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# taz.de -- Straussee bei Stausberg: Ein See mit Pegelproblem
> Seit bald einem Jahrzehnt verliert der Straussee erheblich an Wasser.
> Umweltschützer und Bootsbesitzer*innen sind über die ratlose Politik
> empört.
Bild: Die Wassertiefe des Straussees ist seit 2014 von 20 Metern auf 18 Meter z…
Vorbei an der Ikea-Möbelhalle, an Netto-Markendiscountern und
sozialistischen Wohntürmen: Die Ärmeren der Stadt wohnen funktional und
hoch oben, hier unten sind die Fahrradwege passabel ausgebaut,
schnurstracks entlang der West-Ost-Tangente Landsberger Allee. Dann das
Eastgate: Hinter der Autobahnbrücke von Marzahn öffnet sich die Stadt und
gibt eine zarte Landschaft frei, die weder aufregend noch langweilig ist.
Halb verfallene LPG-Hallen beherbergen Autoschrauber oder wilde Stauden.
Tiefe, langgezogene Rinnenseen aus der letzten Eiszeit wollen mit gezielten
Schritten in klares Wasser gewürdigt werden. Doch die vermeintliche Idylle
östlich von Ostberlin hat nach der Deindustrialisierung nun auch ein
geologisches Problem: Die Pegel sinken teils rapide.
„Da, wo ich mir vorletztes Jahr die Flossen im flachen Wasser angezogen
habe, bin ich nun im Sandbereich“, berichtet Martina Pirch in ihrer
Taucher*innenmontur am Straussee. „Das Wasser ist bestimmt fünf Meter in
der Strecke zurückgegangen.“ Die Schilfgürtel des Straussees, Stadtsee und
Wahrzeichen der Stadt Strausberg, liegen inzwischen an Land. Martina Pirch
kommt seit Jahrzehnten aus Berlin zum Tauchen in die Tauchstation beim
Kulturpark in Strausberg, einer Freifläche mit einer idyllischen kleinen
Badebucht. Sie schätze das klare Wasser des grundwassergespeisten Sees, der
gute Sichtweiten und gesunde Unterwasservegetation biete.
Barsche, Hechte, Steingrundel, Schleie und Rotfedern seien gut zu sehen.
Die Wassertiefe ist indes laut Zahlen der Stadt Strausberg seit 2014 von 20
Metern auf 18 Meter zurückgegangen. Der absolute Wasserstiefststand wurde
2019 am 25. Juli eingestellt. Der Rückgang ist damit stärker und drei
Monate früher als im zurückliegenden Jahr mit dessen Rekordhitze.
## Seit 2013 keinen Winterschnee
„Wir haben seit 2013 keinen Winterschnee gehabt“, erklärt die parteilose
Bürgermeisterin Elke Stadeler. In ihrem Büro erstreckt sich ein Panorama
des Straussees in romantischer Abendstimmung über die ganze Breite ihres
Schreibtisches. Ihre Fachreferent*innen nicken. „Das Steigen des
Strausseepegels bleibt aus und im Sommer zehrt die Verdunstung dann aus der
Substanz.“
Hinzu kommen immer weiter abnehmende Regenfälle in den Sommermonaten. Die
Niederschläge können die Verluste nicht mehr ausgleichen und große Zuflüsse
hat der Straussee nicht. Es ist ein stehendes Gewässer, ein
grundwassergespeister See.
Bürgermeisterin Stadeler, seit 2010 im Amt, sieht sich einer unfairen
Kampagne ausgesetzt. „Ich mag in diesen ewigen Meckerton nicht einsteigen.“
Im Internet werde sie inzwischen regelrecht beschimpft, dabei sei eine
Lösung des Pegelproblems nicht ohne Weiteres möglich.
Im März 2019 wurde nun eine Studie begonnen, die ermitteln soll, warum
genau der Straussee von Jahr zu Jahr Wasser verliert. Die Ergebnisse soll
es im März 2020 geben. Bis dahin könne man eigentlich nichts machen. Sie
wünscht sich „einfach mehr Respekt“ und die „Würdigung der Arbeit der
Kollegen“. Man hoffe jetzt auf richtig viel Sommerregen.
## Bürgerinitiative wehrt sich
„Opa, war da früher mal Wasser drin?“, hört indes Frank Weber seine Enkel
fragen. Er sitzt an seinem Gartentisch vor seinem großzügigen
Gründerzeithaus mit Seezugang – noch. „Und warum hast du dann nichts für
den See gemacht, Opa?“ Den rhetorischen Fragen lässt Weber umfangreiche
Ausführungen folgen. Er hat sich gut in die Materie eingearbeitet. Wichtig
ist ihm, dass er kein bürgerbewegter Spinner sei oder sich womöglich nur
wegen seines Bootssteges engagiere, der inzwischen auf dem Trockenen liegt.
„Ich bin 30 Jahre Banker gewesen.“
Ihn und seine rund 200 Mitstreiter*innen von der Bürgerinitiative für den
Erhalt des Straussees, die mit blauen Westen demonstrieren, treibe „der
Verdruss über das Versagen der Landes- und Kommunalpolitik“. Er sieht einen
Mangel an Handlungsfähigkeit in der Politik in Fragen der Nachhaltigkeit.
„Querdenker fehlen!“, beklagt er. Leute, die nicht in verkrusteten
Strukturen versauert sind, sondern sich einen Überblick verschaffen und
effektiv handeln.
So gebe es die Möglichkeit, dem Straussee vergleichsweise kleine Mengen
Trinkwasser zuzuleiten und den Pegel zu stabilisieren, ohne damit Wasser zu
verschwenden. Weber vermutet aber ökonomische Interessen beim Wasserverband
Strausberg-Erkner (WSE). Der Erweiterungsbau des 2014 feierlich eröffneten
Wasserwerkes Spitzmühle sei auf rechtlich uneindeutiger Grundlage erfolgt.
Am Standort werde nun doppelt so viel Grundwasser aus dem Einzugsgebiet des
Straussees ausgepumpt. 2018 habe der Wasserverband zudem 10 Prozent über
der zulässigen Höchstgrenze entnommen – bewusst und absichtlich, wie Weber
ausführt, weil die Strafen dafür geringer ausfallen als die Mehreinnahmen.
Über eine Million Euro seien 2018 per Grundwasserentnahmeentgelt dem Land
Brandenburg zugeflossen. Die Initiative fordert, diese Gelder für die
Stabilisierung des Pegels zu verwenden. Der „Berliner Wassertisch“, eine
Initiative, die sich in Berlin schon erfolgreich gegen Intransparenz bei
der Wasserversorgung zur Wehr gesetzt hat, kritisiert, dass es schwierig
sei, überhaupt an Zahlen zur Wasserwirtschaft zu kommen.
## Der Aralsee von Brandenburg?
Ronny Kühn, Stadtverordneter der Partei Die Linke und Vorsitzender des
Strausberger Finanzausschusses, sieht ein „hohes emotionales Interesse der
Anlieger am Wirken“. Der „mittelmäßige Leumund“ des Wasserverbandes sei
zwar zum Teil selbst verschuldet. Strausberg benötige aber „eine neue
Wasserarchitektur“, die es nicht von heute auf morgen geben könne. Das sei
eine teure und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bis dahin ist auch er
bemüht, die Empörung einzudämmen. Zwar sei der kleine Giebelsee im
benachbarten Petershagen bereits verschwunden, aber: „Der Straussee als
Aralsee von Brandenburg? Das sehe ich nicht so.“
Die Stadt Strausberg hat zuletzt der Fähre Pontons verpasst, also
schwimmende Schiffsanleger. In den Sommermonaten konnte die Strausseefähre
die Fahrgäste am Anleger nicht mehr komfortabel erreichen. Als in der
letzten Abendsonne einige beschwipste Tagestouristen über den neuen Ponton
stapfen, verteilt Ahamat Gadji Azina Faltblätter für Kulturveranstaltungen
in der Stadt. Er schätze „die Ruhe“ der Seelandschaft inmitten Wäldern.
Im Tschad habe er im schnell flließenden Chari gebadet, nach dem Putsch im
Land für die liberaldemokratische VMDT gekämpft, bis er schließlich 5.000
Kilometer bis nach Strausberg flüchten musste. In N’Djamena, Hauptstadt des
Tschad, hatte er zuvor Geografie studiert. Er konstatiert: „Es gibt
generell einen Klimawandel, in Afrika wie in Mitteleuropa, und der kommt
nun auch hier am Straussee an.“
Gadji Azina wartet auf seinen finalen Asylbescheid. Derweil hilft er
ehrenamtlich als Gärtner aus. Für den Radweg zurück an der
West-Ost-Tangente offeriert er Wassermelone und Gurke. Das Wasserproblem
sei ernst, sagt er, „aber noch ist nicht aller Tage Abend“.
6 Aug 2019
## AUTOREN
Anselm Lenz
## TAGS
Gewässerschutz
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