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# taz.de -- Ausstellung zur „Wagenfeld-Leuchte“: Licht in delikater Balance
> Die Wagenfeld-Leuchte wurde zur Ikone der Bauhaus-Ästhetik. Nun ist sie
> in einer Ausstellung in Bremen zu besichtigen.
Bild: Berühmte Leuchten: Blick in die Ausstellung im Wilhelm Wagenfeld Haus
Bremen taz | Sie ist wohl die Ikone der Bauhausästhetik: die kleine
Tischleuchte auf runder Fußplatte, ein schmaler Zylinder als Schaft, ein
Kugelsegment aus weißem Opalglas der Schirm. 1924 in Weimar entworfen, wird
sie gemeinhin als „Wagenfeld-Leuchte“ bezeichnet und so auch, seit 1980 in
autorisierter Re-Edition, vermarktet.
In der aktuellen Bauhaus-Literatur werden der Schweizer Carl Jacob Jucker
(1902–1997) und der gebürtige Bremer Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) als
Entwerfer benannt. Allerdings verließ der gelernte Silberschmied Jucker
nach nur einem Jahr bereits 1923 wieder das Bauhaus, während sich Wagenfeld
erst im Oktober 1923 dort einschrieb. Des Rätsels Lösung besteht darin,
dass Wagenfeld auf Vorstudien Juckers mit industriell gefertigten
Glaselementen für Fußplatte und Schaft einer Tischleuchte zurückgreifen
konnte.
Auf Anraten von László Moholy-Nagy (1895–1946), dem experimentierfreudigen
„Formmeister“ der Metallwerkstatt, überführte sie Wagenfeld 1924 in eine
Variante aus Stahlteller und handelsüblichem Messingrohr, alles warmsilbrig
schimmernd vernickelt. Auch der weiße Kugelschirm war ein Fertigprodukt der
Jenaer Glaswerke. Dieses Zusammenspiel aus industriellem Halbzeug und
delikater Balance stereometrischer Grundformen traf genau den Geist des
Kurswechsels, den Bauhausgründer Gropius 1923 proklamiert hatte: „Kunst und
Technik – eine neue Einheit“.
Dabei musste – und muss man auch heute noch – gnädig darüber hinwegsehen,
dass die Leuchte kein Industrieprodukt ist, sondern manuell gefertigtes
Einzelstück; aktueller Preis: an die 500 Euro. Wagenfeld ernüchterten
bereits 1924 die ersten Reaktionen auf vier Prototypvarianten während der
Leipziger Herbstmesse: Die Leuchte erntete den Spott der Händler und
Fabrikanten, sie sähe zwar billig aus wie ein Maschinenprodukt, sei aber
teures Kunsthandwerk. Es fand sich folglich kein Produzent, die Leuchte
wurde in Kleinserie am Bauhaus gefertigt. Zur Metallversion kam eine
Ausführung mit Glasfußplatte und gläsernem Rohr, Wagenfeld verpackte
Juckers sichtbare Kabel in ein feines Metallröhrchen im transparenten
Schaft.
Im Gegensatz zur überschaubar gebliebenen Produktion stand die mediale
Verbreitung der Leuchte. Sie wurde zum It-Piece moderner Raumkultur der
20er Jahre, fehlte in keiner einschlägigen Veröffentlichung. Gropius
stellte sie, so leger-beiläufig wie fotogen, neben seine zwei Telefone ins
Weimarer Direktorenzimmer oder ans Bett seiner Dessauer Meistervilla, der
Publizist Walter Müller-Wulckow und der Frankfurter Architekt Ferdinand
Kramer sahen sie in Arbeitszimmern. Selbst 1935 stand sie noch, nun etwas
fremdelnd, im „arischen“ Landhaus einer Familie Hauschildt.
Die Bremer Wilhelm Wagenfeld Stiftung verfügt natürlich über ein sehr
frühes Exemplar der Leuchte, das Wagenfeld einst seinen Eltern geschenkt
hatte. Es bildet den Ausgangspunkt der aktuellen Ausstellung, die den Bogen
zu Beleuchtungskörpern spannt, die Wagenfeld in den 1950er Jahren schuf.
Zur Diskrepanz zwischen handwerklicher Fertigung und suggerierter
industrieller Perfektion war Wagenfelds zunehmendes Unbehagen über die
geometrische Stilisierung des Formenkanons am Bauhaus getreten. Er ging
1925/26 nicht mit nach Dessau, sondern beschäftigte sich für die
thüringische Industrie systematisch mit dem Material Glas. Glas, so
erkannte er, formt sich lieber zu weichen Kurven als zur Idealform Kugel
oder Zylinder. 1953 entstanden dann eine tropfenförmige Pendelleuchte aus
Opalglas und organisch geformte, unten offene Leuchten. Das erleichterte
den Wechsel der Glühlampe, ermöglichte zudem vertikales Dekor aus
geschliffenen Linien, das ohne geometrische Zwänge am freien Rand auslief.
Moholy-Nagy witterte bereits 1931 Verrat an den Bauhausidealen, Gropius
hingegen schrieb 1964, dass er befriedigt sehe, wie konsequent Wagenfeld
die Bauhausidee zu überzeugender Realität gebracht habe: „Niemand ist so
weit gegangen.“ Wagenfeld schuf flache Deckenleuchten für niedrige
Nachkriegsbauten, Spiegelleuchten fürs Badezimmer oder modular
kombinierbare Leuchtelemente. Einem anderen Ideal des Bauhauses blieb
Wagenfeld dabei treu: Er entwickelte in der eigenen Werkstatt, dem
„künstlerischen Labor“ im Sinne von Gropius, das er 1954 in Stuttgart
gründete, seine Entwürfe bis zur Serienreife für die Industrie, darunter
fast 150 Leuchten.
20 Aug 2019
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Bauhaus
Bremen
Design
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Walter Gropius
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Bauhaus Jubiläum 2019
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