| # taz.de -- Linken-Politiker über R2G in Bremen: „Es schmerzt mich“ | |
| > Wenn auf dem Linken-Parteitag der Bremer Koalitionsvertrag vorgestellt | |
| > wird, kann der Ex-Fraktionsvorsitzende Peter Erlanson nicht zustimmen. | |
| > Warum? | |
| Bild: Ist unglücklich mit dem Vertrag der rot-grün-roten Koalition in Bremen:… | |
| taz: Herr Erlanson, der Koalitionsvertrag steht. Die Linke könnte zum | |
| ersten Mal in einem westdeutschen Bundesland mitregieren – Jubelstimmung? | |
| Peter Erlanson: Der Koalitionsvertrag ist noch schlimmer, als ich | |
| befürchtet habe. Okay, man muss als Linke nicht zur Wahl antreten, wenn man | |
| nicht in der Lage ist, eine Koalition zu bilden – aber nicht zu jeder | |
| Bedingung. Der absolute Hammer: Nirgends steht, was etwas kostet. Hermann | |
| Kuhn von den Grünen hat schon zugegeben: Die Haushaltsberatungen werden | |
| eine Art zweite Koalitionsverhandlung. Dort wird erst festgelegt, was | |
| wirklich Priorität kriegt und was unter den Rasenmäher kommt. | |
| Und Sie fürchten, dass die Linke dabei nicht gut wegkommt? | |
| In dem Papier steht Einiges von dem, was wir in den letzten zwölf Jahren | |
| vergebens gefordert haben. Aber alles, was dort kein Preisschild hat, ist | |
| einfach völlig wertlos. Wenn im Herbst über den Haushalt verhandelt wird, | |
| sind die Senatsposten verteilt, alle wollen anfangen und die Grünen können | |
| drohen: Wenn ihr nicht spurt, warten da immer noch zwei andere Parteien auf | |
| uns. | |
| Wäre der Vertrag denn gut, wenn alles umgesetzt würde? | |
| Es geht um das, was fehlt. Nehmen wir das Gesundheitssystem: Weil Bremen | |
| kein Geld hat, war es ein großer Coup, der Politik zu sagen: Den | |
| Teilersatzneubau am Klinikum Mitte muss die Geno zum großen Teil selbst | |
| finanzieren. Um die Kredite dafür zurückzuzahlen, muss gespart werden – | |
| Dienstleistungsunternehmen wie Kliniken sparen dann eben am Personal, um | |
| die Bedarfe der Patienten geht es dabei nicht. Die Stadt müsste die duale | |
| Finanzierung wieder einführen, die Investitionskosten für Neubauten bei | |
| kommunalen Kliniken also wieder selbst übernehmen. Aber dazu steht nichts | |
| im Koalitionsvertrag. | |
| Als wir vor ein paar Tagen telefoniert haben, haben Sie korrekt | |
| vorausgesagt, dass die Krankenhausinvestitionen verdoppelt werden sollen … | |
| Ja, verdoppelt, da denkt man „boah“ – aber dahinter steckt eine Summe von | |
| 37 Millionen für 16 Kliniken in ganz Bremen. Auch verdoppelt ist das nix: | |
| Zu den Rückzahlungen für den Teilersatzneubau in Mitte, nach unseren | |
| Berechnungen 200 Millionen Euro, kommt noch das Klinikum Links der Weser. | |
| Das braucht 180 Millionen Euro für ein neues Bettenhaus. Und auch in die | |
| gebeutelte Psychiatrie in Bremen-Ost müssen wir reinbuttern – das sind noch | |
| mal geschätzt 120 Millionen. | |
| Kurz: Sie hätten für die Geno halt gern mehr Geld? | |
| Das Problem ist viel größer. Man weiß genau, das lässt sich alles aus dem | |
| Haushalt nicht bezahlen. Normalerweise würde man einfach bei der | |
| Landeshauptkasse einen Kredit aufnehmen, das bauen und im Laufe der Jahre | |
| abstottern. Das darf man jetzt aber nicht. Schuld ist die Schuldenbremse, | |
| der Staat darf keine Kredite mehr für investive Mittel aufnehmen. Das ist | |
| ein Problem für Kitas, für Schulen, und eben auch für Kliniken. | |
| Wäre es nicht feige, jetzt zurückzuziehen und die anderen die Drecksarbeit | |
| machen zu lassen, weil zu wenig Geld für die eigenen Wünsche da ist? | |
| Es gäbe Auswege. Wäre man bereit, die Schuldenbremse anzugreifen, wären wir | |
| dabei. In unserem Wahlprogramm hatte klar gestanden, dass die | |
| Schuldenbremse weg muss – laut Koalitionsvertrag wollen wir jetzt aber an | |
| ihr festhalten. Außerdem müsste man Einnahmen organisieren, die Reichen zur | |
| Kasse bitten, aber auch dazu hat man nicht den Mut. Ich habe zwölf Jahre im | |
| Parlament erlebt, dass Rot-Grün nicht in der Lage ist, die einfachsten | |
| Sachen umzusetzen. Sie tun’s nicht. Wenn unsere Partei unter diesen | |
| Umständen eine Koalition machen will, dann lehnt zumindest der Kreisverband | |
| Links der Weser das sicherlich ab. | |
| Was ist denn die Alternative? | |
| Dann wird es eine Jamaika-Koalition geben. Wo ist denn das Problem? | |
| CDU, Grüne, FDP – kein Problem? | |
| Wissen Sie, ich glaube, die können das nicht schlimmer machen. Die CDU wird | |
| vor dem gleichen Problem stehen, die muss Kitas und Schulen bauen und kann | |
| es mit der Schuldenbremse nicht. Die Situation ist die: Kommunale Kliniken | |
| werden nach ökonomischen kapitalistischen Grundsätzen geführt. Das kriege | |
| ich mit der SPD und das kriege ich mit den Grünen, und wenn die CDU dran | |
| wär, kriege ich das auch. Da ändert sich nichts. Ich will aber Veränderung. | |
| Haben Sie gar keine Sorge, dass eine Jamaika-Koalition das Soziale noch | |
| mehr aus den Augen verlieren würde? | |
| Wenn die Bürger in Bremen sagen, nach 70 Jahren ist jetzt mal zappenduster, | |
| die haben lange genug Zeit gehabt, dann ist das eben so. Wenn wir als Linke | |
| in der Regierung unsere wesentlichen Punkte nicht erfüllen können, dann | |
| weiß ich nicht, warum wir für eine abgehalfterte SPD Steigbügelhalter sein | |
| sollen. | |
| Sind Sie persönlich enttäuscht von dem, was Ihnen Ihre Partei als | |
| Koalitionskompromiss anbietet? | |
| Ich war lange Fraktionsvorsitzender, habe viel dafür getan, dass es diese | |
| Partei überhaupt gibt, immer unter linken Vorzeichen. Wenn unsere Genossen | |
| und Genossinnen das anders wollen, ist das so. Aber es schmerzt mich, wenn | |
| ich als Linker sehe, dass meine Linke in eine Koalition gehen will, die | |
| neoliberale Politik mitträgt. Das schmerzt. | |
| Machen Sie weiter Politik? | |
| Als Kandidaten für die Bürgerschaft waren nur Leute gewollt, die einer | |
| Regierungsbeteiligung zustimmen. Ich habe nicht mehr kandidiert. Aber ich | |
| bin weiter Betriebsrat, ich lebe gerne, ich kämpfe gerne und ich bin | |
| überzeugter Sozialist, und das ist mein Weg. Ich bin zum Beispiel im | |
| Bündnis für den Volksentscheid für mehr Krankenhauspersonal. Das | |
| Selbstbewusstsein in der Pflege hat sich geändert: Die Pflegenden lassen | |
| sich nicht mehr so ausquetschen, sondern weichen aus, gehen in Zeitarbeit | |
| oder andere Berufe. Menschen suchen sich Auswege. Das ist für mich auch ein | |
| gutes Zeichen, dass Veränderung möglich ist. | |
| 4 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Lotta Drügemöller | |
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