# taz.de -- Fressmeile in Lyon: Kutteln, Kalbskopf, Hechtklößchen | |
> Rund 4.000 Restaurants soll es in Lyon geben. Die Stadt gilt als | |
> Hauptstadt der guten Küche. Doch schon bei der Auswahl fühlt man sich | |
> erschlagen. | |
Bild: Die Auswahl scheint unendlich zu sein: Restaurants in Lyon | |
Die Altstadt ist eine einzige Restaurantmeile – das, was sonst eben die | |
Shoppingmeile ist –, und ich beobachte die Menschen, die entlang dieser | |
Galerie des Fressens ziellos vorwärts und rückwärts stromern. Überfordert | |
von der Auswahl und von dem eigenen Anspruch, weil der Reiseführer doch | |
sagt, man soll so toll essen können in Lyon, also bloß nicht ins falsche | |
Lokal. Es könnte ja irgendwo besser, günstiger, authentischer sein. | |
Ich sitze in einem hübschen Restaurant mit pseudoantiquiertem Mobiliar, | |
bläulichem Licht und offener Fassade. Lyon, die Hauptstadt der guten Küche, | |
angeblich gibt es 4.000 Restaurants hier. Aber die Menschen, mich | |
eingeschlossen, wären mit einer Auswahl von 2.000 wahrscheinlich auch ganz | |
zufrieden. Die meisten bleiben unschlüssig stehen vor den angebotenen Menüs | |
in den Auslagen der Restaurants. Sie überlegen, zögern, beraten, ziehen | |
davon, kommen zehn Minuten später doch wieder, ach nein, Schatz. Die | |
Auswahl erschlägt sie, die Preise vielleicht auch. | |
Die Gastronomiestadt Lyon ist berühmt für ihre „Bouchons“. Rustikale | |
Lokale, wo im 19. Jahrhundert die Lyoner Mütter gut und deftig kochten und | |
heute Touris – und an guten Orten fast noch mehr Einheimische – speisen. | |
Die traditionelle Lyoner Küche ist schwer fleischlastig, und weil Touristen | |
alles lieben, was nach Tradition klingt, liefern die meisten Lokale genau | |
das, und das ist fast überall ziemlich dasselbe. | |
Andouillette, eine Wurst aus Innereien, oder Tablier de Sapeur, eingelegte | |
Kutteln, oder Kalbskopf, Leber oder Quenelles, Hechtklößchen. Es ist eine | |
kulinarische Galerie der Eingeweide. Und es ist lustig, wie Menschen, die | |
so etwas sonst nicht anrühren, dafür Schlange stehen, weil man das eben so | |
macht in Lyon. Das Adjektiv „typisch“ scheint das lukrativste der Welt | |
sein, um Produkte anzupreisen. | |
Und es herrscht eine triste Monotonie des Typischen hier, noch jemand | |
Innereien-Wurst? Andere, die sich für klüger halten, heben sich davon ab, | |
distinguieren sich, weil man eben gern anders ist und isst. Auch sehr | |
lustig. | |
Ich mag das Lokal, in dem ich sitze, weil es tatsächlich sehr gutes Essen | |
serviert, ein Drei-Gänge-Menü aus Käse (paniert, als Füllung, als Soße, mit | |
Obst) – Entdeckungen sind mühsamer an solchen Orten, aber lohnend. Ich | |
beobachte auch hübsche kleine Dinge: dass sich so viele Franzosen mittags | |
ins Lokal setzen, nur um eine Flasche Wasser und ein Glas Wein zu trinken. | |
Und bei mir im Viertel gibt es eine Bude, die gute Steinofenpizza zum hier | |
geradezu lächerlichen Preis von 7,50 Euro verkauft. Der Mann ruft mir | |
hinterher, ob ich nicht ein Getränk mitnehmen wolle, das sei inklusive. | |
Ach, es müssen ja nicht immer Kutteln sein. | |
6 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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