# taz.de -- Mordfall Walter Lübcke: „Einer der besten Kameraden“ | |
> Stephan Ernst soll zur „völkischen Artgemeinschaft“ gehört haben. | |
> Hinweise häufen sich, dass der Mord an Lübcke nicht die Tat eines | |
> Einzelnen war. | |
Bild: 2002 wird Stephan E. (2.v.r.) mit anderen Neonazis vor linken Gegendemons… | |
Es ist das Mantra der Sicherheitsbehörden im Mordfall Lübcke: Der | |
Tatverdächtige, Stephan Ernst, sei seit 2009 nicht mehr auffällig gewesen. | |
Deshalb habe man ihn zuletzt nicht mehr auf dem Radar gehabt. Das Bild aber | |
bekommt [1][zunehmend Risse]: Offenbar war Ernst doch länger in die | |
rechtsextreme Szene verstrickt als bisher bekannt. | |
In Sicherheitskreisen heißt es nun, der 45-Jährige sei noch bis 2011 | |
Mitglied in der rechtsextremen „Artgemeinschaft – Germanische | |
Glaubensgemeinschaft“ gewesen. Wegen offener Mitgliedsbeiträge sei er dann | |
rausgeworfen worden. Zuerst hatte die Welt darüber berichtet. Zudem wurden | |
zuletzt zwei mutmaßliche Waffenbeschaffer von Ernst verhaftet – die | |
ebenfalls der rechtsextremen Szene nahestehen. | |
Ernst hatte am Dienstag [2][gestanden], Anfang Juni den Kasseler | |
Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor dessen Haus [3][erschossen zu | |
haben] – wegen einer Äußerung des CDU-Politikers 2015, als dieser sich | |
gegen Flüchtlingsfeinde verwehrte. Ernst fiel bereits ab 1989 mit schweren | |
rechtsextremen Straftaten auf, war Teil der Kasseler Kameradschaftsszene | |
und kurzzeitig Mitglied der NPD. 2009 aber, nach der Teilnahme an einem | |
Angriff von Neonazis auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund, war Schluss. So | |
hieß es bisher. | |
Offenbar aber nicht mit der „Artgemeinschaft“. Diese wurde 1951 gegründet | |
und lange Jahre von der NPD-Ikone Jürgen Rieger angeführt. Der | |
Verfassungsschutz geht derzeit von 170 Anhängern aus. Die Mitglieder | |
verstehen sich als „heidnische Germanen“ und wollen eine Zukunft „im Krei… | |
unserer Art“. Der Verfassungsschutz attestiert der Gruppe eine „rassistisch | |
geprägte Ideologie“, sie sei ein „bedeutender Ansprechpartner für das | |
kulturelle Leben innerhalb der nationalen Bewegung“. Gleichzeitig verhalte | |
sie sich „äußerst konspirativ“. | |
## Ernsts Hochphase fällt mit NSU-Morden zusammen | |
Und: Die Gruppe hat einen NSU-Bezug. Vor ihrem Untertauchen 1999 soll Beate | |
Zschäpe eine Tagung der „Artgemeinschaft“ in Niedersachsen besucht haben. | |
Jahre später soll dies auch der als NSU-Helfer verurteilte Sachse André | |
Eminger getan haben. Und der als NSU-Waffenorganisator verurteilte Ralf | |
Wohlleben ist mit dem derzeitigen Anführer der „Artgemeinschaft“, Jens | |
Bauer, befreundet. | |
Und hier nun mischte auch Stephan Ernst mit? Das ist heikel: Seine | |
rechtsextreme Hochphase spielte genau in der Zeit, als der NSU mordete – | |
im April 2006 auch in Kassel. Ernsts Anwalt wollte sich am Sonntag nicht | |
äußern. „Artgemeinschaft“-Anführer Bauer indes bestreitet eine | |
Mitgliedschaft von Ernst: In internen Unterlagen tauche dieser nicht auf. | |
Sicherheitskreise behaupten anderes. | |
Dazu kommt, dass Ernst offensichtlich auch über 2009 hinaus mit dem | |
Kasseler [4][Rechtsextremen Markus H. Kontakt hielt]. Der soll ihm 2016 die | |
Tatwaffe für den Mord an Walter Lübcke vermittelt haben – über den | |
Trödelhändler Elmar J. aus Nordrhein-Westfalen, der im Internet mit der NPD | |
sympathisierte. Beide sind nun auch inhaftiert wegen des Vorwurfs der | |
Beihilfe zum Mord. | |
Markus H. soll schon in den Neunzigern bei der rechtsextremen Partei FAP | |
mitgemischt haben, später beim „Freien Widerstand Kassel“. Und: Im | |
NSU-Komplex wurde H. 2006 von Polizisten befragt, weil er auffällig oft | |
eine BKA-Fahndungsseite zum Kasseler NSU-Mord aufrief. Er habe das Opfer, | |
Halit Yozgat, flüchtig gekannt und sich daher für die Tat interessiert, | |
sagte H. damals. Die Ermittler hakten die Spur ab. | |
## Der verharmlosende Mythos vom „rechten Schläfer“ | |
Die Linken-Innenexpertin Martina Renner fordert nun die Ausweitungen der | |
Ermittlungen im Fall Lübcke. „Die neuen Meldungen zeigen, wie falsch und | |
gefährlich der Begriff ‚rechter Schläfer‘ ist“, sagte sie der taz. „S… | |
Ernst als auch Markus H. waren nie raus aus der rechten Szene. Ich erwarte, | |
dass die Bundesanwaltschaft gegen alle Unterstützer der rechten Mordtat | |
konsequent nicht nur wegen Beihilfe ermittelt, sondern auch wegen Bildung | |
einer terroristischen Vereinigung.“ | |
Druck lastet nun auch auf den Sicherheitsbehörden, allen voran dem | |
hessischen Verfassungsschutz: Hätten Sie Ernst nicht doch im Blick behalten | |
müssen? Auffällig jedenfalls ist, dass sich Kasseler Neonazis zuletzt mit | |
Ernst solidarisierten. Einer nannte ihn „einen der besten Kameraden“. | |
Weiter geprüft wird, ob Ernst nicht auch zum Neonazi-Netzwerk „Combat 18“ | |
Kontakt hielt. | |
Zudem untersuchen die Ermittler nach taz-Informationen die Rolle von Ernsts | |
Schwiegervater. Nachgegangen wird Hinweisen, dass sich dieser im Kreis der | |
2011 verbotenen „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene“ | |
bewegt haben könnte. Er soll der Halter eines von zwei Autos sein, die ein | |
Nachbar Lübckes am Tatort gesehen haben will. | |
30 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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