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# taz.de -- Kunst und Klimawandel: Der Hambi wächst in Goslar
> Andreas Greiner ist diesjähriger Kaiserring-Stipendiat. Im Mönchehaus
> zeigt er künstliche Waldbilder – und fräst Borkenkäfer-Brutmuster in
> Rahmen.
Bild: Gehölz aus dem Computer: Andreas Greiner zeigt Waldbilder
Braunschweig taz | Auch die Kunst und die Künstler*innen tragen ihren Teil
zum Klimawandel bei. Dessen ist sich zumindest der Berliner Andreas Greiner
bewusst, diesjähriger Kaiserring-Stipendiat der Stadt Goslar. Parallel zu
dem renommierten, seit 1975 jährlich an gestandene Künstler*innen
vergebenen Preis, zeichnet die Stadt am Harz seit 1984 auch junge
Künstler*innen aus.
Die Nachwuchsförderung beinhaltet eine [1][Einzelausstellung im Museum
Mönchehaus] mit Katalog sowie eine Ankaufsgarantie. Nicht selten ist diese
Würdigung der allererste institutionelle Auftritt der Stipendiat*innen.
Andreas Greiner, 1979 in Aachen geboren, kann ein multidisziplinäres
Studium nachweisen. Zwischen verschiedenen Kunsthochschulen besuchte er
nämlich für immerhin zwei Jahre die medizinischen Fakultäten in Budapest
und Dresden. 2012 schloss er seine Studien dann als Meisterschüler bei
Ólafur Elíasson in Berlin ab.
Dessen Kunstpraxis – despektierlich könnte man sie als weltweite
Technikspektakel im Dienste populärer Bespaßung beschreiben – hat auch
unübersehbar auf Greiner abgefärbt. Seine Beschäftigung in der Kunst greift
auf naturwissenschaftliche, pflanzen- und tierbiologische Phänomen,
Forschungen oder Bildgebungsverfahren zurück.
## Viele Flugkilometer abgerissen
Aber während andere Elíasson-Schüler*innen wie etwa Julius von Bismarck es
ihrem Mentor gleichtun und nun unermüdlich um die Welt jetten, um Orkanen,
Unwettern oder tosenden Meereswogen die Sujets für ihre Kunst abzujagen,
hat Andreas Greiner seit 2018 kein Flugzeug mehr bestiegen, seine Ernährung
umgestellt und bekennt sich in seiner Kunst zu umweltaktivistischen
Momenten.
Aber so ganz viel nützt das auch nicht: Er hat wohl, wie er gesteht, bis
2018, also bis zu seinem 30. Lebensjahr, so viele Flugkilometer abgerissen,
wie seine Eltern im Laufe ihres gesamten Leben hinter sich bringen werden,
ganz zu schweigen von seinen Großeltern.
Die leidige CO2-Bilanz ist dann auch das zentrale Thema seiner
Kunstproduktion. Als Gegenpart unseres verschwenderischen Lebenswandels hat
er den Wald entdeckt, besonders, wie könnte es anders sein, den derzeit
hart umkämpften Hambacher Forst.
Große Mengen Fotografien aus diesem und weiteren Gehölzen, etwa dem nicht
minder gefährdeten polnisch-weißrussischen Białowieża-Urwald, hat er
mittels künstlicher Intelligenz zu phänotypischen Waldbildnissen
verschmelzen lassen.
Sie variieren in Medium und Größe, kommen als Video-Bewegtbilder oder als
statische Ausdrucke daher, sind konzentriert kleinformatig oder zu
imposanten Dimensionen angewachsen, wollen in ihren Titeln die Zufälligkeit
des Bildes aber auch die Funktion des Waldes als physisch-chemischen wie
gleichermaßen emotionalen Speicher anklingen lassen.
So weit, so eindrucksvoll. Der Haken bei der Sache: Die Rechner- und
Speicherkapazitäten zur Generierung dieser Bilder verschlangen wohl so viel
Strom, wie ein deutscher Durchschnittsmensch während eines gesamten Jahres
benötigt.
Der Wald, betrachtet man nur einmal den deutschen, ist aber nicht nur durch
handfeste Abholzung gefährdet, sondern auch durch Krankheits- oder
Insektenbefall. Sogenanntes Kalamitätsholz, also zu Bruch gegangenes,
belief sich im Jahr 2018 auf 32,5 Millionen Festmeter, forderte 114.000
Hektar Waldfläche, entnimmt man einer kleinen Infografik. Zwei Drittel
hatten Käfer auf ihrem Gewissen, ein Drittel Stürme.
## Schwenks über die Landschaften
Dass die zerstörerischen Krabbeltierchen aber auch zu ästhetischen
Realisaten fähig sind, demonstrieren per Computerfräse in die
Abstandleisten der dunklen Bilderrahmen gesetzte Brutmuster des
Borkenkäfers. Hier muss man aber sehr genau hinschauen, denn sie sind
kombiniert mit technischen Strukturbildern von Mikroplatinen.
Des Weiteren bemüht Greiner ins Riesige vergrößerte
rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von JCVI-syn.3.0-Zellen, den
vermeintlich ersten Lebewesen, die vollständig dem Labor entsprungen sind.
In seinem Video „Aussaat“ hinterlegt er seine Schwenks über die an
Landschaften erinnernden Formationen mit einem Soprangesang eines Textes
von Ingeborg Bachmann – was dann leider zu nervigem Kitsch gerinnt!
Meditativ hingegen ist seine Installation mit lebenden, flirrend
selbstleuchtenden Algen, besonders wohl, wenn man nicht die einmal tägliche
Erweckung zur Klanginstallation über sich ergehen lässt. Greiners Weltsicht
scheint also zwiegespalten: einerseits zelebriert er einen hochästhetischen
Untergangspathos.
Andererseits setzte er im Garten des Mönchehauses eine kleine Buche, die er
dem Hambacher Forst entnahm. Sie soll dort nun in 80 Jahren zur stattlichen
Höhe von 23 Metern heranwachsen.
„Andreas Greiner – Signs Of Life“: bis 26.1. 2020, Goslar, Mönchehaus
26 Sep 2019
## LINKS
[1] https://www.art-in.de/ausstellung.php?id=6698
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
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Kunstprojekt
Goslar
Schwerpunkt Stadtland
zeitgenössische Kunst
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