Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Der mit dem Rüssel winkt
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (82): Der Russische
> Desman ist eine Art Wassermaulwurf und weltweit einzigartig.
Bild: Jedes Mal stinkt der Russische Desman mit seinen Drüsen die Gegend voll
Der Russische Desman, dort auch Wychochol genannt, ist ein im Wasser
lebender Maulwurf mit einer langen dünnen Schnauze, die er als Schnorchel
benutzen kann. Das auch als „Wassermaulwurf“ bezeichnete Tier ist sehr
selten geworden, für das Magazin Focus ist der Desman schon „fast ein
Fabelwesen“, aber für Kreuzworträtsellöser ist diese Maulwurfsart mit sechs
Buchstaben ziemlich real.
Das deutsche Fernsehen finanzierte im Frühjahr ein Naturfilmteam, um einen
lebenden Desman im Wolgagebiet aufzuspüren und zu filmen. Als Sprecher
wollten sie den Schriftsteller Wladimir Kaminer verpflichten. Der fragte
den Redakteur verwundert: „Haben Sie etwa so wenig gute Sprecher, dass sie
einen Laien mit starkem russischen Akzent anheuern müssen?“ Er nahm dann
aber den Job doch gern an.
Anschließend erzählte er: „Die Landschaft ist wunderschön, die Aufnahmen
sind spektakulär, doch exotische Tiere kann die mittelrussische Ebene nicht
bieten. Die Fauna an der Wolga ist den Deutschen gut vertraut, Wildschweine
und Elche, Biber und Schildkröten, Adler, Mäuse und jede Menge Mücken. Das
einzige Tier, das es nur an der Wolga und sonst nirgends auf der Welt gibt,
heißt Wychochol.“
Es gibt dieses Tier allerdings auch noch – etwas kleiner und mit längerem
Rüssel – in den Pyrenäen, wo es ebenfalls immer seltener wird. Die BBC
drehte einmal einen Film über diesen „Galemys pyrenaicus“, der sich gern an
schnell fließenden Gebirgsbächen aufhält, während der russische „Desmana
moschata“ eher an Seen und Teichen zu finden ist. Beide haben Schwimmhäute
zwischen den Zehen, können mit ihren Krallen aber auch gut klettern. Ihre
Augen sind winzig, wirken jedoch durch eine weiße Umrandung sehr viel
größer.
## Uralter Überlebenskünstler
Kaminer bekam vom Sender weitere Informationen über dieses selten gewordene
Tier, das einst über ganz Europa verbreitet war: „Es soll ein Millionen
Jahre altes Relikt sein, ein Überlebenskünstler, es hat die Mammuts
überlebt und Waldbrände und Weltkriege, es hat die Eiszeit und den
Kommunismus überlebt und den Niedergang der Sowjetunion ebenfalls, der in
meiner Heimat nach wie vor als GGKJ, ‚größte geopolitische Katastrophe des
Jahrhunderts‘ bezeichnet wird. Die besondere Wehrhaftigkeit des Wychochol,
das Geheimnis seines langen Lebens, ist im Schwanz des Tierchens versteckt.
Es sind Drüsen, die einen dermaßen stark riechenden Duft produzieren, dass
die Kühe das Wasser nicht mehr aus dem Fluss trinken, wenn dort zuvor ein
Wychochol vorbeigeschwommen ist.“
Wegen ihres Fells und des Drüsensekrets, das man für die Parfümherstellung
verwendete, hat man die Desmane intensiv verfolgt, sodass sie an den Rand
der Ausrottung gerieten, 1957 wurde die Jagd auf sie deswegen verboten,
zuvor gab es bereits einige regionale Schutzzonen für die Tiere, deren Fell
an der Oberseite rotbraun und an der Unterseite aschgrau gefärbt ist.
1933 hieß es in einer Zusammenfassung über den Stand der russischen
Wychochol-Forschung: „In den letzten Jahren wurde eine Reihe sehr
interessanter Arbeiten über die Lebensweise des Desman, dieses kostbaren
Pelztieres, veröffentlicht. Während der nun fast zehnjährigen Schutzperiode
wuchs der Bestand der Art merklich, sodass wir sie nicht mehr als
aussterbendes Tier, sondern nur als leicht ausrottbares bezeichnen können.“
Es gab wiederholt Versuche, die Wassermaulwürfe in Gefangenschaft zu halten
und zu züchten – aber ohne großen Erfolg, weil es sich als zu schwierig
erwies, sie richtig zu ernähren. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte den
Desmanen neben der Jagd mehr und mehr die Gewässerverschmutzung zu. Laut
Wikipedia richteten die sowjetischen Naturschutzbehörden daraufhin mehrere
Schutzgebiete ein und initiierten Umsiedlungsprogramme, neben dem
Wolgagebiet auch am Ob und am Dnepr, wo die Desmane früher nicht heimisch
waren.
Gelegentlich werden heute noch Umsiedlungsprogramme durchgeführt: 1983
wurde eine Städtepartnerschaft zwischen Erlangen und Wladimir, einer Stadt
am Fluss Kljasma, vereinbart. Im Internetblog „erlangenwladimir“ wird
berichtet, dass 2019 die Arbeiten an der neuen Bahnstrecke für
Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Moskau und Kasan begonnen haben. Es ist
ein chinesisch-russisches Gemeinschaftsprojekt. Die Züge sollen in Wladimir
halten – die Hauptstadt des gleichnamigen Oblast liegt an der Kljasma,
einem Nebenfluss der Oka, die in die Wolga mündet.
Bei den Planungsarbeiten ging es darum, einen Ausgleich zwischen Verkehr
und Umwelt zu finden: „So will man etwa 20 Wassermaulwürfe – der Blog
berichtete schon öfter über diese fast ausgestorbenen Kleinsäuger – aus
einer Zone im Becken der Kljasma umsiedeln, weil man befürchtet, die in der
Nähe verlaufende Trasse könnte den Russischen Desman stören.“
## Akzent für Exotik
An der Wolga musste das Filmteam das kleine, etwa rattengroße Tier lange
suchen: „Es folgte seinem Geruch am Fluss, verlief sich beinahe im Wald und
wurde dann aber doch fündig: 20 Sekunden lang tauchte der Wychochol aus dem
Wasser auf, winkte mit dem Rüssel dem deutschen Zuschauer und verschwand
wieder. Schon schön, sagte die Redaktion bei der Abnahme des Films, aber
etwas zu wenig Exotik. Deswegen wurde ich als Sprecher mit russischem
Akzent angeheuert“, so Kaminer.
Dem Film ist nicht zu entnehmen, dass die Desmane im Gegensatz zu den
Maulwürfen sozial leben, das heißt, dass sie sich oft zu mehreren einen Bau
am Ufer teilen, dessen Eingänge unter der Wasseroberfläche liegen und den
sie mit Pflanzenmaterial auspolstern. Gelegentlich legen sie ihre Baue auch
in Biberburgen an.
Biber ebenso wie Bisamratten sind Nagetiere und fressen Pflanzen, sind also
keine Nahrungskonkurrenten für die Desmane, die man gelegentlich auch als
Bisamrüssler bezeichnet. Sie zählen zur Ordnung der Insektenfresser, jagen
nachts und haben es dabei auf kleine Fische ebenso wie auf Krebstiere und
Amphibien abgesehen, auch Insekten verschmähen sie nicht, das gilt noch
mehr für den Pyrenäen-Desman, der sich hauptsächlich von Wasserinsekten und
deren Larven sowie von Blutegeln, Ringelwürmern und Schnecken ernährt.
„Er lebt in monogamer Einehe“, behaupten jedenfalls die Autoren von
„tierdoku.de“, die an anderer Stelle jedoch schrei-ben: „Über das
Fortpflanzungsverhalten der Pyrenäen-Desmane ist nur sehr wenig bekannt“,
gleiches gilt für die Lebenserwartung in ihren natürlichen Lebensräumen.
Sie graben keine Baue, sondern nutzen Felsspalten und -höhlen.
Über den Russischen Desman, von dem es noch etwa 30.000 Exemplare geben
soll, schrieb Alfred Brehm: „Oft steckt er seinen Rüssel in das Maul und
läßt dann schnatternde Töne hören, welche denen einer Ente ähneln. Reizt
man ihn oder greift man ihn an, so pfeift und quiekt er wie eine
Spitzmaus.“
12 Aug 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Desman
Russland
Wladimir Kaminer
Haustiere
Donald Trump
Biologie
Schmetterling
Tiere
Maulwurf
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Reptilien brauchen Immobilien
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (85): Sind Eidechsen
hinter Gittern und Glas glücklich? Oder in einem italienischen Bett?
Die Wahrheit: Das ausstülpbare Begattungsorgan
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (84): Trumpitiere sind
Wesen, die nach Donald Trump benannt wurden.
Die Wahrheit: Alarm für hungrige Heuler
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (83): Seehunde als
Gefangene einer Wissenschaft im Fortschrittswahn.
Die Wahrheit: Attacke, Täuschung und Flucht
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (81): Der Dunkle
Wiesenknopf-Ameisenbläuling lebt in seltsamen Verhältnissen.
Die Wahrheit: Wahnsinnskacke in Würfelform
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (80): So süß die Beutler
auch sind, wer Wombats liebt, hat es hierzulande nicht leicht.
Die Wahrheit: Üble Rache für die ewigen Haufen
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (79): Der Maulwurf an sich
und in seiner historischen sowie politischen Bedeutung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.