Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rettung des Billen-Pavillon: Aufbruch statt Abbruch
> Der Wolfsburger Billen-Pavillon ist ein architektonisches Schmuckstück –
> und verfällt. Eine Ini bespielt ihn nun mit einem anspruchsvollen
> Programm.
Bild: In Wolfsburg ein seltenes Bild: So viele Freiwillige wollen den Billen-Pa…
Wolfsburg taz | Wohl selten haben sich in Wolfsburg, nicht gerade ein Hort
alternativen Aktivismus, so viele Freiwillige zusammengefunden, um einen
vernachlässigten Bau in Schwung zu bringen, ihn aufzuräumen, zur temporären
Nutzung einzurichten und auch noch ein anspruchsvolles Programm auf die
Beine zu stellen. Alles ehrenamtlich, versteht sich, auf Initiative von
Bernd Rodrian vom Institut Heidersberger und Ali Altschaffel, Fotograf und
künstlerischer Tausendsassa.
Der Bau, also dieser Billen-Pavillon, ist ein architektonisches Kuriosum,
gar ein Kleinod, und steht seit Ende 2012 unter Denkmalschutz. Was nicht
verhinderte, dass er in diesen beklagenswerten Zustand verfiel. Errichtet
wurde er 1959 als Büropavillon mit Kundenempfang, Sitzungsraum und
Bildhaueratelier der Firma Naturstein Billen.
Diese hatte mit der Stadtgründung 1938 einen Zweigsitz ihres Kölner
Unternehmens in der „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“, wie Wolfsburg
damals noch offiziell hieß, aufgeschlagen. Die rund eineinhalb Kilometer
langen neuen Fabrikanlagen am Mittellandkanal verlangten nach
Natursteinschmuck für ihre Eingänge oder Treppenhäuser, und das nicht zu
knapp.
In Köln ausgebombt, verlegte sich die Firma Billen nach 1945 dann gänzlich
nach Wolfsburg, wie die Stadt nun hieß, und fand hier neuerlich ein reiches
Betätigungsfeld in vielen Bauten der Nachkriegsmoderne: Rathaus,
Alvar-Aalto-Kulturhaus, Aaltos Heilig-Geist-Kirche, Scharouns Theater, das
VW-Hochhaus und einiges mehr. Seit 1970 war der Betrieb auch überregional,
gar international tätig, vorrangig im Bereich „exklusiven Innenausbaus“,
wie es so schön heißt, die Aufträge sollen bis nach Südafrika gereicht
haben.
## Insolvenz im Jahr 2010
Im Jahr 2010 musste Naturstein Billen dann Insolvenz anmelden, bereits um
1990 hatte die Stadt Wolfsburg als ökonomische Stützungsmaßnahme die
Firmenimmobilien erworben. Ein Hallenkomplex ist mittlerweile abgerissen,
der Grundstücksteil an einen Investor verkauft, der darauf bis 2021 einen
Büro- und Hotelkomplex errichten möchte. Verblieben in städtischem Besitz
ist der Pavillon: ein heruntergekommener Leerstand ohne forcierte
Instandhaltungs- und Nachnutzungsambitionen.
Dessen Architektur ist nun der Aufhänger des sommerlichen
Veranstaltungsprogramms, das über drei Wochen den Ort reanimieren, seine
Eignung im kulturellen Kontext erproben möchte. In der Tat ist das Gebäude
bemerkenswert, seine Unterschutzstellung als Baudenkmal würdigte also nicht
nur die wirtschaftshistorische Relevanz der Firma Billen für die
Stadtgeschichte Wolfsburgs.
Wer seinen Blick nicht vom Zustand des Baus und mittlerweile notwendiger
Sicherungsmaßnahmen in der transparent filigranen Eingangsfassade
verstellen lässt, wird sicher erkennen, welch Inkunabel der klassischen
Moderne hier Pate stand: Es ist der Barcelona-Pavillon, den Mies van der
Rohe 1929 als deutschen Beitrag der Weltausstellung errichtetet.
Ähnlich seinem Vorbild ist auch der Billen-Pavillon im Inneren ein wahrer
Rausch in Naturstein: Eine grün marmorierte Natursteinwand, ganz
unverkennbar ein Zitat des großen Idols, grüßt im Empfang, der Fußboden ist
mit hellem Marmor belegt, das Chefbüro mit Travertin ausgekleidet, eine
Onyxwand und jede Menge Verlegungsbeispiele als Wandcollagen demonstrieren
eindringlich die Kompetenz der Firma Billen fürs luxuriöse Gewerk.
Firmenchef Johann Tillmann Billen soll sogar in direktem Kontakt mit Mies
van der Rohe gestanden haben: In Wolfsburg hält sich die Erzählung, dass er
1955 Angehörigen der T.H. Braunschweig eine Flugreise nach Chicago
finanzierte, um Mies van der Rohe dort persönlich die Insignien einer
Ehrendoktorwürde zu überbringen. Vermutlich war auch Billens Architekt
Rudolf R. Gerdes mit dabei – und sichtlich inspiriert vom großen Meister
und seinem Werk.
Seit Sonntag beleben nun Ausstellungen und Installationen das Gebäude,
Vertreter der Denkmalschutzinstanzen beziehen vor Ort Stellung. Ein Partner
des Architekturbüros David Chipperfield – in Berlin mit der Sanierung der
Nationalgalerie von Mies van der Rohe betraut – und auch regionale
Praktiker kommen zu Gehör, bis am 8. September, dem bundesweiten „Tag des
offenen Denkmals“ – diesjähriges Motto „Modern(e): Umbrüche in Kunst und
Architektur“ – das Gebäude selber im Zentrum steht. Vielleicht ja doch mit
hoffnungsvollem „Aufbruch“ in eine Zukunft des Billen-Pavillons.
21 Aug 2019
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Wolfsburg
Architektur
Denkmalschutz
Moderne
Glaube, Religion, Kirchenaustritte
Schwerpunkt Hambacher Forst
Zuzana Caputova
Bauhaus Jubiläum 2019
Architektur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachkriegsmoderne zu verkaufen: Was tun mit still gelegten Kirchen?
Vielerorts denken die Kirchen über die Verwendung jener Gotteshäuser nach,
die in der Nachkriegszeit gebaut wurden.
Kunst und Klimawandel: Der Hambi wächst in Goslar
Andreas Greiner ist diesjähriger Kaiserring-Stipendiat. Im Mönchehaus zeigt
er künstliche Waldbilder – und fräst Borkenkäfer-Brutmuster in Rahmen.
Slowakei und Mord an Ján Kuciak: Hoffnung im Sumpf
Präsidentin Zuzana Čaputová wird verehrt als Lichtgestalt einer neuen
Slowakei. Doch auch für sie wird es schwer, gegen alte Strukturen
anzukommen.
Einhundert Jahre Bauhaus in Weimar: Goethe war hier nie
Lange stieß das Bauhaus nicht nur auf Begeisterung. Jetzt ist die
Architekturschule wieder da – museal verpackt, aber alles andere als
museumsreif.
Architektin Zaha Hadid verstorben: Frau, Araberin, Architektin
Zaha Hadid ist im Alter von 65 Jahren gestorben. Ihre mutige Ästhetik
bleibt eine ungeheure Bereicherung für die Architektur.
Architektur-Ausstellung: Das Wunder von Wolfsburg
In den 1960er Jahren baute der finnische Architekt Alvar Aalto in Wolfsburg
ein Kulturzentrum. Zurzeit gastiert in der VW-Stadt die Ausstellung "In
Sand gezeichnet", die sich Aaltos unrealisierten Entwürfen annimmt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.