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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Rache der Dienstmagd
> Studentenbuden des Grauens: Als studentische Dienerin einer gehobenen
> Herrschaft in einem altrosafarbenen Palast.
Studenten haben es nicht leicht. Zum einen wollen sie neuerdings
Studierende genannt werden, als gäbe es keine größeren Probleme. Zum
Beispiel können Studenten neuerdings nicht mehr bis in die Puppen pofen
oder nächtelang in Kneipen herumlungern oder einander schwindelig labern.
Auch können sie ihre Zottelmähnen und Unkrautbärte nicht mehr bis ins
Ungefähre wuchern lassen – nicht mal die weiblichen Exemplare! Denn das
Studentenleben ist härter geworden, wie jüngst eine Umfrage des
Personaldienstleisters Studitemps und der Universität Maastricht ergab.
Demnach haben Studenten es so schwer wie noch nie, Wohnungen zu finden, und
sie leiden am meisten unter den hohen Mietpreisen. Allerdings jammern
Studenten auch schon seit 2.000 Jahren über ihre miserablen Umstände, ihre
Armut und ihre Neun-Quadratmeter-Buden. Früher war eben nicht alles besser,
wie auch der wahrhaftige Report unserer dem Studentenleben zum Glück längst
entwachsenen Autorin zeigt.
Der Herbstregen prasselte herab, und Nussbaumblätter stoben mir in wilden
Wirbeln um den Kopf, als ich gut gelaunt aus dem Studentenwohnheim auszog,
um mit meinem gesamten Hab und Gut, also ein paar Tassen, einem Topf,
verschiedenen Büchern, einem Schlafsack und einem Regal, bestehend aus
einem Brett, bei meinem früheren Arbeitgeber einzuziehen. Dr. B. war
Rechtsanwalt und Notar mit einer gutgehenden Kanzlei, bei dem ich erst kurz
zuvor einen Ferienjob geschmissen hatte, weil ich das ganze Rechtswesen
unerheblich, ja dumm fand und nicht Schreibmaschine tippen konnte.
Da mich dieser Job nun mal nicht mehr mit Einkünften versorgte, hatte ich
kein Geld für Miete oder etwas in dieser Art, und Dr. B. bot mir an,
übergangsweise in seinem schmucken Haus mietfrei wohnen zu dürfen, wenn ich
nur ab und an seiner eleganten Gattin hier und da etwas zur Hand ginge.
Das ganze große Herrenhaus war von oben bis unten mit altrosa Samt
ausgeschlagen! Die Wände im Treppenhaus, die Treppen, sogar an den
Treppengeländern baumelten samtene rosafarbene Troddeln. Unten und im
Keller hatte sich das vornehme Paar ein wahres Paradies bereitet: mit
Sauna, beheiztem Garten im Winter und Klimaanlage im Sommergarten,
Whirlpool, Globusbar, Zapfanlage, zwei holzvertäfelten Räumen mit
Ahnengalerie, die eine Mischung aus englischem Club und Herrenzimmer
darstellten.
## Abstellkammer für Habseligkeiten
Eine halbe Treppe höher durfte ich in einer Art besserer Abstellkammer
meine Habseligkeiten ausbreiten. Um der Hygiene und Notdurft zu genügen,
war es mir erlaubt, die sanitären Anlagen des Anwalts und seiner Gattin mit
zu nutzen – auch damit ich nicht mit Waschschüssel, Wasserkrug und
Nachttopf hantieren musste. Nur den Whirlpool und die Sauna zu betreten,
wurde mir strikt verboten.
Die Dame des Hauses hatte leider eine grundlegend andere Auffassung als ich
von dem, was „ab und an“ und „hier und da“ bedeutete, und bald stellte …
mit großem Erstaunen fest, dass ich eigentlich das Leben einer Dienstmagd
im 19. Jahrhundert führte – abgesehen davon, dass die Herrschaft nicht für
meine Verpflegung aufkam. Bald machte die tadellose Herrin rein gar nichts
mehr selbst im Haus. Dazu hatte sie auch überhaupt keine Zeit, denn sie
musste immerfort zum Yoga, Pilates oder was auch immer. Ich aber musste den
lieben, langen Tag spülen und schrubben, fegen und wischen, bis mir das
Blut unter den Fingernägeln hervorspritzte. Aber ich tat es gern, denn ich
wusste die Ehre, mietfrei unter dem Dach dieses stattlichen Palastes wohnen
zu dürfen, durchaus zu schätzen.
Nun liebte es Madame, Luxus, Bildung und Kulturbeflissenheit zur Schau zu
stellen und zu diesem Behufe lud sie oft und gern Freunde und Bekannte aus
dem Gefilde ein, in welchem sie das, was sie sich als „gehobene
Gesellschaft“ vorstellte, vermutete: andere Ärzte- oder
Rechtsanwaltsgattinnen, die sie vom viel diskutierten Modepsychiater
kannte, den Modepsychiater nebst Angetrauter selbst und eine Galeristin aus
dem „Königspassage“ genannten Einkaufszentrum.
## Geheimgewehr bei Fuß
Kultiviert und gesittet ging es dann zu. Alle Gäste schwebten auf
bereitgestellten Gästepantoffeln durch die heiligen Hallen, man sprach über
die sensationelle Opernpremiere am Stadttheater und fühlte sich verrucht,
wenn man sich augenzwinkernd zwischen den edlen Weinen mal ein Schnäpschen
gönnte, um anschließend im weitläufigen Garten mit dem allseits bekannten
„geheimen“ Luftgewehr auf Maulwurfshügel zu zielen – ohne abzudrücken
selbstverständlich, denn das wäre arg unkultiviert und barbarisch gewesen.
Maulwürfe wurde man anders los, aber darüber wurde nicht offen gesprochen,
sondern nur hinter frech vorgehaltenen Händen frivol und böse kichernd.
Ich hüpfte derweil von Gast zu Gästin, schenkte hier mal nach und legte
dort noch ein Schnittchen hin, und gegen 22 Uhr merkte dann niemand mehr,
dass ich fort und aus dem Haus war. Wenn ich spät wieder zurückkam, war die
Feierlichkeit meist beendet, die Gäste waren weg, und ich konnte mich in
meine Gesindestube verkrümeln.
Bis auf das letzte Mal! Ich kam gegen Mitternacht heim und merkte gleich,
dass etwas nicht stimmte: Die Räume der Herrschaft waren noch hell
erleuchtet, alle Gästeautos standen auf ihren Plätzen und ein Dichter trug
ein sehr langes Gedicht vor: „Abgründe“ waren das Thema, und das Werk zog
sich. Mucksmäuschenstill lauschten die Anwesenden dem schier endlosen
Vortrag des Dichters, und ich schlich leise in meine Kemenate.
Beinahe schon eingeschlafen, entdeckte ich aber etwas Seltsames: eine Art
Matsch, gelblich grün, gemischt mit rotem Schleim und undefinierbaren
Bröckchen schlierte von der Tür bis zum Bett. Ein zögerlicher Blick ins
Treppenhaus offenbarte mir auf jeder zweiten Stufe das Gleiche. Gelblich
grüne Fußstapfen, gemischt mit roten Schlieren und undefinierbaren
Bröckchen auf altrosa Brokatsamt.
Ich war wohl irgendwo auf einen Burger getreten und hatte das Desaster mit
meiner Schuhsohle eifrig ins Haus getrampelt. Verzweifelte Versuche, den
Dreck mit Toilettenpapier zu entfernen, endeten damit, dass alles nur noch
schlimmer aussah. Währenddessen rezitierte der Dichter unten aus seiner
Versdichtung und reimte von Tiefgründigem – und seine Worte drangen dabei
so tief in meinen Kopf ein, dass ich sie bis heute noch auswendig kann: ach
nein, ich habe sie zum Glück doch vergessen. Jedenfalls ging es um
Abgründe, Sünde, Pfründe und Bünde. Aber aus Diskretionsgründen muss ich
hier enden.
Ich floh noch in derselben Nacht mit zwei Tassen und einem Brett aus dem
altrosafarbenen Haus und kam nie wieder zurück. Lieber wollte ich mich der
harten und kalten Studentenwelt da draußen aussetzen. Eines Tages würde ich
mich an den Herrschaften mit meinem Report einer Magd rächen.
7 Sep 2019
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Studenten
Wohnungsnot
Dienstmagd
Buch
Märchen
Norwegen-Woche
Comic Con Experience
Poesie
Physik
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