# taz.de -- Gesine Schwan erwägt SPD-Parteivorsitz: Die Grande Dame will’s w… | |
> Gesine Schwan kann sich vorstellen, SPD-Vorsitzende zu werden. Könnte | |
> eine Intellektuelle das? Mit ihr würde vieles anders. | |
Bild: Ist sie die richtige für das Amt? Gesine Schwan im Jahr 2009 | |
Gesine Schwan lacht am Telefon. Dieses heisere, von Herzen kommende | |
Schwan-Lachen, als sei die Frage etwas absurd. Dabei ist sie mehr als | |
berechtigt. Politik in Berlin ist brutal. Die Schnelligkeit, der Druck, die | |
Fragen der Journalisten, die Heckenschützen in der SPD, die endlosen | |
Sitzungen im Willy-Brandt-Haus. Warum, Frau Schwan, wollen Sie sich das | |
antun? | |
Gesine Schwan, 76, stellt erst mal klar, dass sie mit der Formulierung | |
nichts anfangen kann. Wer sich in der Demokratie engagiere, der tue sich | |
nichts an. Sie nehme eben Missstände in der SPD wahr. „Ich fühle mich in | |
einem solchen Fall wohler, wenn ich mich engagiere, als wenn ich zu Hause | |
Blümchen gieße.“ Es ist so: Schwan kann sich vorstellen, SPD-Vorsitzende zu | |
werden. Das war eine der überraschenderen Nachrichten dieser Woche. Jetzt | |
Chefin zu werden, das ist, als übernehme frau das Steuer der Titanic, kurz | |
nachdem der Eisberg gesichtet wurde. | |
Schwan war in ihrem Leben schon vieles: Wissenschaftlerin, Präsidentin der | |
Europa-Universität in Frankfurt (Oder), Mitgründerin einer Hochschule, | |
zweimal Präsidentschaftskandidatin. Immer aber war sie überzeugte | |
Sozialdemokratin und öffentlich wirkende Intellektuelle. Zu ihrer Partei | |
hielt sie gesunde Distanz. Sie stritt und litt mit, erteilte Rat, leitet | |
seit Jahren die Grundwertekommission der SPD. Aber ein Amt strebte sie nie | |
an. „Ich habe in der Partei, aber nicht von der Partei gelebt.“ | |
Nun Interesse an einem der härtesten Jobs in der deutschen Politik zu | |
signalisieren, das ist ein radikaler Schritt für eine, die sich guten | |
Gewissens zur Ruhe setzen könnte. Es könnte ein Opfergang sein, denn die | |
Mission scheint aussichtslos. Die SPD ist wund gerieben. Sie schleppt sich | |
erschöpft in der Groko dahin, mit 12 bis 14 Prozent in den Umfragen und auf | |
Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zu, die fürchterlich ausgehen | |
könnten. | |
## Nein, ihr gehe es nicht um Macht | |
Alle ahnen, dass die Zeit der Volkspartei SPD vorbei sein könnte. Aber was | |
kommt danach? | |
Die Lage ist so verzweifelt, dass die Karriere eines Vorsitzenden schnell | |
enden kann. Wohl auch deshalb haben prominente SPDler reihenweise abgesagt. | |
Olaf Scholz hat keine Zeit, Malu Dreyer ist zu krank, Manuela Schwesig wird | |
in Mecklenburg-Vorpommern gebraucht, Stephan Weil hat nicht die Absicht, | |
sich zu verändern. Schwan hat das beobachtet, es betrübte sie. Warum steigt | |
keiner in die Bütt für die SPD, die sie großartig findet? Dass sie nun | |
wollte, wenn Zuspruch käme, ist auch ein urdemokratisches Angebot. Es muss | |
Auswahl geben, einen Wettstreit der Ideen. So sieht sie das. Als sie 2004 | |
und 2009 für das Amt der Bundespräsidentin kandidierte, waren ihre Chancen | |
auch überschaubar. | |
Noch vor Kurzem wäre die Idee einer SPD-Chefin Schwan als absurd abgetan | |
worden. Sie ist nicht mehr die Jüngste und steht außerhalb des | |
Machtbetriebs. Aber die Zeiten sind so, dass auch das Außergewöhnliche | |
möglich wird. Weil vielleicht nur ein Bruch mit alter Logik die SPD retten | |
könnte. Weil vielleicht die Idee, nach GabrielSchulzNahles wieder einen | |
lang gedienten Funktionär an die Spitze zu setzen, aus der Zeit gefallen | |
ist. Schwan wäre etwas völlig Neues, inhaltlich, habituell und | |
intellektuell. | |
Schwan sagt am Telefon vieles, was nach der klassischen Deutung | |
K.-o.-Kriterien für eine Bewerbung wäre. Nein, ihr gehe es nicht um Macht. | |
Nein, an einer Kanzlerkandidatur habe sie kein Interesse. Sie wolle keine | |
Karriere mehr machen, die habe sie schon gemacht. | |
Sie sagt: „Mein Ziel ist es, dabei zu helfen, die SPD wieder nach oben zu | |
bringen, eine Trendwende zu erreichen.“ Ihre Analyse des Jetzt-Zustandes | |
ist nüchtern und präzise. „Meiner Partei ist die Vision abhandengekommen, | |
wie eine bessere Zukunft aussehen könnte.“ Die Menschen wollten ja nicht | |
resignieren, sie wollten Teil von etwas sein. „Die SPD muss ihre | |
Begeisterungsfähigkeit neu entdecken.“ Weg vom Spiegelstrich-Image, dafür | |
mehr Emotion und Lust auf Veränderung. | |
## „Wir helfen anderen“ | |
Schwan spricht eine warmherzige Sprache, die bei vielen ankommt. Sie ist | |
belesener als ihre Parteifreunde, denkt in historischen Zusammenhängen, | |
besitzt aber ein feines Gespür für Alltagssorgen. Kurz bevor die SPD ihr | |
Konzept einer neuen Grundsicherung präsentierte, [1][redete Schwan in der | |
taz Tacheles]. Die Idee, dass Menschen faule Säcke seien, passe zu | |
autoritären Regimen. Sie verursache Kränkungen und gravierende | |
Vertrauensverluste. Die SPD stehe normativ und ideengeschichtlich für etwas | |
anderes: „Wir helfen anderen, wenn sie in tiefes Wasser geraten.“ | |
So klare Worte hatte selten eine Sozialdemokratin zu Hartz IV gefunden. | |
Danach hörte ich von mehreren LeserInnen und FreundInnen denselben Satz: | |
Wenn Schwan Chefin wäre, würde ich die SPD wieder wählen. Das ist | |
selbstverständlich nicht repräsentativ, eine subjektive Beobachtung. Aber | |
die These, dass es bei enttäuschten SPD-WählerInnen eine Sehnsucht nach | |
solchen Botschaften gibt, die ist nicht abwegig. | |
Gesine Schwan glaubt von sich selbst, neues Vertrauen schaffen zu können. | |
Sie werde eigentlich bei jeder S-Bahn-Fahrt angesprochen, erzählt sie. Die | |
Menschen sagten ihr, dass sie etwas Ermutigendes hätte. Warum das so sei? | |
Vielleicht weil sie eine Analyse und ein Ziel formuliere, eine Idee, wie es | |
besser sein könne. „Das ist womöglich ansteckend.“ | |
Allerdings würde sich erst in der Realität zeigen, ob Schwan all dies | |
einlösen könnte. Die öffentliche Intellektuelle mag frei von der Leber weg | |
reden und utopistischen Überschuss verströmen. Als Vorsitzende wäre sie den | |
Zwängen des Apparats ausgesetzt. Den Kompromissen, den Eifersüchteleien, | |
der der SPD innewohnenden Vorsicht. | |
## Schwan ist nicht die einzige Interessentin | |
[2][In der SPD werden gerade leidenschaftlich Doppelspitzen diskutiert.] | |
Der Vorstand hat am Montag das Verfahren festgelegt: Interessierte | |
EinzelkandidatInnen oder Zweierteams können sich bis zum 1. September | |
melden. Alle BewerberInnen touren dann durch die Republik, um sich auf | |
Regionalkonferenzen der Basis vorzustellen. Am Ende entscheiden die 440.000 | |
SPD-Mitglieder. Für die SPD ist das ein großer Schritt, alle wissen, dass | |
sich etwas ändern muss. | |
Schwan ist nicht die einzige Interessentin. Franziska Giffey, die als | |
Familienministerin im Kabinett eine gute Figur macht, signalisiert | |
Bereitschaft. Stephan Weil, der mächtige Niedersachse, würde sich wohl noch | |
bitten lassen. Beide als Duo wären ein professionelles Angebot, aber eben | |
auch ein „Weiter so“. Schwan aber, womöglich sogar in der Kombination mit | |
dem Juso-Chef Kevin Kühnert, das wäre etwas radikal anderes. Ein Vorteil | |
kann sein, dass Gesine Schwan nicht in Schubladen passt. Früher war sie | |
viel bei den Seeheimern, weil sie Antikommunistin ist. Jüngeren in der | |
Sozialdemokratie gilt sie als echte Linke. | |
Würde Schwan Chefin, würde vieles anders. Sie wirbt unverdrossen für | |
Rot-Rot-Grün – und positionierte sich immer wieder gegen allzu | |
pragmatisches Regieren. In der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 warnte sie | |
vor „sozialen Unruhen“. Falls der Eindruck entstünde, dass die Verursacher | |
keinen angemessenen Beitrag zur Behebung leisten müssten, „könnte sich ein | |
massives Gefühl der Ungerechtigkeit breit machen“. Sie kritisierte während | |
der Griechenland-Krise scharf den Sparkurs der Bundesregierung, den ihre | |
SPD mittrug. | |
Das dänische Modell, also rigide Flüchtlings- und linke Sozialpolitik fürs | |
eigene Volk, wäre mit Schwan nicht zu machen. Hat eine kosmopolitische | |
Elite die Interessen lokal verankerter, weißer Arbeiter vernachlässigt? | |
## Das Schielen auf einzelne Milieus nervt | |
Schwan atmet heftig aus. „Diese These halte ich für dummes Zeug“, sagt sie. | |
Die SPD dürfe nicht die Liberalisierungsschübe zurückdrehen, die in den | |
vergangenen Jahrzehnten mühsam erkämpft worden seien. „Es gibt auch | |
homosexuelle Arbeiter, die in einer offenen Gesellschaft leben wollen.“ | |
Sowieso geht ihr das Schielen auf einzelne Milieus auf die Nerven. Willy | |
Brandt habe mit einer gemeinsamen Linie integriert. „Die SPD muss über die | |
Grenzen unseres Landes hinaus für eine bessere Welt sorgen – und ganz im | |
Sinne Willy Brandts die globale Dimension in den Blick nehmen.“ | |
Schwan klingt gut gelaunt, fast fröhlich. Die Grande Dame der SPD will es | |
gerade wissen. Eine wichtige Frage ist, ob die SPD zu so viel Veränderung | |
bereit ist. | |
30 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Gesine-Schwan-ueber-Hartz-IV-und-die-SPD/!5568926 | |
[2] /SPD-will-Doppelspitze-ermoeglichen/!5602309 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Parteivorsitz | |
Gesine Schwan | |
SPD | |
SPD | |
SPD-Fraktion | |
Gesine Schwan | |
Grüne Berlin | |
Rot-Rot-Grün | |
Gesine Schwan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sozialdemokraten suchen Vorsitzende: Weil will nicht SPD-Chef werden | |
Niedersachsens Ministerpräsident verzichtet auf eine Kandidatur zum | |
Parteivorsitz. Er unterstützt stattdessen Lars Klingbeil. | |
Kandidatur für SPD-Parteivorsitz: Linkes Duo will SPD führen | |
Im Rennen um den SPD-Vorsitz treten Staatsminister Roth und die frühere | |
NRW-Ministerin Kampmann an. Sie wollen diverser und digitaler sein. | |
Gesine & Kevin: Die wären's, oder?: Das ignorierte Traumduo | |
Die Tragik der Partei zeigt sich im Casting der SPD um den Parteivorsitz. | |
Das hat begonnen – und keinen kümmert's. Dabei gäbe es eine perfekte | |
Lösung. | |
Juso-Chefin Annika Klose im Interview: „Nicht von den Grünen geklaut“ | |
Die Berliner Juso-Chefin Annika Klose fordert nicht nur eine inhaltliche | |
Neuausrichtung ihrer Partei – sondern auch eine personelle. | |
Kommentar SPD auf Selbstfindungstrip: It's the Inhalte, stupid! | |
Doppelspitze, Fristen, Anträge: Die SPD redet mal wieder leidenschaftlich | |
über Verfahrensfragen. Aber wo bleibt die Grundsatzdebatte über den Kurs? | |
Gesine Schwan über die Große Koalition: „Merkels Glanz ist verblasst“ | |
Die Sozialdemokraten sollten in der Großen Koalition eigenständiger werden, | |
sagt Gesine Schwan. Vor allem müssten sie das Finanzministerium übernehmen. |