| # taz.de -- Die Wahrheit: Poesie unterm Hallenbad | |
| > Der Lyrikwettbewerb „Großer Dinggang 2019“ übertraf in Menden im | |
| > Sauerland wie stets und immer alle Erwartungen. Ein wahrer Eventbericht. | |
| Bild: Menden: Shownabel der Welt, hier mit den beiden bezaubernd poetischen Dam… | |
| Der Dinggang | |
| Langsam ist der Gang der Dinge | |
| wenn es nach den Dingen ginge | |
| dauerte es elend lang. | |
| Sind die Dinge mal im Gang | |
| muss man halt vor allen Dingen | |
| sehr sehr viel Geduld aufbringen. | |
| Hat es aber angefangen | |
| mit den langen Dingendangen | |
| sind sie endlich angesprungen | |
| ist es tatsächlich gelungen | |
| und sie kommen in die Gänge | |
| Mann! Das zieht sich in die Länge | |
| Und das geht so lang es geht | |
| bis das Ding dann steht. | |
| (F.W. Bernstein) | |
| Bezaubert und von Lyrik geküsst, stahl sich womöglich der ein oder andere | |
| Zeuge des „Großen Dingang 2019“ heimlich unter dem Mendener Hallenbad | |
| davon, um in der Einsamkeit des hoch aufgetürmten sauerländischen | |
| Gipfelmassivs einen ganz neuen Blick auf die erhabene Welt zu werfen. Wir | |
| können es ihm nicht verdenken, denn das, was er soeben im Saloon | |
| „Scaramouche“ erlebt hatte, sprengte alles, was er zuvor für möglich hiel… | |
| Hunderte feinsinnige Menschen waren aus der ganzen Welt angereist, um dem | |
| Ereignis, das nur alle zwei Jahre an nur zwei Tagen zu beobachten ist, | |
| beizuwohnen: Ein Dichterwettstreit, der den Kampf zwischen Homer und Hesiod | |
| – Zeus habe beide selig – ins Banale verdrängt und ganz dem großen F.W. | |
| Bernstein gewidmet ist, der so viele Seelen mit dem Pfeil der Dichtkunst | |
| getroffen und für immer verzaubert hat. | |
| Fünf strahlende Recken stellten sich dem Reim-Turnier im pittoresken | |
| mittelalterlichen Menden, dessen Stadtkern aus Kirchen, Apotheken, leckerem | |
| Essen, wunderschönem Fachwerk, Friseuren, sprudelnden Quellen, schönen | |
| Menschen und Eisdielen besteht. | |
| Die Dichter lasen und reimten sich um die Wette in die Seelen des Publikums | |
| hinein und der hochkarätig besetzten Jury (Corinna Stegemann, Thomas | |
| Gsella, Christian Maintz und Peter P. Neuhaus) bluteten die Herzen beim | |
| Gedanken daran, nicht allen die Jury-Krone aufsetzen zu dürfen. | |
| Als erster schritt Carsten Stephan in die mit großartiger Showbühne und | |
| raffinierten Lichteffekten in Szene gesetzte Arena – ein Pokerface, bei dem | |
| man stets fürchtete, er würde im Stiefel einen Reim-Colt bei sich tragen | |
| und alle abknallen, die eine falsche Hebung auf den Tisch werfen. Der Clint | |
| Eastwood unter den Dichtern: | |
| „Kalbsgeschlinge, Schwartenmagen, | |
| Karpfen blau und Gänsehals. | |
| All das wollen wir vertilgen | |
| Heute zum Veganertag.“ | |
| Das reimte sich zwar nur so mittel, aber immerhin war das Publikum danach | |
| satt und reif für eine kleine Sporteinheit, die Philip Saß als den Nachruf | |
| auf einen Mittelfeldspieler in die aufgepeitschte Runde warf: | |
| „Du ranntest schnell, du ranntest weit, | |
| du ranntest immer wieder. | |
| Doch ging es Richtung Nachspielzeit, | |
| dann sankst du jäh hernieder.“ | |
| Philip Saß, ein tiefgründiger Philosoph aus dem hohen Norden, der seine | |
| Worte immer klug und stets bedacht einsetzt. | |
| Der Dritte im Bunde war Stefan Pölt. Einen liebenswerteren lebenden Dichter | |
| kann man sich nicht vorstellen. Elegant durchmaß er den Raum – ein Blick | |
| hier, ein Blick dort – und er wusste Bescheid: | |
| „Die Existenz von Reim allein | |
| reicht nicht, um ein Gedicht zu sein, | |
| doch wird das auch nicht garantiert, | |
| wenn gar kein Reim die Zeilen schönt.“ | |
| Das Publikum im „Scaramouche“ wurde langsam fiebrig – könnte es noch eine | |
| Steigerung geben? Kaum war der Dritte fertig, kündigten die wunderschönen | |
| Moderatoren Janine Bauer und Peter P. Neuhaus (der 53-Jährige ist ledig) | |
| unbeeindruckt schon den nächsten Streiter an. | |
| Und das war Moritz Hürtgen, ein überaus charmanter junger Mann, den jede | |
| Mutter gerne zum Schwiegersohn hätte. Er beruhigte durch seine liebenswerte | |
| Stimme und sein weltmännisches Auftreten rasch die bis zum Bersten erregten | |
| Gemüter, bis er ein Thema aufgriff, das jähe Panik – wenn nicht im ganzen | |
| Publikum, dann doch bei Jurorin Stegemann – verursachte: Spinnen! | |
| „Diese flüstern Dinge wie: | |
| ‚Dai ne kas Se zaltir di | |
| konn Fronn tha Tions the Ra pie‘“ | |
| Vielen Dank Moritz, für den Alptraum. | |
| Und schließlich dauerte es nicht mehr lange, bis die Saloontür abermals | |
| aufschwang und im Gegenlicht der untergehenden Sonne die Silhouette eines | |
| Ingo Neumayer zeigte, der sicher nicht davor zurückschrecken würde, einen | |
| Aschenbecher oder Vogelkäfig zu klauen: | |
| „Wenn die Amsel Türülü singt | |
| Dann weiß jeder: Ja, es frühlingt.“ | |
| Doch das alles war erst der Auftakt zu einem Dichtergemetzel, das es so in | |
| der bekannten Welt noch niemals gegeben hat: Getreu dem Motto „Brot und | |
| Spiele“ hatte die auf ewig gepriesene Moderatorin Janine am Vorabend | |
| zunächst das Publikum mit Popcorn versorgt und dann dazu aufgefordert, | |
| wahllos Begriffe in den Raum zu werfen, auf die die überrumpelte Jury über | |
| Nacht einen Vierzeiler reimen sollte. Vorkommen mussten die Wörter: Mensch, | |
| Hallenbad, Eisenbahnwaschanlage, Gefuckelter und Sakrileg. Gsella hatte | |
| schon nach fünf Sekunden verkündet, seiner sei fertig, alle anderen Juroren | |
| bissen sich verzweifelt in die Fäuste und weinten. Und nun, vor der | |
| Preisverleihung des kleinen und des Großen Dinggang, mussten die Juroren | |
| ihren Vierzeiler öffentlich vortragen. Man übertreibt wohl nicht, wenn man | |
| sagt, dass die famose Stegemann mit „Ein Mensch fand einst im Hallenbad ein | |
| Nockenwellenantriebsrad“ einen großartigen Start hinlegte, doch es soll | |
| hier ja nicht um die Jury gehen. | |
| Jetzt betraten zwei zauberhafte Elfenwesen namens Frau Ding und Frau Gang | |
| die Szenerie: Flügel wie aus Seide gesponnen, Gesichter aus reinstem | |
| Alabaster, liebreizend und schön verteilten sie Murmeln im Publikum, denn | |
| dem Jurypreis des besten Dichters dieses Wettstreites musste auch ein | |
| Publikumspreis entgegengestellt werden. Und gewählt wurde per | |
| Murmel-Abgabe! | |
| Die Spannung stieg bis ins Unerträgliche und am Ende gab es frenetischen | |
| Applaus, jubelnde Hymnen und umherfliegende Konfettischnipsel für zwei | |
| verdiente Sieger: Carsten Stephan wurde einstimmig zum Dinggang-Jurysieger | |
| gewählt, was ihm nicht nur einen Riesenbatzen Geld, sondern auch einen sexy | |
| Badehosenaufnäher verschaffte! Bei der Publikumsabstimmung hingegen landete | |
| Philip Saß auf dem ersten Platz. Er war schon vor zwei Jahren in der | |
| Endrunde gewesen und hatte sich diesmal klar gegen seine vier | |
| Mitkonkurrenten durchgesetzt. | |
| Schon jetzt sollten sich alle Reimfreunde den Mai 2021 ganz dick im | |
| Kalender anstreichen, wenn es dann aber heißen wird: „Aller guten | |
| Dinggang-Dinge sind drei!“ | |
| 6 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Corinna Stegemann | |
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