und | |
| einen Notstromaggregator aufgestellt. Los ging’s. | |
| So einfach war das? | |
| Ja, Anfang der Neunziger waren die Behörden mit sich selbst beschäftigt, | |
| daher gab es viele Freiräume, etwa leerstehende Fabrikhallen. Niemand hat | |
| sich damals Gedanken um Sicherheitsmaßnahmen gemacht. Das wäre heute | |
| undenkbar. Erst nach einem Jahr Betrieb haben wir 1993 die behördliche | |
| Aufforderung erhalten, den Laden dichtzumachen. Aus Protest sind wir als | |
| Party vors Rathaus gezogen – Anlage, Strobo und Nebelmaschine waren auf | |
| einem Lkw installiert, 1.000 Leute liefen hinterher. Das hat Eindruck | |
| gemacht, und wir haben ein Jahr Duldung bekommen. Die Versuche, das in | |
| legales Fahrwasser zu kriegen, scheiterten aber, weil die | |
| Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren, es keine Notausgänge gab und solche | |
| Dinge. Im Februar 1995 wurden wir rausgeschmissen, die Türen zugemauert. | |
| Wie hat die Distillery damals eine neue Location gefunden? | |
| Ein Freundin hat eine Anzeige in der Zeitung entdeckt: „Vermiete | |
| Lagergebäude“. Das haben wir gemietet und ausgebaut. Da gab’s weder | |
| Wasseranschluss noch Heizung, wir mussten wieder bei Null anfangen. | |
| Einziger Vorteil: Das Dach war dicht, und wir mussten nicht mehr den | |
| Notstromaggregator im Keller anwerfen. Wahrer Luxus! Wir sind dann alle | |
| behördlichen Schritte durchgegangen und bekamen die Genehmigung. | |
| Was hat Sie für den Job prädestiniert? | |
| Wir waren alle um die 19 Jahre, entweder gerade mit der Ausbildung fertig | |
| oder Abi abgeschlossen. Die meisten kamen aus dem Leipziger Umland. Kurz | |
| nachdem wir nach Connewitz gezogen sind, gab es eine Straßenschlacht. | |
| Solche Protestformen kannten wir Grünschnäbel gar nicht. Die Polizei | |
| dachte, dass wir gewaltbereite Linke sind. Die hat nie verstanden, wenn wir | |
| gesagt haben, „wir wollen Party machen“. Nach Schließung des ersten Ladens | |
| haben wir manchmal auf der Straße geravet. Begleitet von Hunderten | |
| Polizisten in Kampfmontur. | |
| Wie war der Kontakt zur linken Szene in Connewitz? | |
| Von Haus aus waren wir eher unpolitisch. Aber die fanden cool, dass es uns | |
| gab. Manche haben bei uns Bier geklaut. Einige wurden zu Stammgästen. | |
| Sind Sie unpolitisch geblieben? | |
| Die Einstellung hat sich verändert, als wir älter geworden sind. In | |
| gewisser Weise ist Techno immer politisch gewesen. Das Statement der Love | |
| Parade „Love, Peace, Unity“ sagt es doch deutlich. Man muss das schon | |
| vorleben: Gleichberechtigung und Toleranz gegenüber Homosexuellen – bei uns | |
| war all das von Anfang an geklärt. | |
| Die Distillery tauchte während des Hypes um Techno sogar in der Bravo auf. | |
| Ja, im Juni 1993 kamen Depeche Mode nach ihrem Leipzig-Konzert | |
| unangekündigt bei uns vorbei. Und in der Bravo stand dann, dass es Martin | |
| Gore in Leipzig am besten in der Distillery gefallen hat. Dann mussten wir | |
| Türsteher einführen, weil Leute kamen, die wir nicht als Gäste wollten. | |
| Warum nicht? | |
| Techno war damals noch ein zartes Pflänzchen. Bei seiner Hege mussten wir | |
| aufpassen, dass es nicht komplett von Normalos zertrampelt wird. | |
| Hat sich Ihre Türpolitik im Laufe der Jahre gewandelt? | |
| Damals konnte man beim Aussehen klar unterscheiden zwischen Dorfdiskoprolls | |
| und urbanen Technocheckern. Solche Unterschiede gibt es jetzt nicht mehr, | |
| alles ist vermischter. Heute wollen wir vor allem einen geschützten Raum | |
| bieten, in dem sich Leute gehen lassen können. Da passen dann Typen nicht | |
| rein, die nur glotzen oder Frauen blöd anmachen. | |
| Wie unterscheidet sich die Szene in Leipzig heute von ihren Anfängen? | |
| Damals mussten wir die Musik mühsam suchen. Techno war exotisch. Heute | |
| haben alle Zugang, daher kommen jetzt auch viele, die das früher gar nicht | |
| mitbekommen hätten. Ich hab auch den Eindruck, dass der Musikgeschmack der | |
| Leute breiter gestreut ist. Die gehen nicht nur zu unseren Raves, sondern | |
| auch mal in die Oper. | |
| Die Distillery wird immer als Wohnzimmer bezeichnet. Woran liegt das? | |
| Weil die Atmosphäre bei uns weiterhin familiär ist. Techno war hier immer | |
| eine Form von Liebe. Klingt vielleicht romantisch. Die Love Parade heißt ja | |
| nicht umsonst so. Wer sich darauf einlässt, begibt sich bei uns in eine | |
| Meditation. | |
| Gab es Momente, in denen Gefahr bestand, dass die „Distillery“ schließen | |
| muss? | |
| Auf jeden Fall. Anfang der Nullerjahre gab es zwei, drei Jahre, in denen | |
| sich der Laden wirtschaftlich kaum getragen hat. Da war auch das Personal | |
| auf das Minimum reduziert. Damals gab es viel Scheißmusik, das war eine | |
| komische Zeit. Schranz, diesen ultrastumpfen Technostyle, haben wir | |
| gehasst, und Minimal Techno war auch bald sterbenslangweilig. Erst 2007 hat | |
| sich das wieder differenziert, und seither läuft es bei uns auch stabil. | |
| Haben Sie deshalb angefangen, ihre Veranstaltungspalette jenseits von | |
| Techno zu erweitern? | |
| Bereits seit 2000 läuft am Freitag „urbane Musik“, also Reggae, HipHop und | |
| Drum ’n’ Bass. Einmal im Monat gibt’s einen Poetry Slam. Mal was anderes, | |
| ohne Musik, der ist um Mitternacht vorbei. Manchmal machen wir auch | |
| Diskussionsveranstaltungen. Vor der Bundestagswahl hatten wir alle | |
| Direktkandidaten zu Gast, was vielleicht auch dazu geführt hat, dass der | |
| CDU-Kandidat sein Direktmandat verloren hat. | |
| Sie selbst sind Mitglied der Grünen. Beißt sich das mit dem Nachtlebenjob? | |
| Die Zusammenarbeit kam dadurch zustande, dass wir denen Technik ausgeliehen | |
| haben. Das ist auch einer der Gründe, warum es die Distillery noch gibt, | |
| weil wir immer einen guten Draht zur Politik und zur Stadtverwaltung | |
| hatten. Ich wusste stets, an wen ich mich wenden muss. Ohne diese direkten | |
| Gesprächskanäle wäre es schwerer gewesen. | |
| Vor einem Jahr schrieb das Conne Island in einem offenen Brief, dass es | |
| durch Flüchtlinge, die sie als neue Gäste hatte, vermehrt zu sexuellen | |
| Übergriffen kam. Wie gehen Sie mit dem Thema um? | |
| Flüchtlingen muss geholfen werden, da gibt es keine Diskussion. Das Conne | |
| Island und das IfZ [Institut fuer Zukunft] haben da mehr gemacht als wir, | |
| verbilligten Eintritt zum Beispiel. Wir haben irgendwann festgestellt, | |
| dass es auch unter Flüchtlingen Idioten gibt, wie in jeder anderen | |
| Bevölkerungsschicht auch. Nur dass sich die Art und Weise, wie sich diese | |
| Idiotie ausdrückt, von der Mentalität unterscheidet, die wir gewohnt sind. | |
| Wenn sich ein Araber in seiner Ehre verletzt fühlt, zückt er eher ein | |
| Messer als ein Deutscher. Wie gehen wir damit um? Man kann mit allen reden. | |
| Einige, die wir mal rausgeworfen haben, weil sie Stress gemacht hatten, | |
| sind inzwischen Stammgäste. Denen haben wir deutlich gemacht, wie die | |
| Regeln sind. Das haben die auch verstanden. Große Männergruppen kommen bei | |
| uns per se schwerer rein – egal ob die aus Grimma sind oder aus Timbuktu. | |
| Wir haben uns dieses Wohnzimmer über Jahrzehnte aufgebaut, also lassen wir | |
| es uns auch von niemand kaputtmachen. | |
| Direkt neben dem Club wird ein neues Wohngebiet entstehen. Nach einer | |
| großen Demonstration und einer Onlinepetition mit 10.000 Unterschriften, | |
| sprach sich der Leipziger Stadtrat für den Verbleib der Distillery aus. Wie | |
| sieht die Zukunft aus? | |
| Die ist leider nicht gesichert. Nebenan werden definitiv Wohnhäuser gebaut | |
| und es gibt keinen Puffer. Was sollen wir machen, eine riesige | |
| Schallschutzmauer um den Laden hochziehen? Ich befürchte, dass wir | |
| irgendwann eine neue Location suchen müssen. | |
| 23 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Juliane Streich | |
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