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# taz.de -- Die Wahrheit: Ja wo zum Kuckuck rennt er denn?
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (78): Rennkuckucke sind
> die verbrieften Wundervögel unter den Cuculidae.
Bild: Ganz großer, triumphierender Huper: Tausendsassa Rennkuckuck
Den kennt man – aus Zeichentrickfilmen: Den „Road Runner“, der mit einem
Affenzahn durch die mexikanischen Halbwüsten saust und dabei von einem
Kojoten verfolgt wird. So ähnlich wie bei Tom und Jerry. Der kürzlich
verstorbene Zoologe Vitus Dröscher hat den Rennkuckuck in Mexiko genauso
erlebt: Schon von Weitem sah er ihn beziehungsweise eine Staubfahne. „Der
60 Zentimeter große Vogel mit langen Beinen, einem noch längeren Schwanz
und einem Federbusch auf dem Kopf schoss auf uns zu, schlug um unseren
Wagen einen Haken, sprang flatternd fünf Meter hoch an einem Kaktusstamm
empor und ‚hupte‘ zweimal.“
Das macht er auch im Film immer. Und wie im Film galt das Hupen auch bei
dem Rennkuckuck, den Dröscher sah, einem Kojoten, der hinter ihm her
gewesen war. Es war ein triumphierendes Hupen.
Bei der Brautwerbung hupt er jedoch genauso, da ist es aber eher
schmachtend gemeint. Außerdem gehört zum Werberitual, dass das Männchen
dem Weibchen etwa eine Eidechse anbietet. Dabei läuft es „im Höchsttempo
auf der Stelle“ und wedelt wild mit dem Schwanz. Auf der Flucht kann der
Vogel bis zu 50 km/h laufen, aber der Kojote bis zu 60, dennoch läuft
dieser „Pfeil mit Federn“ seinen Fressfeinden zunächst hakenschlagend
davon.
Erst wenn sie ihn fast eingeholt haben, schwingt er sich in die Luft – und
hupt von oben. Laut Dröscher nutzte er früher gerne die Wege der
Pferdekutschen als „halbwegs eingeebnete Renn- und Fluchtpisten. Mitunter
ärgerte er die Postreiter, wenn er sie überholte. Damals bekam der Road
Runner auch seinen Namen.“ Er lebt von Insekten, Mäusen und Eidechsen,
schreckt jedoch auch vor Skorpionen und Klapperschlangen nicht zurück. Und
weil der Rennkuckuck ziemlich neugierig ist, läuft er auch gerne in
menschliche Siedlungen und lässt sich sogar auf kleine Rennen mit Autos
ein.
## Beginnendes Brutschmarotzertum
Die Rennkuckucke sind nicht wie die europäischen Kuckucke
„Brutschmarotzer“, sondern brüten ihre oft sechs Eier selbst aus, Männchen
und Weibchen abwechselnd. Für das Nest sucht das Männchen das Baumaterial
zusammen und das Weibchen verbaut es. Gelegentlich finden sich zwölf Eier
im Nest, dann hat das Männchen Bigamie betrieben. Beide Weibchen haben ihm
dann ihre Eier ins Nest gelegt – und sich „aus dem Staub“ gemacht. Er muss
sie nun alleine ausbrüten und die Jungen füttern. Dröscher meint, dass
dieses Verhalten der „Anfang zum Brutschmarotzertum“ sein könnte, also dass
die Weibchen, um auch das Männchen vom Brutgeschäft zu entlasten oder weil
es dies verweigert, ihre Eier in fremde Nester legen.
Man kann sich diesen schnell zutraulich werdenden Vogel im Westberliner Zoo
ansehen. Dort kann er traurigerweise weder lange Strecken laufen noch groß
fliegen. Vitus Dröscher hat ihn nicht nur in Mexiko, sondern auch in der
Mojavewüste der USA beobachtet. Dort wachsen ebenfalls große Kakteen mit
langen Dornen. Diese nutzt der Rennkuckuck, um Beute zu machen: „Entdeckt
er in aller Morgenfrühe eine an der Wüstenoberfläche schlafende
Klapperschlange, pflückt er dutzendweise diese Stachelableger und legt sie
als geschlossenen Stachelzaun rings um das Opfer. Dann flattert er hoch –
Virginia Donglas, Zoologin an der Universität von San Diego, kann es
bezeugen – und bombardiert das Reptil mit mehreren Kakteenstückchen, weckt
es dadurch auf und versetzt es in Panik. Die Schlange versucht zu fliehen
und spießt sich selbst dabei am Zaun auf. Je mehr sie tobt, desto öfter
wird sie durchbohrt. Der Tod tritt nach etwa einer halben Stunde ein. Dann
kann er sie fressen. Einzigartig in der gesamten Tierwelt!“
## Listig, listig, diese Vögel
Sind die Rennkuckucke zu zweit, haben sie laut Dröscher noch eine andere
Technik, um eine Schlange zu erbeuten: Sie fliegen hoch und werfen ihr Sand
in die Augen. Da diese nicht durch Lider geschützt sind, wird das Reptil in
der Sicht behindert. Im rechten Moment stoßen die Vögel von oben zu und
fangen die Gegenangriffe des Feindes mit den Flügeln als Schutzschilde so
lange ab, bis ihnen mit dem langen kräftigen Schnabel ein Volltreffer in
den Kopf gelingt. Anschließend verschlingen sie die ganze, bis zu einem
Meter lange Schlange. Sind sie doch einmal vom Giftzahn geritzt
worden,fressen sie gleich darauf ein paar Blätter vom Huacokraut, die auch
die Indios gegen Schlangenbisse benutzen.
„Gegen Skorpione“, beschreibt Dröscher weiter, „geht der Vogel anders vo…
Im Abstand von etwa zehn Metern spreizt er seinen Federschopf wie ein
Kakadu, entblößt den rot-weißen Schläfenstreifen, streckt den Kopf am
langen Hals waagerecht nach vorn, während der lange, dünne Schwanz wie ein
Scheibenwischer hin und her pendelt, und flitzt dann wie ein Pfeil
blitzartig nach vorn. Aus vollem Lauf schnappt er nach dem
Giftstachelschwanz des kurzsichtigen Skorpions, reißt ihn mit einem Ruck ab
und verspeist das Tier.“
## Feinde des Road Runners
Zu den Feinden, die hinter dem Rennkuckuck her sind, zählen neben Kojoten
noch Rotluchs, Katzenfrett und verwilderte Hauskatzen. Letzteren kann er
leicht davonlaufen, er tut aber was anderes: „Mit unnachahmlicher
Kurventechnik setzt er sich gleich hinter den Verfolger und hackt ihn in
sein Arschloch. Das wirkt durchschlagend.“ Bedrohlicher ist für den
Rennkuckuck ein Rotschwanzbussard oder ein Steinadler. Wenn ein solcher am
Himmel auftaucht, flieht er unter einen Dornbusch.
Dröscher beobachtete einst den Angriff eines Schwarzflügel-Gleitaars: „Der
Sturzflug in den Busch wäre ihm schlecht bekommen. So landete er daneben
und wollte zu Fuß eindringen. Doch das war sein Fehler. Am Boden war der
viel kleinere Rennkuckuck dem großen Greif haushoch überlegen. Sogleich
flitzte er hervor und malträtierte den Räuber von allen Seiten gleichzeitig
mit Schnabelhieben. Nur mit Mühe konnte sich der Gleitaar wieder in die
Lüfte retten.“
Neben Feinden haben die Rennkuckucke in ihren Revieren aber auch Freunde:
die kleinen Schopfwachteln etwa, auch sie laufen lieber, als dass sie
fliegen. Mit Leichtigkeit könnte der Road Runner die Wachtel töten, ihre
Eier und Küken verschlingen. „Aber er tut es seltsamerweise nicht.“
Dröscher erklärt sich das damit, dass es bei ihnen keine
„Interessenüberschneidungen“ gibt: Der eine ist Fleischfresser, der andere
Vegetarier. In der Mojavewüste nutzen sie auch dieselben Wasserquellen –
Einrichtungen des US-Militärs, wo es stets genug zu trinken gibt, denn die
Soldaten waschen dort aus Langeweile ständig ihre Autos.
Und noch eine Besonderheit hat der „Wundervogel“, wie Dröscher ihn nennt.
In den Wüsten wird es nachts empfindlich kalt. Damit er beim Aufheizen
nicht zu viel Energie verbraucht, senkt er seine Körpertemperatur von 37
auf 30 Grad. Bei Sonnenaufgang ist er so steifgefroren. Um schnell wieder
fit zu sein, hebt er seine Flügel an. Auf der rosafarbenen Rückenhaut hat
er schwarze, federlose Flächen, die die Sonnenwärme schnell absorbieren.
„Binnen 20 Minuten“, so Dröscher, „und damit eher als Feind oder Beute i…
der Rennkuckuck wieder zu Rennhöchstleistungen bereit.“
17 Jun 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Biologie
Vögel
Wissenschaft
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Tiere
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Tierwelt
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