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# taz.de -- Kolumne Navigationshilfe: Ein traumatisiertes Dorf
> Moengo ist das Heimatdorf des ehemaligen Rebellenführers Ronnie
> Brunswijk. Viele Bewohner flohen während des Guerillakrieges.
Bild: In der Hauptstadt Paramaribo steht neben der Moschee eine Synagoge
Ich war einmal in einem traumatisierten Dorf. Wir wussten das nicht, als
wir dort landeten auf einer Fahrt durch den Norden von Suriname. Es wirkte
wie ein Allerweltskleinstadt, tropisch schwül, viele Kinder auf der Straße,
Erwachsene, die am Bürgersteig saßen. Sie schauten uns an. Es war etwas
Seltsames in den Blicken. Nicht die übliche Kombination aus Neugier und
Gleichgültigkeit, sondern Aggressivität, Unruhe, vielleicht Abneigung, als
wären wir irgendwo eingedrungen, wo wir nicht hingehörten. Am Ende des
Dorfes begegneten wir einer Frau, die ein Kunstprojekt leitete. Sie
erzählte uns die Geschichte von Moengo.
Suriname ist ein multiethnisches Land. Es leben etwa Nachfahren von
Niederländern, von Indern, Javanern, Chinesen, von afrikanischen Sklaven
und Indios dort; es gibt Christen, Muslime und Hindus. Die meisten Leute,
denen wir begegneten, waren stolz auf das Multikulti. Kaum einer, der nicht
erwähnte, dass in der Hauptstadt Paramaribo eine Moschee neben einer
Synagoge steht.
„Es gibt hier keine Leitkultur“, erzählte uns einer, der uns im Auto
mitnahm. „Das Zusammenleben funktioniert, weil jeder leben darf, wie er
will. Und weil es hier genug Platz dafür gibt.“ Ein paar Tage lang waren
wir beeindruckt davon. Dann lernten wir, dass das Multikulti nur zum Preis
absoluter Segregation funktionierte: Es gab muslimische Dörfer und
Hindu-Dörfer, die im Wohlstandsniveau krass unterschiedlich waren. Es gab
Hierarchien; die Maroons, Nachfahren geflüchteter Sklaven, standen ganz
weit unten. Dann kam einer, der einen Maroon-Aufstand anführte. Das war
Ronnie Brunswijk, und seine Rebellenhochburg war Moengo.
„Da hinten wohnt Ronnie Brunswijk“, sagte die Künstlerin. „Jeder weiß, …
er bis heute hier lebt. Die Leute lieben ihn noch immer.“ In Brunswijks bis
1992 währendem Guerillakrieg rächte sich die Armee übel an der Bevölkerung
von Moengo. Viele flüchteten nach Französisch-Guayana. Irgendwann kehrten
sie zurück, und blieben ungewollt.
Unsere Erzählerin glaubt, bis heute seien die Leute traumatisiert. „Die
Erwachsenen kommen nicht klar, sie schlagen die Kinder zu Hause und in der
Schule, und der Kreislauf setzt sich fort.“ Wenn irgendjemand uns später
vom Multikulti Surinames vorschwärmte, dachten wir an Moengo. Multikulti
bedeutet gesteigertes Konfliktpotenzial und Verteilungskämpfe. Die
Bruchlinien verlaufen oft entlang ethnischer Zugehörigkeiten. Und auch in
vermeintlich bunten Gesellschaften bleiben die meisten lieber in ihrem
kleinen Hindu-Dorf.
Die Künstlerin in Moengo versuchte mittels Malerei, den Kindern wieder zu
kreativem Denken zu verhelfen. Sie vermittelte Hoffnung. Weitgehend allein
mit dem Projekt in einer Gesellschaft, die mit Buntheit zwar warb, sie aber
offenbar nicht erleben wollte.
23 Jun 2019
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Surinam
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Massaker
Multikulti
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