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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Irans Optionen zur Verteidigung
> Wegen der Isolation des Landes ist Irans Armee schlecht ausgerüstet. Bei
> einem Konflikt müsste sich das Land auf seine Revolutionsgarden
> verlassen.
Bild: Mitglieder der Iranischen Revolutionsgarde: Angreifer bekämen es mit ein…
Am 5. Mai dieses Jahres verkündeten die Vereinigten Staaten die
[1][Verlegung des Flugzeugträgers] „USS Abraham Lincoln“ und eines
Bombergeschwaders in die Nähe des Persischen Golfs. Donald Trumps
nationaler Sicherheitsberater John Bolton sprach von einer „Antwort auf
eine Reihe beunruhigender Anzeichen und Hinweise, die zu einer Eskalation
geführt haben“. Gleichzeitig warnte er Teheran vor jeglichen Angriffen auf
die Interessen der USA in der Region.
Seither hat sich die Lage noch weiter zugespitzt. Saudi-Arabien und die
Vereinigten Arabischen Emirate, beides Verbündete Washingtons, machten
Teheran mehr oder weniger direkt für [2][Sabotageakte gegen Öltanker] in
der Straße von Hormus wie auch für das Wiederaufflammen der
Huthi-Rebellion im Jemen verantwortlich. Zwar betonte Bolton, man wolle
keinen Krieg mit dem iranischen Regime. Gleichzeitig aber tönte er, die USA
seien darauf vorbereitet, „auf jeden Angriff zu reagieren, ob von
Stellvertretern, den islamischen Revolutionsgarden oder regulären
iranischen Truppen“.
Ein bewaffneter Konflikt zwischen Iran auf der einen und den USA und ihren
Verbündeten am Golf sowie Israel auf der anderen Seite ist nicht mehr
auszuschließen. Das Säbelrasseln des US-Sicherheitsberaters macht das sehr
deutlich. Bolton hat in seinen Aussagen indirekt auch auf die
Doppelstruktur der iranischen Streitkräfte verwiesen, auf die sich jede
kriegführende Partei bei einem Angriff auf die Islamische Republik
einzustellen habe.
Wenn man diese Struktur verstehen und einschätzen will, ob die iranischen
Streitkräfte fähig wären, sich gegen eine neuerliche US-Intervention zu
behaupten, muss man 40 Jahre zurückgehen, bis in die Zeit unmittelbar nach
dem [3][Sturz des Schah-Regimes].
## Fanatische Kriegsführung ohne Sieger
Am 12. Februar 1979, gut eine Woche nach der Rückkehr Chomeinis nach
Teheran, begannen die neuen Machthaber in Teheran eine brutale
Säuberungsaktion in der Armee, die vor allem die höheren Offiziersränge
betraf. Die Mullahs hatten den Verdacht, dass die Offiziere weiterhin loyal
zu dem abgesetzten Schah hielten, der damals in Marokko im Exil war. Die
Streitkräfte wurden in „Armee der Islamischen Republik Iran“ (Artesch)
umbenannt und der direkten Kontrolle der Sepāh-e Pāsdārān-e Enqelāb-e
Eslāmī unterstellt, die besser unter dem Namen Pasdaran oder
Revolutionsgarden bekannt sind.
Diese Pasdaran gingen ursprünglich aus Volksmilizen hervor, die den
Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini unterstützten. Sie waren
stets ein Gegengewicht zur regulären Armee und dienten als wirksames
Abschreckungsinstrument gegen jeden Versuch eines Staatsstreichs. Vor allem
in den Anfängen der Islamischen Republik gab es eine ganze Reihe von mehr
oder weniger ernst gemeinten Militärkomplotten, die von den Pasdaran stets
vereitelt wurden und auf die jedes Mal blutige Säuberungen folgten.
Am 22. September 1980, knapp eineinhalb Jahre nach Ausrufung der
Islamischen Republik, erfolgte die Invasion der irakischen Armee. Das bot
auch der Artesch die Gelegenheit, ihre Loyalität zum Regime zu
demonstrieren. Pensionierte oder in den Ruhestand versetzte Offiziere
wurden wieder mobilisiert, selbst inhaftierte Militärangehörige wurden
freigelassen und kämpfenden Einheiten zugewiesen. Das galt insbesondere für
viele Kampfpiloten, die als verdächtig galten, weil sie ihre Ausbildung in
den USA absolviert hatten.
Mit einem erfolgreichen Gegenangriff im Mai 1982 konnte die Artesch den
Hafen von Chorramschahr zurückerobern. Dieser Sieg war ein entscheidender
Wendepunkt im Krieg. Im Sommer 1982 konnte Iran das gesamte vom Irak
besetzte Gebiet zurückgewinnen. Doch das Mullah-Regime verbannte die
reguläre Armee schnell wieder in die zweite Reihe, weil es den
Revolutionsgarden die Chance verschaffen wollte, sich militärisch zu
bewähren. Die Pasdaran waren allerdings so fanatisch, dass sie die Kämpfe
bis zum Sturz von Saddam Hussein weiterführen wollten. Ihr Generalangriff
auf den Irak hatte katastrophale Folgen: Hunderttausende Menschen kamen ums
Leben, und als der Krieg nach sechs Jahren endete, gab es keinen Sieger.
Seit diesem Konflikt bestehen die iranischen Streitkräfte im Grunde aus
zwei militärischen Organisationen, die genau definierte und unterschiedene
Aufgaben haben.
## Elitetruppen, die auch für die Hisbollah und Assad kämpfen
Nach Artikel 143 der Verfassung von 1979 (die 1989 geändert wurde) ist die
reguläre Armee „der Garant der Unabhängigkeit und territorialen
Unversehrtheit des Landes wie der islamisch-republikanischen Ordnung“. In
Artikel 150 heißt es, die Revolutionsgarden müssten „erhalten bleiben,
damit sie weiter ihre Rolle als Wächter der Revolution und ihrer
Errungenschaften erfüllen können“, und zwar „in brüderlicher Kooperation…
womit die reguläre Armee gemeint ist.
Die Artesch ist als klassische Verteidigungsarmee mit vier
Teilstreitkräften konzipiert: Heer, Luftwaffe, Marine und Luftabwehr (die
es seit 2007 gibt). Als Hauptaufgabe der Artesch ist definiert, die Grenzen
zu schützen und das Staatsgebiet zu verteidigen. Auch die Revolutionsgarden
sind in die drei klassischen Waffengattungen gegliedert, aber ihre
Hauptaufgabe besteht darin, der Ideologie der Islamischen Republik zu
dienen. Seit April 2019 werden die Pasdaran von Generalmajor Hussein Salami
befehligt, unterstehen aber, wie auch die Artesch, dem Oberbefehl
Chameneis.
Die Revolutionsgarden orientieren sich streng am Konzept der permanenten
asymmetrischen Kriegsführung. Sie haben das Recht, sich die besten Rekruten
auszusuchen. Von den insgesamt etwa 150 000 Kämpfern gehören
schätzungsweise 10 000 bis 20 000 zu der Al-Quds-Einheit („Jerusalem“ auf
Farsi und Arabisch), die für „auswärtige Operationen“ zuständig ist. Die…
Elitetruppe kämpft in Syrien aufseiten des Regimes von Baschar al-Assad, im
Libanon unterstützt sie die Hisbollah und im Irak die schiitischen
Milizen.
Dagegen verfügt die reguläre Armee nicht über die nötigen logistischen
Ressourcen, um Auslandsoperationen durchzuführen. Gravierender ist, dass
sie bei einem feindlichen Angriff wahrscheinlich nicht in der Lage sein
würde, den iranischen Luftraum zu verteidigen und ihre eigenen Truppen zu
schützen. Personell steht die Artesch auf einer soliden Basis: Sie umfasst
350 000 Soldaten, von denen 200 000 Wehrpflichtige sind, die zwischen 18
und 24 Monaten dienen müssen.
## Trainiert auf Zermürbungskrieg
Es existiert kein offizielles Dokument, in dem die Artesch ihre
Militärdoktrin dargelegt hat. In offiziellen Ansprachen bei Feiern zum
„Sieg“ über den Irak wird von iranischen Militärs aber regelmäßig die
Widerstandskraft der Armee hervorgehoben. Das Selbstgefühl der Artesch lebt
also immer noch davon, dass es ihr 1980 gelungen ist, den Schock des
irakischen Vormarschs aufzufangen und in monatelangen blutigen Kämpfen das
Blatt zu wenden.
Auch heute würde eine ausländische Invasion eine Welle des Patriotismus
auslösen. Ein Angreifer würde aber auch auf eine reguläre Armee stoßen, die
entschlossen ist, ihre Positionen um jeden Preis zu behaupten. Zudem bekäme
er es mit Revolutionsgardisten zu tun, die darauf trainiert sind, jenseits
der Landesgrenzen einen Zermürbungskrieg gegen zahlenmäßig überlegene
Kräfte zu führen und dabei auch die wirtschaftlichen Interessen der Gegner
zu bedrohen. Für Letzteres würden sich in der Golfregion alle möglichen
Ziele anbieten, etwa Öltanker und Entsalzungsanlagen, aber auch
ausländische Kriegsschiffe.
Die Doppelstruktur von regulärer Armee und Revolutionsgarden, von
Verteidigungs- und Angriffskräften, kennzeichnet auch die iranische
Luftverteidigung. Teherans Luftwaffe verfügt nur über 65 Kampfflugzeuge,
von denen einige noch aus der Zeit des Schahs stammen (F-4 und F-5).
Zudem verfügt die Artesch über eines der besten Luftverteidigungssysteme
weltweit. Es umfasst unter anderem ein Überhorizontradar und die passiven
Avtobaza-Radarsysteme, aber auch klassische russische und chinesische
Radareinrichtungen. Damit ist man – zumindest auf dem Papier – in der Lage,
Tarnkappenflugzeuge wie die F-35 der U.S. Air Force zu orten.
## Intelligente Drohnen, veraltete Panzer
Bedeutsamer ist allerdings, dass Teheran 2016 das russische
Flugabwehrraketensystem S-300 erworben hat, das eine Reichweite von fast
200 Kilometern hat. Damit kann das Regime strategisch wichtige
Einrichtungen sogar vor Mittelstreckenraketen schützen. Die
Revolutionsgarden entwickeln aber auch selbst ballistische Systeme, die
Angriffe jeglicher Art vereiteln sollen.
Über das iranische Raketenarsenal ist nicht viel bekannt, sicher ist aber,
dass die Pasdaran über mindestens 300 Raketen vom Typ Shahab-1 und -2 mit
einer maximalen Reichweite von 500 Kilometern verfügen. Diese Raketen
wurden in den 1980er Jahren von Nordkorea entwickelt und produziert und in
Iran teilmodernisiert. Durch ihre Reichweite sind sie eine direkte
Bedrohung für die US-Stützpunkte in den Anrainerstaaten Irans, also am
Golf, im Irak und in Afghanistan.
Nach Angaben des Internationalen Friedensforschungsinstituts in Stockholm
(Sipri) haben die Iraner außerdem über rund 100 Mittelstreckenraketen mit
einer Reichweite von über 1000 (Shahab-3/Ghadr) und sogar über 2500
Kilometern (Soumar/Sejjil). Diese Raketen könnten also Saudi-Arabien,
Israel, das Innere Chinas, Russland und Osteuropa erreichen.
Vor allem in den iranischen Städten sind immer noch Spuren der Zerstörungen
zu sehen, die von den rund 400 zwischen 1982 und 1988 abgefeuerten
irakischen Raketen stammen. Heute ist das Land mit seinem ballistischen
Arsenal jedoch in der Lage, einen Gegenschlag zu führen – oder sogar einen
Erstschlag, der das Potenzial für einen feindlichen Gegenschlag vernichten
soll. Die Luftwaffe der Pasdaran verfügt zudem über hunderte Drohnen, die
das Radar des Gegners beschäftigen und täuschen könnten. Auch die von Iran
unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen haben wiederholt bewaffnete Drohnen
eingesetzt, um Ziele in Saudi-Arabien anzugreifen.
## Russlands Unterstützung für den Iran ist schwankend
Kleinere Kampfinstrumente, die mittels einer Art Schwarmtaktik den Feind
verwirren sollen, sind auch auf See einsetzbar. Die US-Marine weiß genau,
dass sie es im Fall eines Konflikts mit einer Armada von Schnellbooten und
Kleinst-U-Booten und auch mit Ekranoplans, also Fluggeräten, die in
geringer Höhe über der Wasseroberfläche operieren, zu tun hätte. Zwischen
2010 und 2017 haben iranische Erkundungsdrohnen im Persischen Golf mehrmals
US-Schiffe – auch Flugzeugträger – aus nächster Nähe gefilmt.
Trotz allem darf man das iranische Militärpotenzial nicht überbewerten. Die
irakische Armee galt 1991 beispielsweise als „fünftstärkste der Welt“,
bevor sie durch die Bombenangriffe der internationalen Koalition binnen
weniger Tage ausgeschaltet wurde. Die Artesch und die Revolutionsgarden
sind zwar finanziell solide ausgestattet: 2016 belief sich das
Verteidigungsbudget auf 15,9 Milliarden Dollar, von denen 42 Prozent an die
Pasdaran gingen. Das entspricht in etwa den Militärausgaben der Türkei oder
Israels, liegt aber deutlich unter dem Rüstungsbudget des Regionalrivalen
Saudi-Arabien. Die saudischen Militärausgaben steigen ständig weiter an und
liegen inzwischen bei 60 Milliarden Dollar.
Zudem haben die Sanktionen der USA, Europas und der Vereinten Nationen
dazu geführt, dass Iran von der internationalen Rüstungsindustrie als Paria
behandelt wird. Als wichtigste Waffenlieferanten sind China, Nordkorea und
Russland übrig geblieben, wobei sich Russland je nach dem globalen Klima
schwankend verhält. So hat sich Moskau noch 2016 geweigert, 200
Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ Su-30 zu liefern, auch das
S-300-Flugabwehrsystem wurde verspätet ausgeliefert, weil Washington und
Tel Aviv ihren Druck ausgeübt hatten.
Diese internationale Isolation ist auch der Grund für die chronisch
schlechte Ausrüstung der Artesch. Deren stärkster Kampfpanzer ist der
russische T-72, der Anfang der 1970er Jahre entwickelt und in Iran
teilweise modernisiert wurde. Das Gros der gepanzerten Fahrzeuge besteht
aus Tanks vom Typ Patton-M47 und Chieftain. Diese Panzertypen aus
US-amerikanischer und britischer Produktion wurden noch zur Zeit des Schahs
angeschafft und bereits im Koreakrieg (1950–1953) und im Vietnamkrieg
(1955–1975) eingesetzt.
## Militärisches Wettrüsten
Die iranische Rüstungsindustrie entstand auf den Trümmern des
ambitionierten Projekts, das seinerzeit der Schah verfolgte: den Aufbau
eines militärisch-industriellen Komplexes nach westlichem Vorbild. Auch
deshalb ist Teheran heute nicht in der Lage, die Auswirkungen der
internationalen Sanktionen durch eine Ausweitung der eigenen Produktion zu
kompensieren.
Heute haben die Revolutionsgarden auf dem Feld der militärischen Rüstung
die Rolle einer innovativen Kraft übernommen, wobei sie von den Erfahrungen
des permanenten Einsatzes auf vielen Schauplätzen im Ausland profitieren.
Das beste Beispiel ist ihr Programm zur Entwicklung ballistischer Raketen,
das freilich ausschließlich auf der Übernahme nordkoreanischer Technologie
basiert.
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
22 Jun 2019
## LINKS
[1] /USA-im-Konflikt-mit-Iran/!5592576
[2] /Krise-zwischen-Iran-und-den-USA/!5600301
[3] /40-Jahre-Islamische-Revolution/!5567037
## AUTOREN
Akram Kharief
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