# taz.de -- Nationalpark contra Menschenrechte: Bauern, Bomben und Berggorillas | |
> Der Virunga-Nationalpark im Kongo ist ein Kleinod der Natur. Doch | |
> Menschen in der Umgebung sind zur Zielscheibe der Parkranger geworden. | |
Bild: Parkranger sollen die Natur schützen. Doch sie vergreifen sich an den Me… | |
VIRUNGA-NATIONALPARK/KONGO taz | Mit schmerzverzerrtem Gesicht hebt Maurice | |
Matembela seine verbundene Hand. Eine Kugel hat dem Fischer die Daumensehne | |
durchtrennt, jetzt kann er nicht mehr arbeiten. „Meine vier Kinder sind | |
hungrig“, klagt er. | |
Als Einziger, so sagt Matembela, habe er einen tödlichen Zwischenfall auf | |
dem Edwardsee im Osten der Demokratischen Republik Kongo am 23. Mai | |
überlebt. Was er erzählt, klingt haarsträubend: Er habe mit seinen vier | |
Kameraden gerade die Netze ausgeworfen, als sich ein Motorboot näherte mit | |
zwei bewaffneten Milizionären an Bord, im Kongo Mayi-Mayi genannt. „Sie | |
haben uns als Geiseln genommen“, berichtet er. Lösegelderpressung ist | |
typisch für die Milizen in dieser Gegend. | |
Doch dann keimte bei ihm Hoffnung auf: Ein Patrouillenboot der staatlichen | |
Naturschutzbehörde, Kongolesisches Naturschutzinstitut (ICCN) genannt, | |
näherte sich. An Bord seien Ranger des Virunga-Nationalparks gewesen, deren | |
Aufgabe es ist, zu kontrollieren, dass die Fischer nur in den | |
vorgeschriebenen Zonen ihre Netze auswerfen. | |
„Ich dachte, die Ranger würden uns helfen“, sagt Matembela: „Doch sie | |
eröffneten direkt das Feuer“. Seine vier Kameraden sowie die beiden | |
Geiselnehmer seien im Kugelhagel gestorben, erzählt er. Er selbst sei ins | |
Wasser gefallen, habe sich aber am Bootsrand festhalten können. Da traf die | |
Kugel seine Hand und er ging unter. „Ich kann von Glück sagen, dass sie | |
mich gerettet haben.“ | |
Joel Wengamulay, Sprecher der Virunga-Parkleitung, bestätigt, dass zu dem | |
Vorfall Ermittlungen laufen. | |
## Wie Parkwächter ein ganzes Dorf kontrollieren | |
In der Savanne um das Dorf Vitshumbi mit seinen 700 Einwohnern tummeln sich | |
nicht nur wilde Tiere, sondern auch Dutzende Rebellengruppen. Der Heimatort | |
von Maurice Matembela befindet sich als Enklave innerhalb des | |
Nationalparks. Zweimal am Tag kommt ein von Soldaten geschützter Konvoi | |
vorbei, um Waren sicher durch den Nationalpark in das Dorf zu | |
transportieren. Am Ortseingang kontrollieren Parkwächter an einer | |
Straßensperre jedes Fahrzeug. Es ist ein Leben wie auf einer Insel. | |
Die Schießerei auf dem See mit Matembela als einzigem Überlebenden ist der | |
Höhepunkt eines Konflikts, der sich seit November 2018 zuspitzt. Damals, | |
während des Wahlkampfs, war der Provinzgouverneur an den Edwardsee | |
gekommen. Die Leute klagten über zerfallene Häuser und den Mangel an | |
Baumaterialien. Immer wieder hatten die Parkranger Lastwagen mit | |
Wellblechen, Zement und Holz nicht durch ihre Straßensperre gelassen – denn | |
laut Gesetz darf hier nicht gebaut werden. Gouverneur Paluku versprach den | |
Einwohnern Baumaterialien und erhoffte sich dafür Stimmen. | |
Die alten Kolonialvillen entlang der staubigen Hauptstraße des Dorfs sind | |
reparaturbedürftig. Bei einigen ist das Dach eingebrochen, Wände sind | |
eingestürzt. Viele Familien hausen in Ruinen, einige unter freiem Himmel. | |
Im November war Regenzeit und die Menschen waren den Tropenstürmen | |
schutzlos ausgesetzt. Als elf Tage nach dem hohen Besuch ein Lastwagen mit | |
Ziegeln und Zement von den Rangern blockiert wurde, kam es zum Eklat, | |
berichtet Natalus Makuta. Er ist Vertreter der lokalen | |
Menschenrechtsorganisation „Recherchezentrum für Umwelt, Demokratie und | |
Menschenrechte“. | |
## Zwei Todesopfer, zwei unterschiedliche Darstellungen | |
Während der Mann erzählt, spaziert er an den verfallenen alten Häusern | |
vorbei in Richtung des Sees. Diesen Weg seien im November Schüler entlang | |
marschiert, die gegen die Blockade protestierten. Auf dem Weg zur Station | |
der Parkschützer am Ufer hätten sich ihnen Eltern und Fischer | |
angeschlossen. „Dann fielen plötzlich Schüsse“, sagt Makuta und zeigt auf | |
zwei Gräber am Wegesrand. Auf den Holzkreuzen stehen mit blauer Farbe zwei | |
Namen: Adam und Ezeckiel Mumbere, beide nicht einmal 40 Jahre alt. | |
Todestag: 28. November 2018. | |
Auf der Internetseite des Virunga-Nationalparks gedenkt man an jenem Tag | |
eines Toten: „Ranger Ezechiel Masumbuko killed in action“ heißt es dort. | |
Von Schülerprotesten und zwei toten Fischern steht da nichts. Auf | |
taz-Anfrage erklärt der Sprecher der Virunga-Parkleitung: „Das war ein | |
gewaltsamer Angriff auf eine Ranger-Position von Mayi-Mayi-Rebellen, kein | |
Protest.“ Die Ranger hätten sich „angemessen verhalten“. Es werde | |
ermittelt. | |
„Wir haben keine Milizen und keine Waffen bei uns im Dorf“, beteuert Makuta | |
vor den Gräbern. „Die Ranger haben wild geschossen, dabei hat der eine den | |
anderen getroffen“, lautet seine Version. | |
Was an jenem Tag genau geschehen ist, bleibt ungeklärt. Klar ist: Die | |
Menschen in Vitshumbi fühlen sich sowohl den Milizen als auch den | |
Parkrangern gegenüber hilflos ausgeliefert. Dies sei der falsche Weg, | |
Naturschutz zu betreiben, sagt Makuta. Er schaut grübelnd auf die Kreuze. | |
Dann legt er die Stirn in Falten: „Wir sehen immer mehr, dass die Ranger | |
die Menschen wie Tiere behandeln“, sagt er und folgert: „Und die Tiere im | |
Kongo sind besser geschützt als wir Menschen.“ | |
Der Virunga-Park ist Afrikas ältestes Naturschutzgebiet und ein | |
Unesco-Weltkulturerbe. In ihm leben auch die weltberühmten, vom Aussterben | |
bedrohten Berggorillas. Aber für viele Kongolesen in der Nachbarschaft ist | |
der Park ein bedrohlicher Staat im Staat, mächtiger als die eigene | |
Regierung. Sie nennen ihn „die unabhängige Republik Virunga“. | |
## Wie Abdoul Shamamba sein Haus verlor | |
Ereignisse wie in Vitshumbi sind keine Einzelfälle. Bei einer einwöchigen | |
Rundreise rund um den Park trifft die taz-Reporterin fast in jedem Dorf | |
Menschen, die sagen, sie seien von Parkrangern drangsaliert, verhaftet, | |
geschlagen, angeschossen oder vergewaltigt worden. | |
So im Dorf Nzulo am Ufer des Kivusees: Dort steht Abdoul Shamamba, Vater | |
von sechs Kindern, auf einem Haufen verkohlter Bretter und Wellblechen und | |
schaut verzweifelt. Sein ganzes Erspartes hatte er in sein kleines Haus | |
investiert. Dann seien im Juni Ranger gekommen und hätten es verbrannt. Er | |
zeigt auf frische Wunden am Arm und am Schienbein: „Als ich mich geweigert | |
habe, das Haus zu verlassen, haben sie mich mit Gewalt davongezerrt“, | |
berichtet Shamamba. | |
Die Parkleitung erklärt auf Anfrage, sie habe keine Informationen zu dem | |
Vorfall. | |
## Wie Bauern von ihren Feldern vertrieben werden | |
Im Dorf Mugunga gleich nebenan: Die knapp 60-jährige Miriam Nyamulemba | |
berichtet, sie sei im letzten Sommer auf ihrem Acker am See-Ufer von | |
Parkrangern vertrieben worden, die ihr die Ernte stahlen – mit dem | |
Argument, ihr Feld, das sie seit Jahrzehnten bestellt, liege innerhalb des | |
Parks: „Ohne die Ernte wusste ich monatelang nicht, wie ich meine Kinder | |
und Enkel satt kriegen soll“, klagt sie. | |
Auch dieser Vorfall sei nicht bekannt, erklärt dazu die Parkverwaltung. | |
Nyamulembas Tochter Esperance Kabekatyo erzählt, sie sei von den Rangern | |
festgehalten worden, als sie im letzten September ihre Bohnenernte einholen | |
wollte. Die 38-jährige Mutter von fünf Kindern sagt: „Sie haben mir die | |
Kleider vom Leib gerissen. Ich hatte Angst, sie würden mich vergewaltigen – | |
ich bin davongerannt.“ Als sie sich am Tag danach erneut aufs Feld gewagt | |
habe, „fingen die Ranger direkt an zu schießen, eine Kugel verfehlte mich | |
nur knapp“. Esperance Kabekatyo sagt: „Von allen Rebellen und Milizen sind | |
die Ranger meine größten Feinde.“ Dann bittet sie darum, eine Botschaft an | |
die Europäische Union richten zu dürfen: „Mithilfe der EU-Gelder ist der | |
Park sehr mächtig geworden. Doch wenn sie uns weiter so behandeln, werde | |
ich zur Waffe greifen und gegen sie rebellieren!“ | |
## Wie die EU glaubte Natur und Berggorillas zu retten | |
Die EU hat seit 1988 rund 30 Millionen Euro in den Virunga-Nationalpark | |
gesteckt. Er ist ein Vorzeigeprojekt des internationalen Naturschutzes in | |
einer Bürgerkriegsregion. In seinen dichten Urwäldern rund um aktive | |
Vulkane hatten sich Dutzende Rebellengruppen verschanzt, sie lebten teils | |
vom illegalen Holzeinschlag – Holzkohle ist die wichtigste Energiequelle | |
der Bevölkerung. | |
Vor sieben Jahren drohte dem Park mit seinen berühmten Berggorillas das | |
Aus. Sprengsätze flogen, Rebellen hatten sich in den Wäldern im | |
Schutzgebiet festgesetzt und ihr Hauptquartier direkt neben der | |
Parkzentrale eingerichtet. Die Regierung vergab Teile des Parks an | |
Ölkonzerne. Entsetzt kratzten internationale Geber und Spender Geld | |
zusammen. „Ein Marshallplan für den Ostkongo“ nannte der US-Milliardär | |
Howard Buffet die Idee damals. | |
Die Idee: Die Gründung der „Virunga-Allianz“, bestehend aus zwei im Ausland | |
eingetragenen Stiftungen sowie von ihr gegründeten Unternehmen als eine | |
Public-Private-Partnerschaft, die in Ökotourismus, nachhaltige Land- und | |
Fischereiwirtschaft sowie saubere Energie aus Wasserkraft investiert. | |
Auf ihrer Internetseite präsentiert die Virunga-Allianz ihre | |
Zehn-Jahres-Ziele wie eine Rechenaufgabe: Jedes Megawatt Strom schaffe | |
1.000 Arbeitsplätze, in zehn Jahren also 100.000 Jobs. Parkchef de Merode | |
erklärte damals, künftig würden neu gegründete Firmen Seife aus Palmöl | |
herstellen, Enzyme aus Papaya und Strom aus Wasserkraft, um den Gebrauch | |
von Holzkohle zum Kochen zu verringern. Kongos Jugend würde dann nicht mehr | |
zur Waffe greifen. Wenn dann auch noch zusätzlich 28.000 Touristen pro Jahr | |
den Virunga-Nationalpark besuchten, dann bringe das dem Kongo jährlich eine | |
glatte Milliarde Dollar an Einnahmen. Das Versprechen an die rund vier | |
Millionen Menschen im Umkreis des Parks: Ein Drittel der Einnahmen werde in | |
die Entwicklung ihrer Gemeinden fließen. | |
## Öko-Strom, den keiner bezahlen kann | |
Doch zuerst musste gewaltig investiert werden. Bagger rollten über die | |
ungeteerten Straßen an: Staudämme, Wasserkraftanlagen, Stromtrassen und | |
Luxus-Lodges entstanden. Buffet selbst pumpte 150 Millionen Dollar in das | |
Projekt, als Startkapital: „Nach oben gibt es kein Limit“, tönte er damals. | |
Die EU stellte im November 2018 erneut 20 Millionen Euro für Naturschutz im | |
Kongo-Becken zur Verfügung. Ein Großteil davon fließt in die | |
Virunga-Stiftung. | |
Der dicht besiedelte Bezirk Rutshuru an Ugandas Grenze, ringsum von | |
Nationalpark umgeben, wird seit 2015 mit Virunga-Strom aus Wasserkraft | |
versorgt. Neue Hochspannungsleitungen laufen über der Hauptstraße der | |
gleichnamigen Distrikthauptstadt und der Nachbarstadt Kiwanja, | |
Straßenlaternen beleuchten nachts den Weg. Die Sicherheit im von | |
Kriminalität und Geiselnahme geplagten Kiwanja habe sich enorm verbessert, | |
sagen die Bewohner. Doch für kleine Schreinerwerkstätten oder Nähereien | |
ist der Strom zu teuer. Schon die Anschlussgebühr beträgt über 200 Dollar, | |
für die meisten Kongolesen unerschwinglich. Sie verzichten lieber auf Strom | |
und kochen weiter mit Holzkohle. Die Rechnung, pro Megawatt 1.000 | |
Arbeitsplätze zu schaffen, geht hier nicht auf. | |
Bei einem Treffen zwischen Regierung und der Naturschutzbehörde im März | |
2019 lobte Olivier Kamuzinzi, Umweltminister der Provinz, die Erfolge des | |
Parks. Die Zahl der Gorillas habe sich erhöht, Wilderei und Waldrodung | |
hätten nachgelassen. Knapp einen Monat nach Wiedereröffnung des | |
Nationalparks für den Tourismus freute sich der Generaldirektor der Behörde | |
über rund 500 Urlauber. | |
Dennoch hinkt der Virunga-Nationalpark seinen Zielen hinterher. Laut | |
eigenen Angaben sind bis Ende 2017 nur 13.000 Jobs entstanden. Rund 3.000 | |
davon sind direkt beim Park angesiedelt, ein Großteil sind Ranger. | |
## Wie die Ranger aufgerüstet werden | |
Bislang ging Kongos Armee, zum Teil mit Unterstützung durch UN-Blauhelme, | |
gegen die Rebellen vor. Mittlerweile hat aber der Virunga-Nationalpark | |
besser ausgebildete Kämpfer, die 300 Mann der Schnellen Eingreiftruppe QRU. | |
Sie wurden von Belgiern und Franzosen mit EU-Mitteln ausgebildet. | |
Mit Scharfschützengewehren, Raketenwerfern und Infrarot-Nachtsichtgeräten | |
ziehen diese QRU-Ranger wie Soldaten in den Krieg. „Ich wollte | |
Naturschützer werden wie mein Großvater und mein Vater“, erzählt einer von | |
ihnen der taz-Reporterin. „Doch stattdessen bin ich jetzt eine | |
Kampfmaschine.“ Aus Sicherheitsgründen muss sein Name ungenannt bleiben. | |
Die taz will von ihm wissen, wie es sein kann, dass ausgerechnet die von | |
der EU ausgebildeten Eingreiftruppe QRU die Bevölkerung drangsaliert. Der | |
Elitekämpfer lacht zuerst und wird dann ernst: Zwar sei ihm beigebracht | |
worden, wie man einen Verdächtigen festnimmt und auch, dass man nicht auf | |
Zivilisten schießen dürfe, sagt er. „Doch wenn wir in die rote Zone | |
geschickt werden, wo jeder Bauer potenziell einer Miliz angehören kann und | |
die Rebellen keine Uniformen tragen, dann gibt es keinen Unterschied mehr | |
zwischen dem Feind und der Bevölkerung.“ | |
## Wem gehört das Feld – den Bauern oder dem Nationalpark? | |
„Die rote Zone“ ist voller Menschen. Im Distrikt Rutshuru, umgeben vom | |
Virunga-Nationalpark, leben rund 1,5 Millionen Menschen, die meisten von | |
ihnen betreiben Ackerbau. Jeden Morgen kurz nach Sonnenaufgang passieren | |
Tausende Frauen, Männern und Kinder mit Körben, Hacken und Macheten am | |
Stadtrand von Kiwanja die Straßensperre der Naturschutzbehörde ICCN, um | |
einige Kilometer außerhalb der Stadt ihre Äcker zu bestellen. Mais, Bohnen, | |
Hirse wachsen hier rechts und links der Straße bis zu der Brücke über den | |
Rutshuru-Fluss. Danach beginnt der Urwald. | |
In einem vor 45 Jahren formulierten Abkommen wurde dieser Abschnitt als | |
„Jagddomäne“ definiert, eine Art Pufferzone für den Park. Doch | |
unterzeichnet wurde der Vertrag nie. Er sei damit „null und nichtig“, sagt | |
Faustus Kalwahali, Justiziar im örtlichen Bauernverband in Kiwanja. Aus | |
einem Heftordner kramt er das mit Schreibmaschine getippte Dokument hervor | |
– ohne Unterschrift. Trotz Verhandlungen beanspruche die | |
Virunga-Parkbehörde dieses Ackerland für sich. | |
Regelmäßig patrouillieren Ranger auf den Feldern und verhaften Bauern mit | |
dem Vorwurf des „illegalen Eintritts in den Park“. Mit EU-Geldern wurde | |
eine eigene Justizpolizei für die staatliche Naturschutzbehörde | |
aufgestellt. Sie darf Menschen festnehmen und verhören, sie sammelt | |
Beweise, formuliert Anzeigen und überstellt Festgenommene an die Justiz, | |
laut Gesetz innerhalb von 48 Stunden. | |
So weit die Theorie. Die Praxis: Fast täglich wird der Bauernvertreter | |
Kalwahali von besorgten Bauernfamilien darüber informiert, dass deren | |
Verwandte auf ihren Feldern festgenommen wurden. „Oft dauert es viele Tage, | |
bis die Naturschutzbehörde die Leute dem Haftrichter vorführt“, klagt der | |
Anwalt. „Oft wollen sie mir gar nicht sagen, wo sie die Leute unterbringen. | |
Das grenzt schon fast an Geiselnahme.“ | |
## Der Staatsanwalt klagt über mangelnde Beweise | |
Zuständig dafür ist Staatsanwalt Mirindi Mushagalusa. Er sitzt in seinem | |
Büro hinter hohen, handgeschriebenen Aktenbergen. Computer, Telefon – | |
Fehlanzeige. Auf die Frage nach den verhafteten Bauern seufzt er: „Ich bin | |
mit diesen Fällen so überfordert, dass ich gar keine Zeit mehr für all die | |
Mörder und Vergewaltiger hier habe.“ | |
Durchschnittlich überstelle die Naturschutzbehörde 20 Fälle pro Monat. | |
Manchmal aber nähmen deren Justizpolizisten auch Dutzende Bauern oder | |
Fischer auf einmal fest: „Doch in unsere Untersuchungshaftzelle passen nur | |
sechs Menschen.“ | |
Oft findet er die Anzeigen der Justizpolizei zweifelhaft, sagt Mushagalusa. | |
Manchmal würden die Ranger Beweismittel zerstören: den Fischfang, das | |
Holzboot, die Ernte. „Und wie soll ich nach Vitshumbi reisen und dort | |
prüfen, ob der Fischer jenseits der erlaubten Fanggebiete tätig war?“ | |
Problematisch seien vor allem die Fälle von Festnahmen auf der umstrittenen | |
„Jagddomäne“, wo die Bauern ihre Felder haben. „Die Parkgrenzen müssen | |
definiert werden, bevor wir urteilen können, was illegal ist“, sagt der | |
Staatsanwalt. | |
In der Regel lasse er die Fischer und Bauern dann laufen, sagt er. | |
Allerdings gegen eine Entlassungsgebühr von umgerechnet 100 Dollar. Das ist | |
mehr, als eine Bauernfamilie im Monat zum Leben hat. „Die Bevölkerung wird | |
damit systematisch in die Armut getrieben“, sagt dazu der Justiziar des | |
Bauernverbandes. „Die Freilassungsgebühr ist gesetzlich illegal“, bestäti… | |
Festus Munyihata von der Menschenrechtsorganisation CREDDHO in Kiwanja. | |
„Das Geld wird verlangt, um die Leute zu entmutigen, in den Park zu gehen“, | |
sagt Munyahita. Die Naturschutzbehörde überstelle zunehmend Fälle an die | |
Militärjustiz, „um noch mehr Abschreckung zu erzeugen“. | |
Bei der Militärstaatsanwaltschaft direkt nebenan ist die Entlassungsgebühr | |
doppelt so hoch. Dort kann man Menschen bis zu zwölf Monate lang | |
festhalten, bis sie einem Richter vorgeführt werden müssen. Dies mag | |
mitunter der Grund sein, gibt Militärstaatsanwalt William Mulaja zu, warum | |
mittlerweile deutlich mehr dieser Fälle auf seinem Schreibtisch landen. | |
2018 wurden Mulaja über einhundert Zivilisten von der Naturschutzbehörde | |
vorgeführt – im April 2019 waren es schon 168, darunter Frauen und Kinder. | |
Der Vorwurf laute meist auf „Zusammenarbeit oder Teilnahme an einer | |
bewaffneten Gruppe“. Doch Militärstaatsanwalt Mulaja hat damit Probleme: | |
„Wenn die Rebellen dem Fischer das Geld abknöpfen, dann ist das per Gesetz | |
schon ‚Unterstützung‘ der Miliz“, erklärt er. Wenn Frauen im Wald Feuer… | |
sammeln, dann sei dies laut Gesetz bereits „Kollaboration“ mit der | |
ruandischen Hutu-Miliz, die den Holzkohlehandel dominiert. Dass er jetzt | |
mehr Fischer und Bauern als bewaffnete Kämpfer anklagen muss, das sei nicht | |
Sinn der Sache. | |
Auf Anfrage erklärt der Sprecher der Parkleitung dazu: „Virunga ist strikt | |
gegen jegliche willkürliche Verhaftungen. Die Festnahme in | |
Park-Unterkünften überschreitet niemals die 48-Stunden-Frist, die vom | |
Gesetz vorgeschrieben ist.“ Nach seinen Angaben nehmen Ranger | |
durchschnittlich 1.000 Menschen pro Jahr fest. Davon seien im Jahr 2018 423 | |
an Gerichte überstellt worden, 21 wurden verurteilt. „Das Gesetz verlangt | |
von uns, diejenigen an die Militärgerichte zu überstellen, die als | |
Mitglieder einer Miliz verdächtigt werden oder mit ihr zusammenarbeiten.“ | |
11 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
## TAGS | |
Virunga-Nationalpark | |
Menschenrechte | |
Kongo | |
Schwerpunkt Grüne Armee | |
Recherchefonds Ausland | |
Schwerpunkt Grüne Armee | |
Schwerpunkt Grüne Armee | |
Schwerpunkt Grüne Armee | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Ruanda | |
Ebola | |
Schwerpunkt Grüne Armee | |
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
Virunga-Nationalpark | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Virunga-Nationalpark im Kongo: Massaker an Gorillaschützern | |
13 Ranger des Virunga-Nationalparks sterben in einem Hinterhalt. Die mit | |
EU-Hilfe hochgerüstete Truppe ist im Kongo zum Kriegsziel geworden. | |
Militarisierter Naturschutz in Afrika: Krieg gegen die Wilderei | |
Technologie, Ausbilder, Söldner: Wie der Naturschutz in Afrika wehrhaft und | |
aus Wilderern mutmaßliche Terroristen wurden. | |
Militarisierter Naturschutz in Afrika: Die grüne Armee der Nationalparks | |
Nationalparks sind ein zunehmend militarisiertes Geschäft. Wie Artenschutz | |
neue Macht- und Gewaltstrukturen fördert. Ein taz-Rechercheprojekt. | |
Naturschutz contra Menschenrechte: Der Feind in Grün | |
Einer Minderheit Kongos werden Zerstörungen im Nationalpark vorgeworfen. | |
Armut habe ihnen keine Wahl gelassen, sagen die Angeklagten. | |
Überfall in Ruanda: Tote im Gorillarevier | |
Der blutigste bewaffnete Angriff auf Ruanda aus dem Kongo seit 2001 | |
verschärft die regionalen Spannungen. Der erste angebliche Täter wurde | |
gefasst. | |
Ebola-Epidemie im Kongo: Erster Fall in Goma | |
Ein Pfarrer hat das Ebola-Virus in die Millionenstadt im Kongo | |
eingeschleppt. Die WHO prüft, ob sie eine „Notlage internationaler | |
Tragweite“ ausruft. | |
Drohungen wegen Skandal im Kongo: Angst vor der Presse | |
Der Vize-Chef des Virunga-Nationalparks im Kongo soll vergewaltigt und | |
gemordet haben. Die taz berichtete – jetzt werden die ZeugInnen bedroht. | |
Erdöl hat Vorrang vor Tierschutz: Kongo will Nationalparks schrumpfen | |
Die Heimat von Berggorillas und Bonobos ist bedroht: Die Nationalparks | |
Virunga und Salonga sollen zugunsten von Ölgebieten verkleinert werden. | |
Bedrohung für geschützte Arten im Kongo: Ein Nationalpark voller Waffen | |
Im Virunga-Nationalpark leben Berggorillas und andere seltene Tiere. | |
Milizen wollen aus den Bäumen im Park Holzkohle machen – mit Gewalt. |