# taz.de -- Widerstand gegen die Staatsgewalt: Mit dem Mut der Verzweiflung | |
> Hochschwanger sollte eine junge Frau aus Sierra Leone aus Bayern | |
> abgeschoben werden. Dagegen wehrte sie sich. Jetzt steht sie vor Gericht. | |
Bild: Eine Duldung hat Adama K. in Deutschland wegen des Dublin-III-Verfahrens … | |
MÜNCHEN taz | Als Adama K. vor einem Jahr nach Italien abgeschoben werden | |
sollte, wehrte sich die junge Frau aus Sierra Leone dagegen – mit Erfolg. | |
Und mit Konsequenzen. Denn jetzt steht sie in dem Land, das sie nicht | |
verlassen will, vor Gericht. | |
An diesem Dienstag muss sie sich vor dem Amtsgericht Deggendorf wegen | |
tätlichen Angriffs auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie | |
vorsätzlicher Körperverletzung verantworten. Bei einer Verurteilung droht | |
ihr eine Bewährungsstrafe von mehreren Monaten. | |
Es ist der Vormittag des 30. Mai 2018, als auf dem Münchner Flughafen eine | |
Lufthansa-Maschine nach Mailand startet. Nach dem Willen der deutschen | |
Behörden müssten eigentlich auch die 21-jährige Adama K. und ihr | |
fünfjähriger Sohn darin sitzen. Die Plätze waren gebucht. | |
Es ist die letzte Möglichkeit, K. im Rahmen des Dublin-III-Abkommens außer | |
Landes zu bringen. Denn die junge Frau ist im siebten Monat schwanger. Zwei | |
Tage später beginnt ihr Mutterschutz. Dann darf sie nicht mehr abgeschoben | |
werden. Kurz vor Erreichen der Gangway leistet Adama K. Widerstand, will | |
das Flugzeug auf keinen Fall betreten. | |
Als besonders heftig beschreibt den Widerstand am nächsten Tag der | |
Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter. Empört erzählt er der Passauer | |
Neuen Presse: „Die Frau hat sich auf dem Rollfeld nackt ausgezogen und sich | |
auf den hochschwangeren Bauch geschmissen. Deshalb wurde die Aktion | |
abgebrochen.“ | |
## Bereits der zweite Abschiebeversuch | |
Es war bereits der zweite Versuch, Adama K. abzuschieben. Gut zwei Wochen | |
zuvor, am 14. Mai 2018, hatte die Frau in ihrem Zimmer in der Außenstelle | |
Hengersberg des Transitzentrums Deggendorf Besuch der Polizei bekommen – um | |
3.35 Uhr. Der Bayerische Flüchtlingsrat schildert den Einsatz auf Grundlage | |
der Erzählung von Adama K. so: Sie habe noch geschlafen, als die Polizei | |
das Zimmer gestürmt habe. Daraufhin sei sie in Panik geraten, habe nicht | |
verstanden, was um sie herum vorging. Es ist ihr Verhalten bei dieser | |
Festnahme, weswegen die junge Frau nun vor Gericht steht. | |
Mit „scharfen Hunden“ hätten die Beamten die übrigen Bewohner der | |
Unterkunft, darunter auch der Lebensgefährte von Adama K., davon | |
abgehalten, einzugreifen. Die Frau selbst sei nackt von mehreren | |
Polizistinnen und Polizisten „auf brutale Art und Weise zu Boden gebracht | |
und gefesselt, wobei sie möglicherweise ein stumpfes Bauchtrauma erlitt“. | |
Auch von einem Versuch der Frau, aus dem Fenster zu springen, ist die Rede. | |
Eine Anfrage an das zuständige Polizeipräsidium Niederbayern vom | |
vergangenen Donnerstag blieb bis Montagnachmittag unbeantwortet. In einer | |
Pressemitteilung vom Tag des ersten Abschiebeversuchs heißt es lediglich, | |
insgesamt sechs Menschen aus Sierra Leone, die Frau, ihr Kind und vier | |
Männer, hätten nach Italien überstellt werden sollen. | |
## Mangelhafte Versorgung in Italien | |
„Aufgrund der Abflugzeiten und um einen geordneten Ablauf der Abschiebung | |
zu gewährleisten“, habe der Einsatz bereits in der Nacht beginnen müssen. | |
Die Asylbewerberin habe Widerstand geleistet und sei deshalb gefesselt | |
worden. Bei einer ärztlichen Untersuchung hätten jedoch keine Verletzungen | |
festgestellt werden können. | |
Die Staatsanwaltschaft nun wirft Adama K. vor, sich schreiend gegen ihre | |
Festnahme gewehrt zu haben. Außerdem habe sie einen Polizisten in den | |
Finger gebissen. Notwehr? „Zumindest ein Verhalten, das ich in einer | |
solchen psychischen Ausnahmesituation sehr gut nachvollziehen kann“, sagt | |
Rechtsanwalt Sebastian Kahlert, der K. in dem Strafverfahren vertritt. Die | |
Polizei habe sich auf jeden Fall sehr „ungeschickt“ verhalten. Ob dieses | |
Verhalten auch strafrechtlich angreifbar sei, werde nun die | |
Hauptverhandlung zeigen. Wegen angenommener Fluchtgefahr kam die Frau in | |
Abschiebehaft in die Justizvollzugsanstalt Erding. Von ihrem Sohn wurde sie | |
getrennt, er kam in die Obhut des Jugendamts, wo er in den nächsten Tagen | |
seinen fünften Geburtstag feierte. Nur der Partner der Frau blieb im | |
Transitzentrum zurück. In seinem Fall war bereits eine Sechsmonatsfrist | |
verstrichen, innerhalb deren er hätte nach Italien abgeschoben werden | |
können. | |
Adama K.s Panik vor einer Abschiebung nach Italien sei durchaus | |
verständlich, erklärt Simone Eiler vom Flüchtlingsrat. Versorgungsstruktur | |
und Unterkünfte für Asylbewerber seien dort sehr mangelhaft. Oft würden | |
zurückgeschickte Flüchtlinge auf die Straße geschickt und sich selbst | |
überlassen. Gerade allein reisende Frauen würden dann oft Opfer von | |
Zwangsprostitution. | |
Im Mai hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe einen Bericht über die | |
Situation für Asylsuchende in Italien herausgegeben. Eine Situation, die | |
sich seit den Wahlen im März 2018 noch deutlich verschlechtert habe. Darin | |
heißt es, die dortigen Zustände erlaubten es „den Behörden der anderen | |
Dublin-Staaten nicht, sich auf abgegebene Garantien zu verlassen oder von | |
adäquaten Aufnahmebedingungen auszugehen.“ Gerade auch die Bedürfnisse von | |
verletzlichen Asylsuchenden, die nach EU-Recht Anspruch darauf hätten, mit | |
besonderer Sorgfalt behandelt zu werden, würden in Italien nicht angemessen | |
berücksichtigt. | |
Einen Eilantrag gegen die Abschiebung habe die zuständige Richterin mit der | |
Begründung abgelehnt, solange das Kind noch nicht geboren sei, handele es | |
sich bei Vater und Kind nicht um Familienangehörige im Sinne der | |
Dublin-Verordnung, da noch keine familiäre Beziehung bestehe, so Petra | |
Haubner, die K. als Anwältin im Asylverfahren vertritt. | |
Das Kind ist inzwischen geboren, die Asylgesuche der Eltern sind abgelehnt | |
worden. Eine Abschiebung nach Sierra Leone ist derzeit allerdings mangels | |
gültiger Reisepapiere nicht möglich. | |
An diesem Dienstag wird Adama K. im Gerichtssaal einige der Beamten | |
wiedertreffen, die sie vor einem Jahr außer Landes bringen wollten. Ihre | |
Aussage wird dann der von nicht weniger als 17 Polizistinnen und Polizisten | |
gegenüberstehen. | |
18 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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