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# taz.de -- Architektur-Ausstellung: Das Wunder von Wolfsburg
> In den 1960er Jahren baute der finnische Architekt Alvar Aalto in
> Wolfsburg ein Kulturzentrum. Zurzeit gastiert in der VW-Stadt die
> Ausstellung "In Sand gezeichnet", die sich Aaltos unrealisierten
> Entwürfen annimmt.
Bild: Dieser Entwurf von Aalto wurde nicht realisiert: Das Kolumbus-Denkmal in …
Die zentrale Wolfsburger Fußgängerzone ist mehr als eine Zumutung. Sich in
sie zu begeben, grenzt an physische Folter: Keine Sichtachsen, keine Weite,
auf Schritt und Tritt wird einem der Weg verstellt durch Zweckbauten im
Dienst des schnellen Konsums. Noch das Geschäft, das dankenswerter Weise
Schmerzmittel bereit hält, trägt die Scheußlichkeit im Namen:
"Porsche-Apotheke to go". Wer möchte da nicht schnurstracks wieder gehen?
Und doch lohnt es sich, diese ästhetische Wüste, in der architektonische
Verbrechen der letzten vierzig Jahre sich überbieten, vom Bahnhof kommend
zu durchqueren. Es lohnt sich, weil fast am Ende der Zone ein kleines
Wunder der Baukunst wartet, eine Perle - die freilich nicht mehr auf
dieselbe Weise glänzt, seit ihre Schatulle, der ursprüngliche
städtebauliche und landschaftliche Kontext des Gebäudes, abhanden gekommen
ist. Dieses Gebäude bekam bei seiner Eröffnung 1962 kurz und knapp den
Namen "Kulturzentrum" verpasst. Heute heißt es Alvar-Aalto-Kulturhaus und
ist eins jener paar Bauwerke, die der legendäre finnische Architekt in
Deutschland hinterlassen hat.
In dem Kulturhaus lässt sich zurzeit auch betrachten, was Alvar Aalto (1898
- 1976) leider nicht hat hinterlassen können, sondern "In Sand gezeichnet"
hat, wie der Titel Ausstellung lautet, die sich seiner ungebauten Entwürfe
annimmt. Für sich genommen wäre die zuvor in Wien, München und Hamburg
gezeigte Schau etwas für all jene, die ihren Aalto gut kennen und ihn als
einen Architekten verehren, der den Vergleich mit seinen Kollegen Le
Corbusier oder Mies van der Rohe nicht scheuen braucht. In den von ihm
konzipierten Räumen ermöglicht sie aber auch dem Ahnungslosen, große
Architektur zu erleben.
Das übliche Problem von Architekturausstellungen - die Überforderung der
Einbildungskraft - bleibt in Wolfsburg aus. Denn vieles von dem, was sich
anhand der Entwurfszeichnungen und Modelle nur schwer erschließt, lässt
sich im Gebäude wiederfinden.
Da sind etwa die ehemals als Werkstatt genutzten Ausstellungsräume des
Alvar-Aalto-Kulturhauses, hohe, lichte Räume, die sinnlich erfahrbar
machen, wie bedeutsam eine Idee für ihn war, die er der japanischen
Architektur und den Präriehäusern Frank Lloyd Wrights entlehnt hatte:
Innen- und Außenbereiche zu verschmelzen. Das Licht fällt hier auch von
oben durch Deckenfenster ein, die sich automatisch aufschieben lassen - und
es ermöglichen, an einer Feuerstelle mitten im Raum zu zündeln.
Konsequent hat Aalto in Wolfsburg als Herzstück des Gebäudes dann auch den
Dachgarten angelegt. Ob einer nun vom Nordeingang oder vom Südeingang das
zweigeschossige Gebäude betritt, immer führen ihn Treppen zuerst zu diesem
offenen, gleichwohl eingefassten Raum. Er sollte als eine Art Agora dienen
für das Gebäude, das anfänglich drei verschiedene Nutzungen - Bücherhalle,
Jugendzentrum und Volkshochschule - unter einem Dach vereinte. Über die
Jahre geblieben ist die Bücherhalle, hinzugekommen sind Kulturbehördenbüros
und ein Architekturforum.
Auch der Dachgarten ist nicht mehr ganz derselbe: Da sich die Bodenplatten
hier leicht angehoben, dort leicht abgesenkt haben - Tanztees mit
Blaskapellen belebten in den 60ern die Szenerie - weist er gewisse
Ähnlichkeiten auf mit den Luftbildern deutscher Mittelgebirge und lag die
letzten Jahre für Veranstaltungen leider brach. Immerhin, die Sanierung ist
jetzt im Haushalt für 2011 eingeplant, spätestens zum 50-jährigen Jubiläum
des Alvar-Aalto-Kulturhauses 2012 soll sie abgeschlossen sein.
Die Ausstellung "In Sand gezeichnet" hilft, das Wolfsburger Kulturhaus in
dem Gesamtwerk des finnischen Architekten zu situieren. Die nicht
realisierten Entwürfe sind dabei immer auch in Bezug gesetzt zu den
realisierten Bauten. So lässt sich anhand weniger Entwürfe nachvollziehen,
wie Aalto vom internationalen Stil zu einer eigenen, humanistisch
inspirierten, organischen Architektur fand. Aaltos Entwurf etwa für eine
Kolumbusgedenkstätte in der Dominikanischen Republik Ende der 20er Jahre
setzt noch aufs Gewaltige, aufs Monumentale; ähnlich sein 1934 entstandener
Entwurf für fünf Wohnblöcke in den finnischen Wäldern, der noch einmal Le
Corbusiers cartesische Wolkenkratzer und deren Antithese von Kultur und
Natur beschwört.
Schon 1937 wendet sich Aalto aber mit dem Bau des finnischen Pavillons für
die Pariser Weltausstellung von der Glas-und-Stahl-Moderne des
Funktionalismus ab und begibt sich auf die Suche nach einer Alternative,
die den Menschen als Maßstab des Bauens ernst nimmt. Aaltos Pläne von 1963
für eine Piazza im kanadischen Montreal zeigen dies deutlich wie die 1969
entstandenen Entwürfe für das Shiraz-Kunstmuseum im Iran: In Aaltos
Zeichnungen vollendet das Gebäude geradezu den Hügel, auf den er es setzen
wollte.
Die Skizzen und Modelle der Ausstellung thematisieren allerdings nur die
Baukörper - und damit den halben Aalto. Das Kulturhaus in Wolfsburg kann
das eindringlich bezeugen: Die Deckenlampen, die Leselampen, die Stühle,
Hocker, Tische, die Türklinken: alles echte Aaltos. Der finnische Architekt
begriff ein Gebäude als Gesamtkunstwerk - ähnlich wie sein jüngerer
dänischer Kollege Arne Jacobsen, der Aalto sogar einmal, in Castrop-Rauxel,
aus dem Wettbewerb warf. Auch die aufwendigen, hölzernen Deckenraster und
die Wandverkleidungen aus kobaldblau glasiertem Porzellan stammen von
Aalto.
Verglichen mit den raffinierten, fein abgestimmten innenarchitektonischen
Details wirkt das Alavar-Aalto-Kulturhaus von außen geradezu schlicht. Die
Flanke des Gebäudes von der Fußgängerzone aus gesehen: ein Schuhkarton auf
Stelzen. Die vordere Fassade: schroffe Marmorklippen. Allerdings verfügt
auch die Stirnseite über mehr Raffinement, als sich ersehen lässt. Deren
gestaffelt abfallende Fassade sollte den Blick frei geben auf die
Hügelsilhouette im Hintergrund - eine landschaftliche Einbindung, die im
Zug der innerstädtischen Verdichtung später zerstört wurde.
Einladender wirkt das Kulturhaus von außen in der Dämmerung. Die Lampen im
Foyer schimmern dann so warm wie die Lichter eines Hafenstädtchens zu Füßen
dunkler Felsen. Ein Anblick, der allein schon reicht, sich mit Wolfsburg zu
versöhnen. Und die Fußgängerpassage auf dem Weg zurück zum Bahnhof in
gehobener Stimmung zu bestehen.
Bis 8. Dezember 2010, Alvar-Aalto-Kulturhaus, Wolfsburg
15 Nov 2010
## AUTOREN
Maximilian Probst
Maximilian Probst
## TAGS
Wolfsburg
Kunstmuseum Wolfsburg
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