Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Wo verdammt ist mein Exorzist?
> Unter Feen, Thronies und Horrorpuppen: Zu Besuch auf der paradiesischen
> Kölner Fan-Messe „Comic Con Experience“.
Bild: Paradiesbesucherin mit Plüschohren und Annabelle
„Da ist Jaime! Da ist Jaime!“, tönte es durch die Kölner Comic-Messe „C…
Con Experience“ (CCXP), und zu meinem blanken Erstaunen kam dieser
frenetische Ruf aus mir selbst heraus. Ich schaute mich um und zwickte mich
in den Arm. Wachte oder träumte ich? Aber das war eigentlich völlig egal.
Wenn es ein Traum war, war es einer der besten, die ich jemals hatte, und
wenn es echt war, dann war ich absolut glücklich. Ich befand mich in einem
Land, in dem zwar nicht Milch und Honig flossen, aber Bier und
Freudentränen, denn sämtliche Nerd-Gelüste wurden hier im Überfluss
befriedigt. Und während ich diese Zeilen schreibe, trage ich magische
Plüschohren auf dem Kopf, doch dazu später.
Zurück zu Jaime: Meine Gedanken wabern gerade wellenartig mit irisierender
Musik unterlegt zurück zu einem Abend in einem Bierlokal, in dem mir eine
Freundin vor etwa sechs Monaten beim dritten Guinness gestand, dass das
Beste, was sie in ihrem ganzen Leben jemals gesehen habe, „Game of Thrones“
sei. Ich hatte das Zeug bisher gemieden und wusste nur, dass ein Zwerg
dabei mitspielte. Zuhause kaufte ich mir aber im Internet die erste Folge.
Dann folgten noch viele Folgen und Staffeln, und ich gebe zu, dass ich es
toll fand.
Und nun saß da in nur hundert Metern Entfernung einer der Hauptdarsteller,
Jaime Lannister (aka Nikolaj Coster-Waldau), und gab Autogramme. Schnell
wollte ich mich in die Schlange seiner Fans einreihen, doch eine gestrenge
Dame hielt mich zurück und verwies mich an einen Ticketschalter, an dem ich
für das Autogramm 99 Euro bezahlen sollte, und wenn ich auch noch ein Foto
mit Jaime haben wollte, sollte das nochmal 99 Euro kosten. Das war mir dann
doch zu teuer, und ich ließ mir die Preisliste zeigen, um zu gucken, ob es
auf der Comic-Messe nicht ein paar billigere Stars gäbe. Tatsächlich gab es
einen Chuck Palahniuk für nur 25 Euro, von dem ich aber noch nie gehört
hatte.
## Beste Droge aller Zeiten
Meine Aufmerksamkeit wurde auch abgelenkt von ein paar gigantischen
Transformers, die mir ihre kalten, metallenen Pranken auf die Schultern
legten, von Batman und Thor, von Elben und Hobbits, sogar Prinzessin Leia
Organa und C-3PO waren leibhaftig vor Ort. Mir war, als hätte ich die
besten Drogen aller Zeiten genommen, und vielleicht hatte ich das ja auch,
das vermag ich heute nicht mehr mit Gewissheit zu sagen. Es war ein
Paradies, das auf Erden nicht seinesgleichen findet.
Nach einer turbulenten Fahrt im Batmobil wollte ich mir schnell einen
„Es“-Luftballon holen und mich in Hagrids Hütte ausruhen, doch plötzlich
wurde mir klar, warum mich alle anderen Hulks und Spider-, Super- und
Aquamen, Superwomen, Mad-Max-Ladies und Feen so irritiert ansahen: Ich
hatte keine Ohren! Ohne richtige Ohren war ich in dieser bunten Zauberwelt
ein Fremdling, doch Thor sei es gedankt, gepfiffen und gepriesen: Es gab in
der Messehalle einen Stand, an dem Elben-, Hobbit- und Plüschohren in
jeder Farbe, Form und Größe verkauft wurden!
## Magische Plüschohren
Nachdem ich mir die schönsten ausgesucht und aufgesteckt hatte, startete
ich mit ganz neuem Selbstbewusstsein in ein Abenteuer, das ich ohne meine
magischen Plüschohren niemals gewagt hätte. Denn schon lange hatte mein
Unterbewusstsein wahrgenommen, dass es auf dieser Messe einen Ort gab, den
ich fürchtete wie der Teufel das Weihwasser. Ich sage nur: Annabelle!!! Die
grässliche Horrorpuppe mit dem irren Blick! Das Pendant zur Mörderpuppe
„Chucky“ für Mädchen! Das fieseste Kinderzimmerinventar der Weltgeschicht…
Dieses entsetzliche Ding mit den aufgerissenen Augen thronte in ihrem
quietschenden Schaukelstuhl und starrte mich an. Bisher hatte ich diesen
Messestand großräumig umwandert, denn die abartige Puppe hat mir schon
Albträume bereitet, als es sie noch gar nicht gab. Noch nie konnte ich
Puppen ertragen, diese widerlichen Kreaturen mit steifen Gelenken, denen
schon ein Blinder ansieht, dass sie von vorne bis hinten böse und besessen
von Dämonen sind.
Genau das sagte ich auch einem Film-Team von Warner Brothers, das meine
Abscheu und meine tiefsitzende Angst vor Annabelle mit Begeisterung zur
Kenntnis nahm, mir das Scheusal in den Arm drückte und sogleich geifernd
meine Panikattacke abfilmte. Wenn ich Pech habe, tauche ich bald als
Witzfigur in irgendeinem Hollywoodfilm auf.
Und ich schwöre bei Gott, dass Annabelle tatsächlich verflucht ist: Seit
ich das Ding auf dem Arm hatte – und das ist jetzt bald eine Woche her –
habe ich ununterbrochen den Ohrwurm „Annabelle, ach Annabelle“ von Reinhard
Mey im Kopf, und das ist kein Spaß. Ich werde einen Exorzisten brauchen,
und den hol ich mir nächstes Jahr auf der CCXP, und wehe, dort gibt es dann
keinen Dämonenaustreiber. Dann werde ich zum Horrorclown …
5 Jul 2019
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Comic Con Experience
Fans
Game of Thrones
Märchen
Norwegen-Woche
Studenten
Poesie
Physik
Gruselromane
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Die drei Fragen am Tor des Schlosses
30. Berliner Märchentage. Zum Jubiläum das letzte Märchen der Welt. Mit
einer Prinzessin, einer Hexe und einem verhinderten Zauberer.
Die Wahrheit: Und ewig wiehern die Fjorde
Die Norwegen-Woche der Wahrheit: Irrungen und Wirrungen einer
Großbauernfamilie. Ein wild galoppierender Heimatroman.
Die Wahrheit: Die Rache der Dienstmagd
Studentenbuden des Grauens: Als studentische Dienerin einer gehobenen
Herrschaft in einem altrosafarbenen Palast.
Die Wahrheit: Poesie unterm Hallenbad
Der Lyrikwettbewerb „Großer Dinggang 2019“ übertraf in Menden im Sauerland
wie stets und immer alle Erwartungen. Ein wahrer Eventbericht.
Die Wahrheit: Quanten im Kopf
Die Welt der Physik ist ganz märchenhaft, wenn man sich einmal durch die
stachelbewehrte Dornenhecke des Verstehens gequält hat.
Die Wahrheit: Der Nussknacker mit dem Beil
In den geistigen Kampf zwischen einem Horrorschriftsteller und seinem Alter
Ego greift eine blutrünstige Romanfigur brutal ein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.