# taz.de -- Die Wahrheit: Der ganz große Dinggang | |
> Im Sauerland kommt es ab Freitag zum lyrischen Spitzenkampf. Eine | |
> Insiderin über Dreharbeiten, Daktylen und einen Koffer voller Poesie | |
Bild: Die Dinggang-Jury von links nach rechts: Maintz, Stegemann, Neuhaus und G… | |
Es war wieder soweit. Der Himmel breitete leuchtende Farben über das | |
hochaufgetürmte Gipfelmassiv des Sauerländischen Städtchens Menden aus. Der | |
legendäre Austragungsort des seit zwei Jahren als „Der Große Dinggang“ | |
bekannte und weltweit beachtete Wettkampf der komischen Lyrik erwachte. | |
Wohlig wälzten sich die Jurymitglieder des Großen Dinggang in ihren | |
komfortablen Himmelbetten. Wie freute man sich auf den anbrechenden Tag! | |
Eine Bedienstete trug gar köstliches Frühstück mit Ananas, Aal und anderen | |
Leckereien in die prachtvoll ausgestatteten Suiten mit ihren vergoldeten | |
Armaturen. Doch die Idylle, sie währte nicht lange. | |
Kaum war der erste Hahnenschrei verhallt, scheuchte ein vierschrötiger und | |
schnauzbärtiger Alexandriner mit einer von Hebungen und Senkungen übersäten | |
Dichterschürze die wie vom Blitz getroffenen vier Juroren aus ihren | |
wonnigen Lagern. „Gedichte! Lesen!“ grunzte er viehisch. Schnell raffte ein | |
jeder seine Jamben, Trochäen und Daktylen zusammen, um zu fliehen. Juror | |
Gsella schnappte sich geschwind einen vorübereilenden Hexameter, der vor | |
Schreck tot umfiel, der weise Maintz schwang sich auf einen verstörten | |
Pentameter, der jedoch nach fünf Schritten wie angewurzelt stehen blieb. | |
Der schlaksige Herr Neuhaus verfehlte knapp ein buckelndes Distichon und | |
die Stegemann versuchte, im Fluss simpler Prosa zu entkommen, doch die | |
Satzstrukturen wollten ihr nicht gehorchen. Es war weiß Gott der blanke | |
Horror! | |
Plötzlich ertönten melodische Fanfaren und ein Tor aus massiven Balladen | |
sprang krachend auf. Ganze Strophen fielen aus dem Rahmen und da war der | |
Blick auf die liebreizende Grand Dame des Großen Dinggang frei: Wie von | |
Lyrik und Poesie umschwärmt, schwebte Janine B. zu den staunenden | |
Jurymitgliedern herein. Ihr Haar glänzte wie ein Sternenfeld, ihr Mund war | |
die Versuchung selbst. Ihr Teint war wie aus einem Magazin und wie | |
Blumenduft war jedes Wort, das über ihre Lippen kam: | |
„Harr, harr! Auf Pack! Nun geht es an die Arbeit! Dreharbeiten!“ Noch ehe | |
sich die Juroren fragend ansehen konnten, flötete die B. weiter: „Gedichte! | |
Tausend Gedichte, Millionen Gedichte – ihr sollt sie haben, sie lesen und | |
die Nachwelt soll es sehen …“ | |
In diesem Augenblick stürmte eine Hundertschaft von Kameraleuten, | |
Regieassistenten, Tontechnikern, Beleuchtern, Regisseuren, Produzenten, | |
Studiobossen, Kostümdesignern, Requisiteuren, Maskenbildnern, Friseuren, | |
Schornsteinfegern, Fliesenlegern, Droschkenkutschern und | |
Staubsaugervertretern in den sich immer weiter ausbreitenden Raum. Ein | |
jeder brachte sich in Stellung und dann gingen die Dreharbeiten los. | |
Die Stegemann musste – noch im Nachtgewand – stundenlang unfrisiert und | |
ungeschminkt bei strömendem Regen und klirrender Kälte wieder und wieder | |
jubilierend umher tanzen. Gsella hatte nicht mal Zeit, sich schnell eine | |
Hose überzustreifen, bevor er ins Rampenlicht gezerrt wurde und dem | |
überrumpelten Neuhaus schor man kurzerhand die prachtvollen Wallehaare. Am | |
Ende dieser demütigenden Prozedur wurden den unfreiwilligen und zerlumpten | |
Darstellern je zwei Industriesäcke aufgeladen, die vollgestopft mit | |
Gedichten waren. | |
Und das alles wurde gnadenlos gefilmt und für immer auf Zelluloid gebannt. | |
Es war erniedrigend und aufregend zugleich. Einzig den distinguierten | |
Maintz sah man am Drehort perfekt frisiert und geschmackvoll gekleidet an | |
einem Tischchen aus Ebenholz sitzen, feinen Cognac trinken und sein weises | |
Haupt gedankenvoll neigen. Nichts konnte den erfahrenen Juror aus der Ruhe | |
bringen, geschweige denn albern aussehen lassen. | |
Nun wurde die Jury in den Lesekerker eines geheimen alkäischen | |
Enneasyllabus verschleppt und mit rostigen Versen an eiserne Stabreime | |
geschmiedet. Mit der Stimme eines zarten Silberglöckchens tirilierte die | |
anmutige B.: „Lest! Ihr kommt hier nie wieder raus, wenn ihr euch nicht | |
schnell über die fünf besten Dichter einigt. Lest! Oder ich lasse euch hier | |
verschmoren, ich schwöre es euch …“ | |
Der erste Juror, der zusammenbrach und dem Wahnsinn anheimfiel, war der | |
zart besaitete Gsella. Verschwörerisch und mit fiebrigen Augenflimmern | |
raunte er der Stegemann zu: „Ich gebe dir 30 Euro, wenn du meine | |
Gedichtsäcke für mich mitliest.“ Dann raufte er sich sein fadenförmiges | |
Haupthaar und brach in irres Gekicher aus. Die anderen sahen peinlich | |
berührt zu Boden und vertieften sich wieder in die Gedichte. Niemand wollte | |
Gsella in seine verrückte Welt folgen. | |
Es dauerte nicht lange – das Zeitgefühl hatte schon jeder im Kerker seit | |
einer Ewigkeit verloren – bis Juror Neuhaus dabei beobachtet wurde, wie er | |
klammheimlich mit bloßen Fingernägeln versuchte, durch die mit feuchten | |
Tripodien bewachsenen Kerkerwände des Jury-Verlieses einen Tunnel nach | |
draußen zu graben. | |
Juror Maintz kommentierte die Situation mit einem weltmännisch nach oben | |
gezogenen Arte mayor. Jurorin Stegemann dachte derweil beiläufig darüber | |
nach, sich einen Oktosyllabus wachsen zu lassen, den sie dann grün | |
einfärben wollte, um mal was Neues auszuprobieren. | |
Seither verliert sich jede Spur der verschleppten Jury. Konnten die | |
hochkarätigen Experten für komische Lyrik sich auf fünf Super-Dichter | |
einigen? Wurden sie vom schnauzbärtigen Alexandriner und der himmlischen B. | |
auf freien Fuß gesetzt, um sich pünktlich jetzt am 24. Mai unter dem | |
Mendener Hallenbad in Grund und Boden zu schämen, wenn sie erstmals den | |
sicherlich entsetzlich peinlichen Film zu schauen bekommen? Nichts Genaues | |
weiß man nicht, aber es bleibt zu hoffen. | |
Die Jurysitzung zum „Großen Dinggang“ findet am Freitag, 24. Mai, um 20.30 | |
Uhr im Zimmertheater Scaramouche unter dem Mendener Hallenbad statt. Die | |
große Verleihung des Jurypreises und des Publikumspreises findet dann | |
Samstag um 20.30 Uhr ebendort statt. Alle Infos: www.dergrossedinggang.de. | |
22 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
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