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# taz.de -- Kleiderkammer und Bürokratie: Das Glück in Prenzlau
> Sekine Flämig verließ ihr Land und fand ein neues Zuhause in Prenzlau.
> Dort ist sie Ausländerbeauftragte – und sieht manche Geflüchtete
> kritisch.
Bild: Sekine Flämig fühlt sich wohl in Prenzlau: „Die Leute sind freundlich…
Dresden taz | Neulich ist Sekine Flämig, 41 Jahre, geboren in Albanien, an
ihrer ersten Wohnung in Prenzlau vorbeigegangen. Und war froh. Sie
erinnerte sich an das Gefühl, als sie zum ersten Mal mit ihren beiden
Kindern in der Wohnung war. Und dachte: „Was ich für ein Glück habe.“
Eine Plattenbauwohnung im fünften Stock verbinden nicht viele mit dem Wort
Glück. Für Flämig war es das. Sie war 2015 mit ihren Kindern [1][aus
Albanien geflohen], vor ihrem Mann, der Familie, dem patriarchalen Zwang.
Sie kam nach Deutschland, weil sie gehört hatte, dass sie dort Schutz
bekommt. Erst 40 Tage im Heim in Eisenhüttenstadt, dann gleich eine eigene
Wohnung in Prenzlau [2][in der Uckermark in Brandenburg]. So ein Glück.
Sie hat braune Haare und eine braune Brille. Und braune Augen. Ihr Deutsch
ist so lala. Manchmal fehlen ihr Worte, ein Mangel, den sie durch
expressive Gesten ausgleicht. Sie spricht besser Italienisch als Deutsch.
Sie war 13 Jahre in Italien, bei Rom und in Rimini, und hat als
Hilfsköchin, Altenpflegerin, Fabrikarbeiterin Geld verdient. 2014 wollte
ihr Mann zurück nach Albanien. Sie floh vor der Enge und familiären Gewalt.
## Nicht anheimelnd, aber irgendwie Heimat
In Prenzlau engagierte sie sich in der Kleiderkammer für Geflüchtete, die
die Stadt 2015 eingerichtet hatte. Jetzt ist sie ehrenamtliche
Ausländerbeauftragte und kümmert sich um die kleinen Dinge, die für
Geflüchtete so wichtig sind. Einen [3][Brief der Verwaltung], ein
Schulproblem. Jeden Mittwoch ist Frauenfrühstück, freitags Erzählcafe.
Reden ist wichtig, auf Deutsch. „Wir haben alle ähnliche Geschichten. Wir
haben alle unser Land verlassen“, sagt sie.
Sie hat Asyl beantragt. Die Härtefallkommission des Landes Brandenburg
unterstützte ihren Antrag, Innenminister Schröter (SPD) lehnte ab. Das ist
nicht mehr so schlimm. Sie hat inzwischen einen Deutschen geheiratet.
Prenzlau hat nichts Anheimelndes. Die Artillerie der Roten Armee hat 1945
die historische Innenstadt pulverisiert. Frau Flämig, wie finden Sie
Prenzlau? „Sehr gut. Ich fühle mich, als wäre ich hier geboren und
aufgewachsen. Die Leute sind freundlich zu mir.“
Sie hat einen Job in einer Bürgerstiftung; nur für ein Jahr, aber immerhin.
Ihr Sohn ist dreizehn. Er geht auf das Gymnasium, spricht Deutsch,
Italienisch und Albanisch und war Klassensprecher. „Mir persönlich gefällt
in Prenzlau alles“, sagt sie.
## Kein Gefühl von Unsicherheit
Laut dem Verein Opferperspektive ist Prenzlau der gefährlichste Ort in
Brandenburg für MigrantInnen. 2018 notierte die Polizei 13 gewaltsame
Attacken auf Geflüchtete. Flämig kennt die Zahlen. „Die Opferperspektive
war oft bei uns“, sagt sie. Aber Prenzlau fühlt sich für sie anders an. Sie
macht gerade den Deutschkurs B2. Eine Muslima in dem Kurs war neulich in
Polen und wurde auf der Straße wegen ihres Kopftuchs angestarrt. „Das
passiert in Prenzlau nicht“, sagt sie.
Sie ärgert sich vielmehr über Geflüchtete, einzelne Geflüchtete. „Manche
glauben: Ich brauche nicht arbeiten, ich bekomme auch so Geld. Es gibt
welche, die eine Wohnung im vierten Stock ablehnen, weil ihnen das
Treppensteigen zu lästig ist. Manche Geflüchtete denken: Deutschland ist
gratis. Das regt mich auf.“
Neulich war sie im Bahnhof. Ein junger schwarzer Migrant hörte laut Musik
auf seinem Handy. Keiner der Wartenden protestierte. Sekine setzte sich
neben ihn und sagte: „Kannst du bitte dein Handy leiser machen?“
Der Zwanzigjährige antwortete: „Scheißdeutsche.“ Flämig hat Luft geholt …
gesagt: „Junge, ich bin wie du. Ich bin aus Albanien.“ Er hat die Musik
ausgemacht. Prenzlau ist klein. Man trifft sich, ob man will oder nicht.
Neulich hat sie den jungen Mann auf der Straße getroffen. Er hat genickt
und gesagt: „Hallo Schwester.“
7 Aug 2019
## LINKS
[1] /Albanien-als-sicheres-Herkunftsland/!5550469
[2] /Uckermark/!t5026582
[3] /Deutsche-Behoerdensprache-fuer-Fluechtlinge/!5525903
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Albanien
Flucht
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