# taz.de -- E-Mobilität in Berlin: Mehr neue E-Autos als Steckdosen | |
> In Berlin fahren 5.000 Carsharing-Autos, ein Drittel davon wird | |
> elektrisch betrieben. Um E-Mobilität ernsthaft auszubauen, mangelt es an | |
> Ladesäulen. | |
Bild: Steckdose besetzt: Ist die WeShare-Flotte in Berlin erfolgreich, wird es … | |
In gut zehn Jahren soll die Berliner Innenstadt frei von | |
Verbrennungsmotoren sein – so zumindest haben es die Berliner Grünen auf | |
ihrer Sommerklausur Anfang des Monats beschlossen. Eine angemessene | |
Infrastruktur für E-Mobilität könnte auf dem Weg zur emissionsfreien | |
Innenstadt 2030 helfen. Doch aktuell müssen 700 öffentliche Steckdosen | |
ausreichen, um allein knapp 1.800 E-Autos von Berliner Carsharing-Anbietern | |
regelmäßig mit Strom zu betanken – private E-Autos nicht mit eingerechnet. | |
Zählt man die Verbrenner hinzu, sind in Berlin über 5.000 Sharing-Autos | |
unterwegs. Daimler und BMW sind schon eine ganze Weile lang auf dem Markt | |
präsent und haben ihre Sharing-Dienste mittlerweile zur Marke ShareNow | |
zusammengeschlossen. Volkswagen ist vor zwei Monaten mit seiner Marke | |
WeShare als weiterer Player auf dem Berliner Markt dazugekommen. | |
VW fährt von den deutschen Automobilherstellern die am wenigsten | |
rückständige Elektrisierungsstrategie, das spiegelt die WeShare-Flotte | |
wider: Verbrennungsmotoren sucht der Nutzer unter den auf die Straße | |
gebrachten Volkswagen vergebens. 1.500 E-Golfs hat das Unternehmen seit | |
Ende Juni innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings verteilt; Anfang nächsten | |
Jahres will es 500 weitere elektrisch betriebene Fahrzeuge folgen lassen – | |
im Sommer 2020 dann noch mal eine dreistellige Zahl. | |
„Wir sind der Überzeugung, dass der Carsharing-Markt noch lange nicht | |
gesättigt ist und weiterhin Potenzial bietet“, sagt ein WeShare-Sprecher | |
der taz. VWs Markteinstieg heißt auch: Irgendwie müssen die vielen neuen | |
Autos regelmäßig aufgeladen werden. | |
## Längst nicht alle elektrifiziert | |
Nicht besonders fortschrittlich ist die Elektrifizierungsquote der anderen | |
Berliner Anbieter: Nur 120 der 2.600 Autos der ShareNow-Flotte von Daimler | |
und BMW sind elektrisch betrieben. SixtShare vom Autoverleiher Sixt ist mit | |
1.000 Autos präsent, davon 150 mit E-Motor. | |
Der Großteil dieser knapp 1.800 Gemeinschafts-E-Autos wird derzeit an den | |
etwa 700 öffentlichen Berliner Ladestellen aufgeladen. Laut der | |
Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz gibt es momentan etwa | |
370 öffentliche Ladeeinrichtungen in Berlin, viele davon mit zwei | |
Anschlüssen. Die Ladepunkte seien sowohl für private Nutzer als auch für | |
Carsharing-Anbieter gedacht. Ein weiterer Aufbau der technischen | |
Infrastruktur erfolge überall dort, wo eine entsprechende Nachfrage, auch | |
durch private Nutzer, vorhanden oder zu erwarten sei. | |
Genauso wie jede private NutzerIn lädt WeShare seine Flotte mit einzelnen | |
Tankkarten auf – ohne Sondertarif. Die Karten werden in die Ladestellen | |
gesteckt und der Strompreis der Ladung anschließend abgebucht. Wie viel | |
eine Kilowattstunde kostet, ist stark vom Betreiber der jeweiligen | |
Zapfsäule abhängig. The New Motion, einer der größten E-Auto-Stromanbieter | |
in Berlin, listet verfügbare Ladestationen inklusive des dort verlangten | |
Kilowattpreises in seiner App auf. Die Kosten schwanken zwischen wenigen | |
Cent für eine Kilowattstunde und 6 Euro pro Ladung. | |
Als Richtwert taugt der Preis einer Aufladung zu Hause: Dort kostet eine | |
Kilowattstunde etwa 30 Cent, die Aufladung an der Haussteckdose dauert | |
allerdings deutlich länger als an den leistungsstärkeren öffentlichen | |
Zapfsäulen. Auf 100 Kilometern verbraucht ein durchschnittliches E-Auto | |
etwa 15 kWh – das bedeutet einen Aufladepreis von ungefähr 4,50 Euro für | |
eine Fahrt von 100 Kilometern. | |
Zu seiner Flottenauslastung will WeShare derzeit keine Angaben machen, auch | |
Sixt äußert sich nicht. Ein Sprecher von ShareNow sagt der taz zur | |
Auslastung der Gesamtflotte des Unternehmens: „Unsere Fahrzeuge werden bis | |
zu 15-mal pro Tag angemietet. Die durchschnittliche Fahrtzeit liegt bei 20 | |
bis 40 Minuten pro Fahrt.“ | |
WeShare dürfte mit seiner Fahrzeugflotte ähnliche Auslastungswerte | |
anstreben. Wären die VW-E-Autos aktuell aber auch nur ansatzweise in dieser | |
Nutzungsfrequenz unterwegs, stünde das öffentliche Ladenetz vor dem | |
Kollaps. Rechnet man damit, dass in einer halben Stunde Stadtverkehr etwa | |
zehn Kilometer zurückzulegen sind, könnten die Fahrzeuge von ShareNow mit | |
einer maximalen Reichweite von 160 Kilometern höchstens 16-mal pro Tag | |
genutzt werden, sie brauchten also bei der angegebenen Auslastung nahezu | |
jeden Tag neuen Strom. | |
## Zu viele Autos, zu wenig Steckdosen | |
Die 1.500 Autos von WeShare haben eine Reichweite von maximal 200 | |
Kilometern und können dementsprechend etwa 20-mal ausgeliehen werden, bevor | |
ihnen der Saft ausgeht. Selbst bei nur zehn Leihvorgängen pro Auto und Tag | |
wäre jeden zweiten Tag eine Aufladung nötig und jeder der 700 Ladepunkte im | |
öffentlichen Raum einmal täglich durch ein WeShare-Auto belegt. | |
WeShare setzt deshalb für die Zukunft auf Supermärkte. Das Unternehmen hat | |
einen Deal mit der Schwarz-Gruppe vereinbart, der die Ketten Lidl und | |
Kaufland gehören. Auf den Parkplätzen der Geschäfte soll eine eigene | |
Infrastruktur aufgebaut werden, „bis Februar 2020 in drei Phasen bis zu 70 | |
Ladesäulen“, wie VW mitteilt. | |
Insgesamt sollen bis Ende 2020 140 Zapfsäulen stehen. Tagsüber seien die | |
Aufladepunkte für die Kunden der Supermärkte verfügbar, nachts habe VW mit | |
seinen E-Autos ein exklusives Nutzungsrecht. Man plant also schon für die | |
Zeiten, in denen die öffentliche Ladeinfrastruktur für die eigene Flotte | |
nicht mehr ausreicht. | |
ShareNow setzt für diese Zeiten auf Fahrradkuriere statt auf | |
Discounterparkplätze. Die Kuriere fahren durch die Stadt und schließen | |
mobile Ladestationen an entladenen E-Autos an. Ist der Akku voll, werden | |
die Stationen mit dem Rad wieder eingesammelt. | |
## Fünf Minuten Ladezeit | |
Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme indes | |
arbeitet am Ende der Ladestationen im Zapfsäulen-Format. Das Institut | |
entwickelt Mobilitätskonzepte für die Zukunft. Das aktuell | |
vielversprechendste Projekt ist ein Unterboden-Ladesystem. Ein Ladevorgang | |
soll dann genauso lange dauern wie einmal Tanken – etwa fünf Minuten. | |
NutzerInnen müssten einfach auf eine Stromstelle fahren und den Ladevorgang | |
starten. Nach wenigen Minuten sei genug Energie für eine Reichweite von 600 | |
Kilometern übertragen. Am Auto sei das dazugehörige Ladeteil einfach | |
einbau- oder nachrüstbar, das Gegenstück könnte zum Beispiel auf dem | |
Gelände von Tankstellen in den Boden eingelassen werden. 2027 soll sich das | |
Modell auf dem Markt etabliert haben. | |
Bis dahin aber braucht es weitere öffentliche Steckdosen – so sieht das | |
nicht nur VW, sondern auch die Verkehrsverwaltung. „Im Rahmen der aktuell | |
laufenden Ausbauphase werden weitere 400 Ladepunkte bis Ende des Jahres | |
2020 errichtet“, teilt eine Sprecherin der taz mit. Soll das E-Auto in | |
Berlin den Verbrennungsmotor bis 2030 ablösen, sind aber noch deutlich mehr | |
nötig. | |
27 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Lukas Waschbüsch | |
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