Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Üble Rache für die ewigen Haufen
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (79): Der Maulwurf an
> sich und in seiner historischen sowie politischen Bedeutung.
Bild: Der Maulwurf hat sich tief in unseren Zitatenschatz eingegraben
„Wenn ihr also den Maulwurf recht fleißig verfolgt, und mit Stumpf und
Stiel vertilgen wollt, so thut ihr euch selbst den grösten Schaden und den
Engerlingen den grösten Gefallen“, schrieb der alemannische Pädagoge Johann
Peter Hebel.
Nun hat sich aber die Situation völlig umgedreht: Es gibt so gut wie keine
Engerlinge mehr, also die Larven des nahezu ausgerotteten Maikäfers, sodass
sich die Maulwürfe an den äußerst nützlichen Regenwürmern schadlos halten,
was die Gärtner noch mehr erbost als die Maulwurfshaufen auf ihrem Rasen,
aber es nützt ihnen nichts, denn in Deutschland sind laut
Bundesartenschutzverordnung fast alle heimischen Säugetierarten besonders
geschützt. Dazu zählt natürlich auch der „europäische Maulwurf“.
Das Weibchen bringt im Juni drei bis vier nackte, anfangs blinde Jungen zur
Welt, die sie vier bis sechs Wochen säugt. Maulwürfe werden selten in Zoos
gehalten. Wikipedia berichtet, dass man im Osnabrücker Zoo „Unter der Erde“
welche hielt, aber nachdem mehrere Tiere gestorben waren, wurde die Haltung
von Maulwürfen beendet.
Ich hielt auch einmal einen Maulwurf, den unsere Katze gefangen hatte, in
einem Terrarium mit Erde und Regenwürmern, aber auch er starb nach kurzer
Zeit. Zum Trost bekam ich ein Stofftier: „Der kleine Maulwurf“, der durch
eine tschechoslowakische Zeichentrickserie berühmt geworden war. Sie lief
später auch im deutschen Fernsehen, für das dann auch das überaus beliebte
Kinderbuch „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf
gemacht hat“ filmisch animiert wurde: Auf der Suche nach dem Übeltäter
fragt der Maulwurf sich bei allen möglichen Tieren durch. Doch Taube,
Kaninchen, Kuh und Schwein beweisen ihm, dass ihre Kothaufen anders
aussehen. Den richtigen Tipp bekommt er von zwei Fliegen, die sich mit der
Materie bestens auskennen: Es war der Hund des Metzgers mit Namen
„Hans-Heinerich“, der dann die Rache des kleinen Maulwurfs zu spüren
bekommt.
## Aussichtloser Kampf
Dann gibt es ferner eine Maulwurfgeschichte von einem Soldaten im Ersten
Weltkrieg, dem ein Maulwurf im Schützengraben das Leben rettete. Franz
Kafka machte daraus eine Erzählung mit dem Titel „Der Riesenmaulwurf“.
Dieser bleibt jedoch unsichtbar, obwohl ein Dorfschullehrer versichert, ihn
gesehen zu haben. Von Primo Levi stammt ein Loblied auf den Maulwurf in
Form eines Gedichts. Und von dem ebenfalls aus Turin stammenden Leiter der
dortigen Buchmesse Ernesto Ferrero eine Erzählung über das Leben eines
Maulwurfs und den aussichtslosen Kampf des Menschen gegen das unterirdisch
lebende Tier.
Von Kant verspottet, erfährt der Maulwurf bei Hegel eine erste politische
Würdigung: „Bisweilen erscheint der Geist nicht offenbar, sondern treibt
sich, wie der Franzose sagt ‚sous terre‘ herum. Hamlet sagt vom Geiste, der
ihn bald hier- und bald dorthin ruft: ‚Du bist ein wackerer Maulwurf‘, denn
der Geist gräbt unter der Erde fort und vollendet sein Werk.“ So heißt es
in Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“.
Marx vergleicht dann die Revolution mit einem alten Maulwurf, „der
umsichtig unter der Erde das Terrain vorbereitet, um eines Tages ans Licht
zu kommen und den Sieg zu erringen“. Auf Deutschlandfunk Kultur heißt es
über diese unterirdische Wühlarbeit des Maulwurfs der Revolution weitaus
pessimistischer: „Beharrlich gräbt er seine Wege durch die Finsternis.
Vergeblich, aber mit Zuversicht.“ Angesichts der sich erneut weltweit
durchsetzenden völkischen Reaktion hat das Berliner Theater „Hau“ jüngst
ein trotziges Festival „Der Maulwurf macht weiter“ organisiert. Zuvor hatte
man einer historischen Aufarbeitung des bundesdeutschen Buchhandels den
Untertitel „Von Marx zum Maulwurf“ gegeben, was sich so anhörte, als seien
die linken Buchläden und Verlage, bedrängt von Internet und Amazon, für die
„Revolution“ bereits so weit, wieder in den Untergrund zu gehen, um
„Raubdrucke“ unters Volk zu bringen. Aber was diesmal raubdrucken? „Brehms
Thierleben“?
## Ein Fall für die Hirnforschung
Anders als die meisten Revolutionäre ist der Maulwurf für die Wühlarbeit
sehr gut ausgestattet. Das Tierlexikon zählt acht Merkmale auf: „Der
Schwanz dient als Tastorgan zur Orientierung in dunklen Gängen. Durch die
zylinderförmige Körperform kommt er gut durch die Gänge. Beim Graben
schiebt er die Erde mit der Stirn an die Seite. Die rüsselartig verlängerte
Nase wird wegen der starken Beanspruchung bei der Wühlarbeit durch einen
länglichen Nasenknorpel geschützt. Mit den Ohren kann er jede Erschütterung
im Boden und an der Oberfläche hören.
Die starken Vordergliedmaßen sind ein hilfreiches Werkzeug für die
Wühlarbeit. Das Fell besteht aus überaus dicht stehenden Haaren, die
herabfallende Erde wird vom Körper fern gehalten. Die Augen braucht er im
Dunkeln seines Lebensraums nicht.“ Wir sagen deswegen auch, jemand sei
„blind wie ein Maulwurf“, dabei „ahnen“ wir laut Tagesspiegel nicht ein…
dass Maulwürfe „die Welt farbig sehen und sogar ultraviolettes Licht
wahrnehmen, wozu kein Mensch imstande ist“.
Früher hat man sie massenhaft erschlagen, vergiftet, in Fallen gefangen und
ihnen das seidenweiche schwarze Fell abgezogen. Jacken, Krägen und
Schlafröcke aus Maulwurfsfellen waren lange Zeit schick. Auch und gerade
bei den Revolutionären. Heute untersuchen zum Beispiel Leo Peichl und seine
Kollegen vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt die
Netzhäute von Maulwürfen. Diese sterben dabei vermutlich auch, aber heraus
kommt am Ende: „Es ist nicht so, dass sich ihre Augen als Anpassung an das
unterirdische Leben völlig zurückgebildet haben“, sagt Peichl. „Ihre
Netzhaut enthält Stäbchen und zwei verschiedene Zapfentypen wie bei
anderen Säugetieren auch.“
## Pazifistische Frohbotschaft
Auf YouTube findet man zig Clips, die zeigen, wie Maulwürfe durchs Gras
laufen, sich eingraben, dabei Regenwürmer entdecken und fressen; wie sie in
einem künstlichen Substrat Gänge graben; wie die Maulwurfsgrillen es ihnen
im Kleinen nachtun, mit ebenfalls sehr großen Grabklauen ausgerüstet; wie
sie aus einer kaputten Hausecke herauskommen, in allen Löchern am Haus
Insekten finden und nicht mehr in ihre Höhle reinpassen und immer nervöser
werden und versuchen, im Garten ein neues Loch zu graben.
Ein Clip hat den Titel: „Maulwurf findet ein neues Zuhause“, ein anderer:
„Die besten Mittel um Maulwürfe endgültig zu vertreiben“ – eine Anleitu…
zu ihrer Ausrottung also, die 35.000 Mal aufgerufen wurde. Dagegen steht
mit 128.000 Klicks ein Clip mit der pazifistischen Frohbotschaft „Maulwürfe
gehören nun mal zur Naturlandschaft. Anstatt sie zu bekämpfen, sollte man
sich freuen, dass sie die Böden lockern.“
Egal für welches Tier man sich interessiert, man kommt im Internet immer
auf dieses Meinungsspektrum: Ökonomie versus Ökologie. Alfred Brehm
erinnerte bereits daran, „daß die Naturforscher einen großen Theil ihres
Wissens alten, erprobten Maulwurfsfängern verdanken“.
1 Jul 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Maulwurf
Säugetier
Garten
Desman
Schmetterling
Tiere
Biologie
Schafe
Tierversuche
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Der mit dem Rüssel winkt
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (82): Der Russische Desman
ist eine Art Wassermaulwurf und weltweit einzigartig.
Die Wahrheit: Attacke, Täuschung und Flucht
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (81): Der Dunkle
Wiesenknopf-Ameisenbläuling lebt in seltsamen Verhältnissen.
Die Wahrheit: Wahnsinnskacke in Würfelform
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (80): So süß die Beutler
auch sind, wer Wombats liebt, hat es hierzulande nicht leicht.
Die Wahrheit: Ja wo zum Kuckuck rennt er denn?
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (78): Rennkuckucke sind
die verbrieften Wundervögel unter den Cuculidae.
Die Wahrheit: Vier Stücker gerettet
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (77): Kamerunschafe, einst
Provianttiere, bewegen nicht nur Berlin.
Die Wahrheit: Den Rattengeist um Vergebung bitten
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (76): Wie Versuchstiere
ihre Forscher verändern und der brutalen Wissenschaft entfremden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.