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# taz.de -- Rapinoe, Rackete, Thunberg: Die Kapitäninnen
> Drei Frauen werden auf die Cover internationaler Medien gehoben. Es ist
> Ausdruck einer Geschlechterordnung, die sich neu sortiert.
Bild: Authentische und glaubwürdige Identifikationsfigur: Megan Rapinoe
Innerhalb einer Woche im Juli werden zwei Frauen zu den Galionsfiguren
eines feministischen Aktivismus. [1][„Captain America“ betitelt die
Washington Post] ein Foto der US-Fußballerin Megan Rapinoe in Anspielung
auf den Marvel-Superhelden. [2][„Captain Europe“ titelt der Spiegel,] auf
dem Cover das Porträt der deutschen Kapitänin Carola Rackete. Nur eine
fehlt, um den Dreiklang der Ikonen perfekt zu machen: „Captain Climate“.
Sie wissen, wer gemeint ist.
Diese drei Frauen zwischen 16 und 34 Jahren stehen für eine neue Qualität
von zivilgesellschaftlichem Engagement. Klar, Rapinoe ist in erster Linie
[3][eine der besten Fußballerinnen der Welt.] Aber sie nutzt ihre Prominenz
als selbstverständliche Bühne, um für Antirassismus und Rechte von LGBTI
einzutreten. Carola Rackete wurde eher unfreiwillig [4][auf die Bühne]
gehoben, bespielt sie aber, weil nötig. Und Greta Thunberg hat sich ihre
Bühne gewissermaßen selbst gebaut.
Dass drei junge Frauen auf die Cover internationaler Medien gehoben und in
weiten Teilen gefeiert, stellenweise auch ätzend angefeindet werden, mag
dabei wie ein zeitlicher Zufall scheinen. Aber es ist keiner. Ihr Protest
wurzelt in einer Politik, die an zentralen Fragen der Zeit scheitert oder
humanitäre, egalitäre Positionen sogar aktiv bekämpft. Wo der Staat versagt
und Politik in die Katastrophe führt, stehen die drei Frauen für das
unaufgeregte Eintreten für eine lebenswerte Zukunft.
Allen drei geht es um positiven Wandel. Die eine will sexuelle Rechte für
alle, die zweite setzt das Recht auf Seenotrettung durch, die dritte
streikt für eine Welt, in der wir überleben können. „Es gehört alles
zusammen“, sagt Rapinoe. „Es ist unsere Zukunft“, sagt Thunberg. Und
Rackete sagt schlicht, sie mache es, „weil es notwendig ist“. Für keine ist
trennbar, was sie lebt und wofür sie eintritt, keiner geht es um
Aufmerksamkeit um ihrer selbst willen. Die internationale Präsenz von
Rapinoe, Rackete und Thunberg ist auch Ausdruck eines Bedürfnisses nach
authentischen und glaubwürdigen Identifikationsfiguren.
Sie ist zudem Ausdruck einer Geschlechterordnung, die sich langsam, aber
sicher neu sortiert. Die Prominenz bedeutet eine Abkehr von der Figur des
Helden, wie Julian Assange sie vor rund zehn Jahren noch verkörperte: sich
im Glanz der Prominenz sonnend, narzisstisch und egoman. Sie bedeutet
ebenso eine Abkehr von der lauten, kraftstrotzenden Männlichkeit, wie sie
die Antagonisten der Frauen inszenieren: Trump und Salvini.
Natürlich, die Macht liegt in deren Händen. Von heute auf morgen
verschwinden keine Strukturen, die sich jahrhundertelang etabliert haben.
Aber Rapinoe, Rackete und Thunberg haben das Rollenverständnis, das in
diesen Strukturen begründet liegt, längst hinter sich gelassen. Sie sind
Herausforderinnen einer überholt wirkenden Form männlicher Autorität. Und
damit verändern sie die Gesellschaft.
## Fähig zur Selbstreflexion
Das Vorgehen aller drei ist pragmatisch, klar und direkt. Wo sprechen nicht
mehr hilft, handeln sie. Aggression ist keine Emotion, die eine Rolle
spielt: Selbst Rapinoes Absage ans „fucking White House“ ist ein genervt
hingenuschelter Satz, der eher nebenbei fällt, während sie sich die Schuhe
bindet. Thunberg agiert kühl und konzentriert, ganz gleich, wer ihr
gegenübersteht. Und Rackete adressiert Salvini überhaupt nur mittelbar. Sie
habe schlicht andere Prioritäten, antwortet sie einem Journalisten in die
Kamera: 40 Gerettete an Bord, zudem 20 Mitglieder der Crew. „Mr Salvini“,
sagt Rackete sachlich, „might just stand in line“ – er möge sich hinten
anstellen. Das wahrt die Form und ist darin vernichtend.
Gemeinsamkeit ist für die drei eine positive Qualität, kein Hindernis.
Thunberg begann als Einzelkämpferin und wurde zur Stimme einer Generation,
durch die und mit der der Klimaprotest erst groß werden konnte. Rapinoe ist
Impulsgeberin und Motivatorin, [5][wie sie zuletzt in New York zeigte,] wo
das Team nach der WM empfangen wurde. Und Rackete spricht ohnehin selten
vom „Ich“, fast immer vom „Wir“. Alle drei sind zur Selbstreflexion fä…
Letztere gar zur Entschuldigung: Es sei keine Absicht gewesen, das
Polizeiboot touchiert zu haben, sagte Rackete. Es tue ihr leid. Eine
Entschuldigung männlicher Counterparts an ähnlicher Stelle? Undenkbar.
Und schließlich spielten Äußerlichkeiten in der medialen Wahrnehmung von
Frauen selten eine geringere Rolle. Mag sein, dass auch medial langsam
verstanden wird, dass Posterqualität durch Positionen entsteht. Mag sein,
dass ihr Erscheinungsbild einer traditionellen, oft überzeichneten
Vorstellung von Weiblichkeit zu quer läuft, um von den Medien
ausgeschlachtet zu werden. Ungeschminkt sind alle drei, Rackete mit
hüftlangen Rastas, Rapinoe mit pinkem Undercut. Thunberg verweigert sich
jeglichem Teenagerlook. Angepasst und bescheiden? Das war einmal. Und
ladylike ist so 90er.
Die Abkehr von derlei Rollenklischees und traditioneller Männlichkeit führt
im besten Fall nicht nur zu einer geschlechtergerechteren Gesellschaft,
sondern auch zu einer anderen Art von Politikverständnis. Längst ist klar,
dass hierarchische, intransparent organisierte Systeme vor allem von
jüngeren WählerInnen nicht mehr angenommen werden. Und längst gibt es
Konzepte von „female leadership“, von weiblicher Führungskultur, die ein
anderes Verständnis auch von der Art und Weise anbieten, Politik zu machen.
Frauen arbeiten weniger konkurrenz-, dafür stärker konsensorientiert. Sie
schätzen und fördern Teilhabe, Empowerment und Diversität. Die Offenheit,
Glaubwürdigkeit und inhaltliche Stärke, für die diese drei Frauen stehen,
ist auch insofern ein hohes Gut. Wenn institutionelle Politik zukunftsfähig
bleiben will, sollte sie sich an den Kapitäninnen orientieren.
12 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.washingtonpost.com/world/2019/07/02/megan-rapinoe-us-womens-tea…
[2] https://www.meine-zeitschrift.de/einzelhefte/der-spiegel-28-2019.html
[3] /US-Fussballstar-Megan-Rapinoe/!5610407
[4] /Kommentar-Spenden-fuer-Seenotrettung/!5608299
[5] /Parade-nach-Sieg-der-US-Fussball-Frauen/!5611567
## AUTOREN
Patricia Hecht
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