| # taz.de -- Europas größtes Verkehrsprojekt: Ein riesiges Loch im Berg | |
| > Der Brenner-Basistunnel soll den Verkehr über die Alpen entlasten. Doch | |
| > Deutschlands jahrelange Untätigkeit verzögert das Vorhaben. | |
| Bild: Ist das Brenner-Projekt erfolgreich, werden hier künftig Schnellzüge du… | |
| Innsbruck taz | Die Bohrmaschine läuft an: Es rumpelt, knattert, dann | |
| donnert es in der mit künstlichem Licht ausgestrahlten Höhle. | |
| Grau-schwarze, schimmernde Steinbröckel fallen herunter. Sie sind alt, sehr | |
| alt. Vor 300 bis 30 Millionen Jahren bildete sich das Gestein der Alpen. | |
| „Wir sind die ersten Menschen hier“, sagt Andreas Ambrosi, während die | |
| Belüftungsanlage im Tunnel nahe der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck | |
| unablässig rattert. | |
| Ambrosi ist Sprecher der [1][Betreibergesellschaft, die den | |
| Brenner-Basistunnel baut]. Zwei Röhren werden für den schnellen Zugverkehr | |
| durch den Hauptkamm der Alpen gebohrt, sie verbinden dann Innsbruck mit dem | |
| Ort Franzensfeste (Fortezza) in Südtirol. Durch die eine fährt die Bahn von | |
| Norden nach Süden, durch die andere in entgegengesetzter Richtung. | |
| Der Brenner-Basistunnel, BBT abgekürzt, ist das derzeit größte europäische | |
| Verkehrsprojekt. Die Kosten werden auf zehn Milliarden Euro geschätzt, | |
| bezahlt von Österreich, Italien und der EU. Baubeginn war Ende 2009, bis | |
| 2028 sollen die Tunnel fertig sein. Über die alten Brenner-Gleise benötigt | |
| man von München nach Verona heute fünfeinhalb Stunden, künftig soll es die | |
| Hälfte sein. | |
| Doch ausgerechnet Deutschland bereitet den Planern zunehmend Probleme. Denn | |
| für die Schienen-Achse braucht es auch neue sogenannte Zuläufe zum Tunnel. | |
| Es reicht nicht, wenn die 55 Tunnel-Kilometer zwar in raschen 25 Minuten | |
| durchfahren werden, die Züge dann aber durch Oberbayern auf einer | |
| Bahnstrecke aus der Mitte des 19. Jahrhundert dahinzuckeln. | |
| ## Deutschland steuert auf Blamage zu | |
| Beim Ausbau ist Deutschland, so die Kritik, massiv im Verzug. Zuständig | |
| sind die Bundesregierung und die Deutsche Bahn. Markus Büchler, | |
| verkehrspolitischer Sprecher der bayerischen Grünen-Landtagsfraktion, | |
| warnt, dass Deutschland dabei sei, „sich international bis auf die Knochen | |
| zu blamieren und zugesagte Verträge nicht einzuhalten“. Hinzu kommt, dass | |
| es im Inntal, wo die Neubautrasse verlaufen soll, mittlerweile heftigen | |
| Protest der Bevölkerung gibt. | |
| In Bayern und Baden-Württemberg haben gerade zwei Wochen Pfingstferien | |
| begonnen. Solche Anlässe veranschaulichen immer wieder, warum der | |
| Zug-Tunnel von vielen so herbeigesehnt wird: Kolonnen aus Pkws, Wohnmobilen | |
| und Lkws kriechen im Stau viele Stunden lang auf der Brennerautobahn, die | |
| Österreich und Italien verbindet. Die Prognosen vor allem für den | |
| Güterverkehr per Lastwagen lauten seit Jahren: steigend. Deshalb sollen | |
| durch den Brenner-Basistunnel sowohl Reisende als auch Güter umweltschonend | |
| und rasch per Bahn transportiert werden. Auf EU-Ebene ist das Projekt | |
| Bestandteil einer angestrebten schnellen Bahn-Achse von Süditalien bis nach | |
| Skandinavien. | |
| Doch wie steuert man ein solch gigantisches Projekt, wie setzt man es | |
| durch, wie hält man alles zusammen? In der Kantine der BBT-Gesellschaft hat | |
| Konrad Bergmeister seine Gummistiefel und die gelb-grüne Schutzkleidung | |
| angelassen, er kommt gerade aus dem Tunnel. Das Essen ist schon aus, | |
| Bergmeister freut sich umso mehr, dass ihm die Servicekraft doch noch ein | |
| Stück Schweinehals mit Sauerkraut organisieren kann. Er ist Ingenieur, | |
| zweifacher Doktor – auch in Volkskunde –, Professor und seit 2004 Vorstand | |
| der BBT SE, also der Firma, die den Tunnel baut. „Wissen Sie“, sagt | |
| Bergmeister bedeutsam und zugleich leicht, „der Tunnel führt Europa | |
| zusammen.“ | |
| Für ihn sei es „faszinierend, wenn menschliche, technische und geologische | |
| Probleme zu lösen sind“. Widerstand wie im bayerischen Inntal gab es in | |
| Italien und in Österreich auch, sagt er. Und er hatte Angst, dass der | |
| Tunnelbau daran scheitert. Auch hier weiß man vom Bahnhofsprojekt in | |
| Stuttgart, Bergmeister meint: „2007 hatten wir eine ähnliche Situation wie | |
| bei S21.“ Es habe „eine Mischung aus Angst und berechtigter Kritik“ | |
| bestanden. | |
| ## „Die Leute sollen sehen: Das ist ihre Baustelle“ | |
| Bergmeisters Überzeugung: „Wir können den Tunnel nur mit und nicht gegen | |
| die Menschen bauen.“ So ist er über eine lange Zeit 150 Abende im Jahr zu | |
| Veranstaltungen gegangen, hat das Projekt in den Dörfern vorgestellt und | |
| die Kritik abgeholt. „Daraufhin wurden Teile abgeändert und alle Regionen | |
| einbezogen.“ Er hat in Österreich und Italien Ombudsleute eingeführt. „Die | |
| Leute sollen sehen: Das ist ihre Baustelle.“ | |
| Jedes Jahr gibt es den „Tag des offenen Tunnels“, da kommen 10.000 | |
| Besucher. Die 1.500 Arbeiter, die am BBT bauen, „wohnen nicht in | |
| Containern, die sind privat untergebracht“. Das nutze den Zimmervermietern, | |
| und in den Dörfern sehe man, welche Menschen im Tunnel arbeiten, häufig | |
| Männer aus Ungarn, Rumänien oder Tschechien. Immer wieder würden diese mit | |
| ihren Familien von den Gastgebern auch für einen Urlaub eingeladen, erzählt | |
| Bergmeister. | |
| Und der BBT-Chef stammt selbst aus der Region, er ist Italiener und wohnt | |
| in Neustift in Südtirol, nah beim südlichen Tunneleingang in Franzensfeste. | |
| „Ich bin einer von hier“, sagt Konrad Bergmeister. Er ist kein | |
| eingeflogener, aufgeblasener Top-Manager, der wieder weg ist, wenn die | |
| Arbeit erledigt oder das Projekt gescheitert ist. Einmal hatten | |
| Tunnel-Kritiker bei ihm zu Hause geklingelt. Bergmeister hat sie ins Haus | |
| gebeten und den Abend lang mit ihnen diskutiert. | |
| Welche Probleme gibt es mit Deutschland und dem Nordzulauf in den Tunnel? | |
| „Man hat in Deutschland und speziell in Bayern nie wahrnehmen wollen“, so | |
| Bergmeister, „dass der Tunnel überhaupt gebaut wird.“ Doch seit dem 15. | |
| Juni 2012 – das Datum hat er im Kopf – gebe es ein Abkommen über den | |
| Zulauf, beschlossen noch mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Peter | |
| Ramsauer von der CSU. Nach heutigem Stand gibt es noch keine Festlegung auf | |
| einen Trassenverlauf, stattdessen existieren rund 100 Varianten, wo man die | |
| Züge auf vier Gleisen zwischen dem österreichischen Grenzort Kufstein, | |
| Rosenheim und München entlang leiten könnte. | |
| ## In Bayern gibt es erbitterten Protest | |
| Auf eine Anfrage der taz teilt das Bundesverkehrsministerium unter Andreas | |
| Scheuer (CSU) knapp mit: „Derzeit befinden wir uns mitten im Prozess des | |
| Planungsdialogs unter Einbindung der Region.“ Als Scheuer wegen des | |
| Brenner-Nordzulaufs im Januar dieses Jahres nach Rosenheim kam, wurde er | |
| von 3.000 Demonstranten empfangen, die sich mittlerweile in 15 | |
| Bürgerinitiativen organisieren. „Kein Inntal 21“, stand auf ihren Plakaten, | |
| „stoppt den Bahnsinn!“. Die Leute fürchten sich vor dem Lärm und dass sie | |
| ihre Häuser und Grundstücke aufgeben müssen. Thomas Riedrich vom | |
| Aktionsbündnis „Brennerdialog“ findet: „Das jetzige Gleis wäre mit | |
| einfachen Mitteln zu renovieren, das wäre ausreichend.“ | |
| Markus Büchler von den Grünen in Bayern sagt gegenüber der taz: „Der | |
| Widerstand ist vom CSU-Bundesverkehrsministerium hausgemacht. Genauso wie | |
| in Österreich werden auch in Bayern die Menschen für den Ausbau des | |
| BBT-Nordzulaufs zu gewinnen sein, wenn ein stimmiges Gesamtkonzept | |
| vorgelegt wird.“ Ähnlich sehen es die Grünen in Tirol. | |
| „Ohne die Zulaufstrecke ist der BBT als Jahrhundertprojekt nicht | |
| ausgelastet, und das gemeinsame Ziel der Verlagerung von Verkehr von der | |
| Straße auf die Schiene wird nur zögerlich erreicht“, sagt Ingrid Felipe, | |
| Landesrätin für Verkehr. Es kann aber noch dauern. Laut Torsten Gruber, | |
| Projektleiter der Deutschen Bahn, würde, wenn alles gut klappt, die | |
| Zulaufstrecke im Jahr 2038 in Betrieb genommen werden. Da ist der | |
| eigentliche Tunnel schon seit zehn Jahren fertig. | |
| Tunnelbesichtigung: Bei Innsbruck geht es mit dem Pkw rein, erst hinab, | |
| eine Rechtskurve, dann 18 Kilometer unterirdisch immer geradeaus. Am Steuer | |
| sitzt Charly von der BBT-Gesellschaft. Im Berg sind alle per Du, und er ist | |
| immer für einen lockeren Spruch gut. Von den „lahmarschigen Deutschen“ ist | |
| die Rede, Charly meint aber: „So sind die Deutschen, die kommen schon | |
| noch.“ An der Seite liegen alte, abgewetzte Bohrmeißel von der Maschine, | |
| einer wiegt 190 Kilogramm. Mit 46 Stück davon ist der Bohrer ausgestattet. | |
| Je weiter es in den Berg reingeht, umso wärmer und feuchter wird es. Von | |
| den Wänden und der Decke tropft es, man kann Beton und Stein riechen. | |
| Vorne bohrt die 200 Meter lange Maschine, ihr Name lautet „Gripper“. Sie | |
| räumt 1.000 Tonnen Gestein in der Stunde weg, dieses wird auf einem | |
| Förderband nach draußen transportiert. Im Schnitt schafft Gripper 800 Meter | |
| im Monat, das sind um die 27 am Tag. „Wir bohren jetzt ganz gerade Richtung | |
| Süden“, sagt der Sprecher Andreas Ambrosi. Ist der Brenner einst ganz | |
| durchlöchert, so fährt im Norden der Zug hinein und man kommt raus in – | |
| Italien! | |
| 14 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Patrick Guyton | |
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