| # taz.de -- Roxane Gay über Feminismus und #MeToo: „Wir sind nicht das Probl… | |
| > Roxane Gay ist witzig, radikal ehrlich und eine der einflussreichsten | |
| > Feminist_innen. Sie spricht über fehlende Nuancen bei #MeToo, dicke | |
| > Körper und Rassismus. | |
| Bild: Beste Laune: Roxane Gay im Januar 2014 | |
| taz: Wann haben Sie sich das letzte Mal wie eine bad feminist, eine | |
| schlechte Feministin, gefühlt, Frau Gay? | |
| Roxane Gay: Eigentlich fühle ich mich jeden Tag so. Aber ein konkretes | |
| Beispiel: Neulich sprach ich mit ein paar Leuten über den Comedian [1][Aziz | |
| Ansari, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird]. Ich sagte, ich finde | |
| sein Verhalten problematisch, aber man sollte ihn nicht in einen Topf | |
| werfen mit Bill Cosby und Harvey Weinstein. Was Ansari getan hat, zeugt von | |
| schlechtem Geschmack und einem fehlenden Verständnis von enthusiastischem | |
| Konsens, aber es ist nicht dasselbe wie Vergewaltigung. Ich wünsche mir | |
| mehr Nuancen in dieser Diskussion. Und fühle mich zugleich wie eine | |
| schlechte Feministin dabei. | |
| Ich erinnere mich, dass Sie sich im vergangenen Jahr, als dem | |
| Schriftsteller [2][Junot Díaz sexuelle Übergriffe] vorgeworfen wurden, auf | |
| Twitter gewünscht haben, dass es zu weitreichenderen Konversationen kommt | |
| als zu der bloßen Aufforderung: „Cancel Junot Díaz“. | |
| Das stimmt. Wir führen in letzter Zeit sehr engstirnige Diskussionen, die | |
| nur darin resultieren, zu sagen: „Diese und jene Person sind nun | |
| gecancelled.“ Doch cancel culture ändert nichts an dem grundsätzlichen | |
| Problem, sondern entfernt es bloß aus unserem Sichtfeld. Ich persönlich mag | |
| Junot Díaz überhaupt nicht. Ich finde seine Texte auch misogyn. Aber sein | |
| Werk nun einfach löschen zu wollen, ohne über die Kultur zu sprechen, die | |
| sein Werk hervorgebracht hat, und die dafür gesorgt hat, dass er damit | |
| erfolgreich wird und Menschen missbrauchen kann, ohne dafür bestraft zu | |
| werden – das ist ein großes Problem. | |
| Ihr Essayband „Bad Feminist“ ist in den USA 2014 erschienen, war ein | |
| New-York-Times- Bestseller und verkauft sich immer noch sehr gut. Nun | |
| erscheint er auch in deutscher Sprache. Sie schreiben darin, dass Sie sich | |
| lange weigerten, sich als Feministin zu bezeichnen, weil Sie dachten, das | |
| seien militante, Männer hassende Frauen. Inzwischen gilt es ja schon als | |
| cool, Feministin zu sein dank [3][Beyoncés Bekenntnis und T-Shirt-Prints | |
| bei Textildiscountern]. Glauben Sie, das hilft der Sache? | |
| Ja, das denke ich schon. Der Trend ist eine Art Toreinfahrt, er eröffnet | |
| das Gespräch zumindest. Natürlich ist es ein Problem zu glauben, zwei Sätze | |
| von Taylor Swift oder von Beyoncé seien genug, um das Konzept Feminismus | |
| zu verstehen. Aber wenn das junge Leute zum Anlass nehmen, sich mit | |
| Feminismus ernsthaft zu beschäftigen und mehr darüber zu lesen, dann ist | |
| das fabelhaft. Junge Frauen und auch junge Männer brauchen diese Art von | |
| Anstoß einfach, um sich zu politisieren. | |
| Sie unterscheiden ja auch zwischen Feminismen. So kritisieren Sie zum | |
| Beispiel den „essenziellen Feminismus“, einen prinzipientreuen Feminismus | |
| für weiße, heterosexuelle, privilegierte Frauen – der Ihrem | |
| intersektionalen Ansatz komplett widerspricht. Nun leben wir in Zeiten, in | |
| denen reproduktive Rechte immer noch infrage gestellt werden und | |
| Antifeministen sich gegen die Gleichberechtigung positionieren. Müssen wir | |
| nicht versuchen, Allianzen zu bilden? Und wenn ja, wie können | |
| Feminist_innen of Color mit solchen zusammenarbeiten, die teilweise | |
| rassistisch agieren? | |
| Die Frage ist eher, wie können die mit uns zusammenarbeiten. Denn: Wir sind | |
| nicht das Problem. Und das ist die große Herausforderung. Ich finde | |
| Koalitionen wichtig. Frauen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten sollten | |
| sich auf jeden Fall austauschen. Denn nur so können wir die Einheit | |
| erreichen, die nötig ist, um die Dinge zu verändern. Aber mit Menschen | |
| zusammenzuarbeiten bedeutet nicht, dass man ihnen erlaubt, einen schlecht | |
| zu behandeln und an ihren lächerlichen Ideen festzuhalten. Die Bedürfnisse | |
| von weißen Frauen sollten definitiv nicht die Priorität sein, diese Frauen | |
| müssen lernen, dass sie nicht besser oder wichtiger sind. Und das war schon | |
| immer das größte Problem: auf Augenhöhe sprechen, sich auf gemeinsame Werte | |
| zu einigen. | |
| Wie ist das nun mit einem US-Präsidenten, dem von mehreren Frauen | |
| vorgeworfen wird, sie vergewaltigt zu haben. Hilft es nicht, einen | |
| gemeinsamen Feind zu haben? | |
| Ein gemeinsamer Feind kann helfen. Aber schauen wir uns nur den US-Kongress | |
| an: Dort haben die Demokraten eine Mehrheit und einen gemeinsamen Feind. | |
| Trotzdem spalten sie sich in verschiedene Gruppen. Da sind diese neuen, | |
| coolen Frauen Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar und Rashida Tlaib, die | |
| den älteren Parteimitgliedern regelrecht Angst einjagen, weil sie populär | |
| sind und radikale Ideen haben. Nun fängt sogar Kongresssprecherin Nancy | |
| Pelosi damit an, diese Frauen öffentlich schlechtzureden und sich ihnen | |
| gegenüber unsolidarisch zu verhalten. Dabei müssten sie nicht | |
| gegeneinander kämpfen, sondern alles in ihrer Macht Stehende tun, um | |
| Donald Trump aus dem Amt zu jagen. | |
| Es gibt noch ein zweites Buch von Ihnen, das nun auf Deutsch erscheint: | |
| [4][Mit „Hunger“ haben Sie ein Memoir geschrieben], in dem es um ihre | |
| schwierige Beziehung zu ihrem Körper und seinem Gewicht geht, das | |
| irgendwann 261 Kilogramm erreichte. Wie lief die Pressetour dazu in den | |
| USA? | |
| Es war eine einzige Shitshow. In den USA ist das Buch ja schon zwei Jahre | |
| raus, deshalb kann ich dort nun sagen, ich spreche mit Journalist_innen | |
| nicht mehr darüber. Sie stellen meistens sowieso sehr dumme und | |
| dickenfeindliche Fragen. Es ist vor allem so frustrierend, weil ich ein | |
| ganzes Buch über alle Facetten des gesellschaftlichen Diskurses über das | |
| Dicksein geschrieben habe, und bei vielen Leuten scheint nichts davon | |
| angekommen zu sein. Es kann aber auch sein, dass manche Journalist_innen | |
| das Buch überhaupt nicht gelesen haben. | |
| „Unbändige Körper“ ist ein Ausdruck, den Sie in „Hunger“ immer wieder | |
| verwenden. Was gefällt Ihnen daran? | |
| Wir haben sehr steife Ansichten darüber, wie Körper auszusehen und sich zu | |
| verhalten haben. Wenn man einen Körper hat, der sich diesen Regeln | |
| widersetzt – ob nun willentlich oder nicht –, dann ist dieser Körper | |
| widerspenstig, unbändig. Ich finde, es ist ein schöner Ausdruck, der Körper | |
| beschreibt, welche der Norm widerstreben. | |
| In dem Buch beschreiben Sie, wie Sie sich gegen eine Magenverkleinerung | |
| entscheiden … | |
| … ja, aber nach Erscheinen des Buchs habe ich mich doch dieser Operation | |
| unterzogen. | |
| Darf ich fragen, inwiefern das Ihr Leben verändert hat? | |
| Klar. Es ist eine drastische Veränderung. Ich war sehr gegen diese | |
| Operation aufgrund der brutalen Risiken. Aber nun bin ich wirklich froh, es | |
| doch getan zu haben. Ich bereue es nicht und würde es wieder tun. In | |
| „Hunger“ schreibe ich ja: „Je dicker du bist, desto kleiner wird deine | |
| Welt.“ Denn es gibt viel weniger Orte, in die du physisch hineinpasst. | |
| Eines der besten Ergebnisse dieser Operation ist, dass sich die Welt mir | |
| nun ganz neu öffnet. Ich kann mich viel freier bewegen. | |
| Reagieren Menschen anders auf Sie? | |
| Na ja, Menschen sind immer noch Menschen, und ich bin immer noch fett. Es | |
| liegt noch ein weiter Weg vor mir. Aber ich werde auf jeden Fall besser | |
| behandelt, und das ist echt frustrierend zu sehen. Nicht nur Fremde, auch | |
| Leute, die ich kenne, also entfernte Bekannte, sind plötzlich viel | |
| freundlicher zu mir. Und es widert mich an. Weil ich denke: Okay, jetzt | |
| habe ich plötzlich einen Wert für dich? Jetzt, wo ich deinen Erwartungen | |
| davon, wie ein Körper auszusehen hat, näher komme? | |
| Sie schildern in „Hunger“, wie Sie als Zwölfjährige von einer Gruppe von | |
| Jungs vergewaltigt wurden. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, diese | |
| Erfahrung öffentlich zu machen? | |
| Es war nicht allzu schwer, weil es schon so lange her ist. Ich habe mich | |
| mit der Sache bereits in jahrelanger Therapie auseinandergesetzt. Viel | |
| schwieriger war es für mich, über das Dicksein zu schreiben. Die | |
| Vergewaltigung war schrecklich und hat mich verändert, aber ich bin längst | |
| darüber hinweg. | |
| Kurz nachdem die [5][#MeToo]-Bewegung so populär wurde, haben Sie auch die | |
| Anthologie „Not that bad“ mit Essays von Überlebenden von Vergewaltigung | |
| veröffentlicht. Warum ist es wichtig, dass diese Geschichten erzählt | |
| werden? | |
| Es war einfach seltsam, dass so viele Männer nach #MeToo plötzlich meinten: | |
| „Oh, ich wusste ja nicht, dass es so schlimm ist.“ Obwohl Frauen schon seit | |
| Ewigkeiten darüber sprechen, wie schlimm es ist. Wer auch immer jetzt | |
| überrascht ist, den hat es vorher anscheinend nicht interessiert. An #MeToo | |
| fand ich toll, dass so viele Frauen plötzlich nach Jahrzehnten die | |
| Sicherheit hatten, ihre Geschichten erzählen zu können und gehört zu | |
| werden. Gleichzeitig sollten keine Frau und kein Mann das Gefühl haben, sie | |
| müssten von ihren Erfahrungen erzählen. Niemand muss das tun. Ich denke | |
| nur, dass es hilfreich sein kann, Geschichten von anderen zu lesen und zu | |
| wissen, dass man nicht allein ist. | |
| Sie sind eine sehr produktive Autorin. Sie schreiben Sachbücher, Romane, | |
| Kurzgeschichten, Artikel für die New York Times, Sie haben nun mit | |
| gaymag.com ein eigenes Onlinemagazin, mit „hear to slay“ einen Podcast, und | |
| Sie unterrichten an der Universität von Yale. Wie machen Sie das alles | |
| bloß? | |
| Ich gehe sehr rücksichtslos mit Deadlines um … | |
| … Ihre Arbeitgeber_innen sind sicher geduldig mit Ihnen. | |
| Ja, das sind sie. Denn sie wissen, wenn ich abliefere, dann ist es meistens | |
| halbwegs gute Arbeit. Ich bin eine ehrgeizige Person, sobald ich eine Idee | |
| habe, schreibe ich sehr schnell. Außerdem habe ich keine Kinder, was eine | |
| unglaubliche Freiheit bedeutet. Das könnte sich bald ändern, ich überlege | |
| gerade, mit meiner Partnerin ein Kind zu bekommen, aber selbst dann wäre es | |
| nur eins, und ich wäre nicht alleinerziehend, was schon ein besonderes | |
| Privileg ist. | |
| Repräsentation in der Popkultur ist ein Thema, mit dem Sie sich in vielen | |
| Texten beschäftigen. Neulich wurde bekannt gegeben, dass Disney die | |
| Schwarze Schauspielerin Halle Bailey [6][für den neuen „Arielle“-Film | |
| gecastet hat]. Das führte zu großen Diskussionen in den sozialen | |
| Netzwerken. Ist Disney inzwischen progressiver als die Gesellschaft? | |
| Nein, Disney trifft nur eine profitable Business-Entscheidung. Machen wir | |
| uns nichts vor. Ich glaube, dieses Beispiel zeigt nur, wie weitreichend | |
| Rassismus ist. Meerjungfrauen sind nicht echt. Warum sollten sie nicht | |
| Schwarz sein können? Menschen, die so denken, sind einfach nur dumm und | |
| rassistisch. Aber Disney hat eine große Rolle dabei gespielt, uns mit | |
| Bildern von Prinzessinnen und Heldinnen zu füttern, die immer weiß und | |
| immer schlank sind. | |
| Meine Nichte sieht zum Beispiel nicht so aus, aber sie ist definitiv eine | |
| Prinzessin. Und sie verdient es, Bilder zu sehen, die ihr das spiegeln, die | |
| ihr alle Möglichkeiten von Rollen aufzeigen, in die sie schlüpfen kann. Man | |
| kann jetzt sagen: „Ist doch bloß eine blöde Prinzessin!“ Aber es ist mehr | |
| als das. Repräsentation prägt unser Selbstbewusstsein. Deshalb ist es | |
| wichtig, was Disney gerade tut, wenn auch nicht aus den edelsten Absichten. | |
| Aber wäre es nicht noch mehr Empowerment, eine Schwarze Person zu casten, | |
| die nicht derart schlank ist und dem Hollywood-Schönheitsideal entspricht? | |
| Na klar wäre es das. Und genau das ist der intersektionale Ansatz: Sich | |
| nicht mit einer einzigen Sache zufrieden zu geben, als würde es unser | |
| Problem lösen. Sondern zu schauen: Was sind all die anderen Faktoren, die | |
| das Frauenbild in diesen Filmen so problematisch machen? Es wäre toll, | |
| einen Film über eine gewöhnliche Schwarze, nicht schlanke Person zu sehen. | |
| Aber ganz ehrlich: Keiner würde sich diesen Film anschauen wollen. Jeder | |
| würde auf die Szene warten, in der die Frau umgestylt wird und plötzlich | |
| attraktiv ist. | |
| Sie schrieben mal, dass sie auf keinen Fall auf ein Podest gestellt werden | |
| wollen als eine Art Vorzeigefeministin. Inzwischen aber gehören Sie zu den | |
| einflussreichsten Feminist_innen unserer Zeit, Sie haben eine Menge Fans. | |
| Wie geht es Ihnen damit? | |
| Es ist komisch, dass Menschen zu mir aufsehen, ich versuche mit dieser | |
| Verantwortung klarzukommen und gebe mir Mühe, gute Arbeit zu leisten. Aber | |
| ich erlaube mir auch, ich selbst zu sein und Fehler zu machen. Anders kann | |
| ich nicht funktionieren. Ich kann es nicht allen recht machen. Meine | |
| Leser_innen werden auch mal enttäuscht sein von mir, das lässt sich nicht | |
| vermeiden. | |
| Viele Leser_innen schätzen Sie gerade für Ihre radikale Ehrlichkeit. Ihre | |
| Texte sind häufig sehr persönlich, drehen sich um ihre eigenen | |
| Unzulänglichkeiten. Doch wie viel geben Sie tatsächlich von sich preis? | |
| Ich schütze mich, indem ich mir ganz klare Grenzen setze. Es gibt eine | |
| Menge Dinge, die ich in meinen Texten nicht erwähne. Und ich würde allen | |
| Autor_innen raten, sich mit den eigenen Grenzen immer wieder aufs Neue | |
| auseinanderzusetzen. Gerade von People of Color und queeren Menschen wird | |
| in der Verlagsbranche oft erwartet, dass sie alle ihre Traumata auspacken. | |
| Man sollte dem widerstehen. Schreiben ist nicht Therapie. Therapie ist | |
| Therapie. Wenn du traumatisiert bist, solltest du eine_n Psycholog_in | |
| aufsuchen. Vielleicht kannst du im Anschluss darüber schreiben. Vielleicht | |
| nicht. Aber was ich sagen will: Man kann ehrlich sein und trotzdem Grenzen | |
| setzen. | |
| 15 Jul 2019 | |
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| [3] /Podcast-Passierte-Tomaten/!5531634 | |
| [4] https://www.perlentaucher.de/buch/roxane-gay/hunger.html | |
| [5] /Schwerpunkt-metoo/!t5455381 | |
| [6] /Kolumne-Liebeserklaerung/!5608266 | |
| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
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