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# taz.de -- Israel und die Hisbollah im Libanon: Krieg im Tunnel
> Bedrohung von jenseits der Grenze: Für die Israelis beginnt hinter ihrer
> Nordgrenze nicht der Staat Libanon, sondern Hisbollahland.
Bild: Freiluftmuseum im Dienste der Kriegspropaganda: Hisbollah-Themenpark im S…
Sar'it und Mleeta taz | Steil geht es bergab. Nach wenigen Metern wendet
sich der Gang nach links. Kopf einziehen, dann noch mal links. Spiralförmig
gräbt sich der Tunnel in den felsigen Untergrund. „30 bis 70 tief verläuft
der Gang“, erklärt der Guide, die Sonnenbrille, die ihn draußen vor dem
gleißenden Sonnenlicht geschützt hat, nun ins kurz geschorene Haar
geschoben. „Dieser Tunnel hier war beinahe funktionstüchtig“, erklärt er.
„Auf israelischer Seite wollten sie durchbrechen, Geiseln nehmen und Bilder
ihrer Flagge auf israelischem Territorium verbreiten.“ Tunnel Nummer 6, so
nennt der Guide den unterirdischen Gang, den die libanesische Hisbollah
unter der abgeriegelten Grenze bis hinein nach Israel gegraben hat. Nach
Angaben der israelischen Armee ist Nummer 6 nur einer von sechs
Angriffstunneln, mit denen die Schiitenmiliz ihre jüdischen Nachbarn
attackieren wollte.
Die Vereinten Nationen, die in dem Grenzgebiet für Deeskalation sorgen
sollen, haben die Existenz von drei Tunneln bestätigt, die nach Israel
führten. Die Hisbollah selbst erklärte, die Tunnel seien schon Jahre alt.
Und: Sie seien nur einer von vielen Wegen, auf denen die Hisbollah Israel
angreifen könne. Doch der Plan scheiterte grandios. „Die Hisbollah war
überrascht“, erzählt der Guide, will aber nicht näher darauf eingehen, wie
die Armee auf die Geheimgänge stieß.
Nur so viel verrät er: „Israel hat sehr intime Informationen darüber, was
innerhalb der Hisbollah vor sich geht.“ Von Geheimdienstinformationen redet
er, und von Bohrlöchern, die man von oben in den Boden gebohrt habe, um die
Gänge zu lokalisieren. Trotzdem räumt er ein: Tunnel tief unter der Erde
seien auch für die modern gerüstete israelische Armee eine „technologische
Herausforderung“. Der Guide, der den Reporter in Tunnel Nummer 6 führt,
will anonym bleiben. Nur dass er im Auftrag der israelischen Regierung
arbeitet, ist kein Geheimnis.
## Es geht mehr um Angstmache
Die Grenze zum Libanon, hinter der nicht die libanesische Regierung,
sondern die vom Iran hochgerüstete Hisbollah das Sagen hat, ist einer der
Hotspots des Großkonflikts zwischen Israel, den USA und ihren arabischen
Verbündeten auf der einen und dem Iran und seinen Stellvertretern auf der
anderen Seite. Die Welt soll sehen, wo das iranische Regime überall seine
Finger im Spiel hat.
Mitte Juli erst wandte sich Hassan Nasrallah, der charismatische bärtige
Führer der Schiitenorganisation, an seine Anhänger und die
Weltöffentlichkeit: „Wenn der Iran angegriffen wird, bedeutet das Krieg in
der ganzen Region“, drohte er. „Wenn die Amerikaner verstehen, dass dieser
Krieg Israel auslöschen könnte, werden sie es sich noch einmal überlegen.“
Demonstrativ holte er eine Landkarte Israels hervor, um seinen Nachbarn
potenzielle Angriffsziele vor Augen zu führen – darunter der
Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv.
Die Grenztunnel sind Teil dieser perfiden psychologischen Kriegsführung der
Hisbollah. Dabei ist es an der Grenze seit dem Sommerkrieg 2006 zwischen
der Hisbollah und Israel weitgehend ruhig geblieben. Und auch im Fall einer
erneuten Eskalation dürfte die Miliz kaum geplant haben, große Verbände
durch die schmalen Gänge ins Nachbarland zu verlegen. Es geht um
Angstmache. Unweit der kleinen israelischen Ortschaften Schtula und Sar'it
hätten Hisbollah-Kämpfer jederzeit an die Oberfläche durchbrechen können.
Doch damit ist es nun vorbei. Mit Beton hat die Armee die Tunnel
mittlerweile gefüllt und unzugänglich gemacht. Nur die Nummer 6 ist bis hin
zur sogenannten Blauen Linie, die den Libanon von Israel trennt, weiter
zugänglich – „um die Tunnel zu erforschen und zu präsentieren“, erklär…
Guide auf Nachfrage.
Viel zu erforschen dürfte allerdings kaum sein. Kreisförmige Vertiefungen
in den Steinwänden zeigen, wie sich das Team der Hisbollah mit einem
gewöhnlichen, zylinderförmigen Bohrer offenbar Stück für Stück durch den
harten Untergrund grub. Den Schutt müssen die Arbeiter auf libanesischer
Seite ans Tageslicht gebracht haben. „Unter zivilem Cover“, erklärt der
Guide. Möglicherweise war der Eingang zum Tunnel auf libanesischer Seite
als Baustelle getarnt.
## Die Blaue Linie ist dicht
Der Weg aus der Grenzregion im israelischen Galiläa in die Hochburgen der
Hisbollah im Südlibanon müsste nicht lang sein. Nur wenige Kilometer
trennen die nordisraelischen Ortschaften Sar'it und Schtula von den
libanesischen Siedlungen, von denen aus die Tunnelgegraben wurden. Doch die
Grenze ist dicht. Stacheldrahtzaun versperrt den Weg über die Blaue Linie,
streckenweise eine meterhohe Mauer aus massiven Betonelementen.
Wer zur Hisbollah will, muss über ein Drittland zunächst nach Beirut, in
die libanesische Hauptstadt reisen. Schon in den südlichen Stadtteilen der
Küstenmetropole ändert sich das Straßenbild merklich. Die beliebten
Fastfood-Ketten, die teuren Boutiquen für Dessouts und die großen
Modemarken, die das Zentrum von Beirut prägen, verschwinden. Stattdessen
zieren Spendendosen für schiitische Wohltätigkeitsvereine die Straßen und
die Plakate junger Männer, die als „Märtyrer“ in Syrien ihr Leben gelassen
haben.
Nach einigen Kilometern entlang der Küste gen Süden Richtung Israel
schlängelt sich eine enge Straße den Berg hinauf. Auf einem Plakat am
Straßenrand danken die Bewohner eines kleinen Dorfs ihrem Vertreter im
libanesischen Parlament dafür, dass er die Straße hat asphaltieren lassen.
Beim Dorf Mleeta schließlich, noch wenige Dutzend Kilometer von der
israelischen Grenze entfernt, empfängt der Parlamentarier persönlich.
## 10 Millionen Dollar für einen militaristischen Freizeitpark
Mohammed Hassan Raad ist ein ernsthafter Mann mit breiten Schultern,
behaartem Doppelkinn und festem Händedruck. Während des Gesprächs prasselt
der Hagel gegen die Fensterscheiben, immer wieder unterbrechen
ohrenbetäubende Donnerschläge die Unterhaltung. Es ist, als hätte sich das
Wetter dem Ort gefügt: Hier in den Bergen des Südlibanons hat die Hisbollah
einst ihren Kampf gegen Israel aufgenommen.
Wenn Raad vom Südlibanon spricht, dann spricht er auch von Israel. Wenn er
von der Hisbollah spricht, dann sagt er nur: al-muqawama, der Widerstand.
„Die Wurzel unserer Existenz“, sagt Raad, „ist der Widerstand gegen die
israelische Besatzung unseres Landes.“ 1982, mitten im libanesischen
Bürgerkrieg, waren die Israelis in den Libanon einmarschiert, drangen bis
nach Beirut vor, um die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) zu
vertreiben, die den Libanon als Ausgangspunkt für ihre Attacken auf Israels
Norden genutzt hatte.
„Frieden für Galiläa“, so der Name der israelischen Operation, war der
Beginn einer rund zwei Jahrzehnte dauernden Besatzung von Teilen des
Südlibanons durch Israel und libanesische Verbündete. Erst im Sommer 2000
zog sich Israel unilateral hinter die international anerkannte Grenze
zurück und gab die „Sicherheitszone“ auf. Bis heute feiern Herr Raad und
seine Hisbollah den Rückzug als Sieg.
Um den Kampf gegen Israel zu glorifizieren, hat sich die Miliz einiges
einfallen lassen. Vor der Tür, im prasselnden Regen, ragen Raketenwerfer
aus dem Boden. Dort liegt ein zerstörter israelischer Panzer mit den Ketten
gen Himmel in einem riesigen Krater, ein anderer hat einen Knoten im
Kanonenrohr. 10 Millionen US-Dollar hat sich die Hisbollah ihren
„Themenpark“ kosten lassen, eine Art militaristisches Disneyland auf 60.000
Quadratmetern, ein Freiluftmuseum im Dienste der Kriegspropaganda.
## Schaukeln, Softdrinks, Raketen und Panzer
Normalerweise ist der Park eine touristische Großattraktion. Nur wegen des
Unwetters stehen die Kinderschaukeln heute still, haben die
Getränkeverkäufer dichtgemacht, die sonst zwischen Katjuschas und
zerstörten Merkavas für Erfrischung sorgen.
Drinnen im Trockenen spricht der Abgeordnete Raad. Entfällt mit dem Abzug
der Israelis nicht die Existenzbegründung der Hisbollah, Herr Raad? „Die
gesamte Geschichte Israels von 1948 bis heute ist eine einzige Aggression“,
antwortet der 64-Jährige.
Im Streit um die Ausbeutung von Gasvorkommen im Mittelmeer entlang der
ungeklärten Seegrenze zwischen Libanon und Israel setze sich die
israelische Aggression fort. Nur noch zwei Länder in der Region würden
heute verbleiben, die sich Israel noch entgegenstellen: Syrien und Libanon,
sagt er. Also sei es nur eine Frage der Zeit, bis der Nachbar erneut
angreife. Die libanesische Armee sei eine schwache Armee und dem Feind
nicht gewachsen.„Sie reicht nicht aus, um Libanon zu verteidigen.“
Dass die Hisbollah es militärisch gesehen mit der staatlichen Armee
aufnehmen könnte, dass sie nach israelischen Angaben über 120.000 Raketen
verfügt, ist in Raads Augen kein Problem mangelnder Staatlichkeit: „Die
politischen Umstände“, ist er überzeugt, „machen den Widerstand notwendig
für die Verteidigung des Libanon.“
Was der Widerstands-Themenpark in Mleeta in seiner Fetischisierung des
Militärischen nicht erzählt, ist die andere Seite der Hisbollah. Denn im
Libanon ist die Organisation weit mehr als eine proiranische Schiitenmiliz
oder eine bedrohliche Parallelarmee. „Wir haben Krankenhäuser und Schulen
und sorgen für die Wasserverteilung“, listet Raad auf. Auch Zentren für
Behinderte und für Drogenabhängige unterhalte die Hisbollah. Raad selbst
sitzt als Abgeordneter seit 1992 im libanesischen Parlament.
## Die Hisbollah sitzt in der libanesischen Regierung
Bei der Bildung der neuen libanesischen Einheitsregierung Anfang des Jahres
spielten Raad und seine Fraktionskollegen des Widerstandblocks eine
entscheidende Rolle. Mit besonderer Aufmerksamkeit wurde im Ausland
beobachtet, dass die Hisbollah ihren Einfluss in der neuen Regierung
ausbauen konnte und sich drei Ministerposten sicherte. Nun kontrolliert ein
Hisbollah-Vertrauter unter anderem das hoch budgetierte
Gesundheitsministerium.
Wohlmeinend ließe sich sagen: Die Hisbollah ist eine wichtige politische
und soziale Kraft im Libanon. Weniger wohlmeinend muss man feststellen: Sie
ist eine Organisation, die von den meisten westlichen Staaten als
Terrororganisation betrachtet wird. Für Mäßigung in Bezug auf ihren
jüdischen Nachbarn hat die Einbindung in die libanesische Politik nicht
gesorgt.
„Die Hisbollah“, so erklärt der israelische Tunnelführer auf der anderen
Seite der Grenze, „hat verstanden, dass sie den Konflikt, um ihn am Leben
zu erhalten, auf die israelische Seite verlegen muss.“ Die Schwäche der
libanesischen Armee gegenüber der proiranischen Hisbollah sieht er als
eines der zentralen Probleme. „Der libanesische Staat“, sagt er, „hat noch
nicht einmal Zugang zu den Orten, an denen die Tunnel beginnen.“ Für den
Tunnelguide beginnt hinter dem Stacheldraht und den Betonbarrieren nicht
der Libanon, sondern Hisbollahland.
29 Jul 2019
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Hisbollah
Libanon
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
Libanon
Libanon
Hisbollah
Schwerpunkt Iran
Verhältnis Iran - Israel
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