# taz.de -- Ökologische Forstwirtschaft: Waldumbau in der Krise | |
> Gestritten wird darüber, ob naturferne Kiefernforste mit Gift gerettet | |
> werden sollen, damit in deren Schatten Laubbäume wachsen können. | |
Bild: Protestschild im Kiefernwald bei Fichtenwalde, Brandenburg | |
BERLIN taz | Retten oder sterben lassen? Auch in diesem Jahr mussten sich | |
die Förster und Waldbesitzer in Brandenburg diese Frage wieder stellen. Und | |
wieder ist über die Antwort ein heftiger Streit entbrannt, der auch die | |
forstwissenschaftlichen Fakultäten umtreibt. „Wald ohne Gift ist so wie | |
früher in der Atomkraftdebatte“, sagt Lutz Fähser, „‚AKW abschalten‘ … | |
anders als das, was man gelernt hatte.“ Der ehemalige Forstdirektor des | |
Lübecker Stadtwalds streitet seit Jahren für eine ökologische | |
Waldwirtschaft und meint: „Wir müssen den Wald erst einmal wieder gesund | |
machen.“ | |
Auslöser für die [1][aktuelle Debatte ist ein hübsch gezeichneter | |
Nachtfalter, die Nonne]. Ihre Raupen haben sich im Frühjahr massenhaft in | |
einem etwa 7.000 Hektar großen Kiefernforst in Brandenburg südlich von | |
Berlin vermehrt. Den Bäumen drohte ein Kahlfraß. Nach dem heißen und | |
trockenen Sommer im vergangenen Jahr befanden sich die Forste noch immer in | |
einem kritischen Zustand und drohten großflächig abzusterben. | |
Nach langem Hin und Her bekam der Landesbetrieb Forst in Brandenburg | |
deshalb schließlich die Genehmigung, die Raupen mit einem Insektizid mit | |
Hubschraubern zu besprühen – das ist eigentlich verboten und nur in | |
Ausnahmefällen erlaubt. Gegen die Maßnahme ging der [2][Naturschutzbund | |
(Nabu)] mit Erfolg juristisch vor: Das Oberverwaltungsgericht | |
Berlin-Brandenburg untersagte den Hubschraubereinsatz Mitte Mai, nachdem | |
zwei Drittel der Fläche mit dem Mittel „Karate Forst flüssig“ gespritzt | |
waren. | |
„Wir müssen mit dieser Situation jetzt umgehen“, sagt nachdenklich Jan | |
Engel, Sprecher im [3][Landesbetrieb Forst in Eberswalde.] Die Ansprüche an | |
den Wald seien vielfältig. „Die Forste sollen auch Holz für Bioenergie | |
bereitstellen, für nachhaltiges Bauen, für Papier, oder um Kunststoffe zu | |
ersetzen“, sagt Engel. „Auch um diesen regionalen Rohstoff bereitzustellen, | |
sollen wir als Forstbehörde den jetzt bestehenden Wald erhalten.“ Wenn sich | |
gesellschaftlich nun andere Schwerpunkte mehrheitlich entwickeln, wird sich | |
die Politik hier neu ausrichten. | |
Die Förster seien in einer Zwickmühle, sagt Andreas Linde. Holz als | |
sinnvollen nachwachsenden Rohstoff könnten sie in den noch vorherrschenden | |
Monokulturen nur mit Pflanzenschutz liefern – doch der stehe einem | |
naturnahen Wald entgegen. [4][Linde ist Ökologe und Professor am | |
Fachbereich für Wald und Umwelt der Hochschule Eberswalde] für nachhaltige | |
Entwicklung Eberswalde. Den Einsatz von Karate Forst flüssig im Forst hält | |
er für falsch. Das Mittel des Herstellers Syngenta basiert auf dem | |
Wirkstoff lambda-Cyhalothrin; er ist bei Mensch und Tier hormonell wirksam, | |
sehr giftig für Wasserorganismen und kann bei Menschen Atembeschwerden oder | |
Asthma auslösen. | |
## Vom Kiefernwald zum Mischwald | |
„Das Mittel ist nicht zielgerichtet gegen die Schadinsekten“, befindet | |
Linde. Die Vorstellung des Nabu, die Kiefern großflächig absterben zu | |
lassen, um den Waldumbau zu beschleunigen, findet Linde aber auch nicht | |
sinnvoll. „Wir brauchen den Wandel zu Mischwäldern“, sagt er, „aber bevor | |
auf einer Kahlfläche ein solcher Wald entsteht, dauert das bis zu 150 | |
Jahre.“ Auch ein eintöniger Kiefernforst sei immer noch ein wertvollerer | |
Lebensraum als eine Kahlfläche. | |
Sein Vorschlag: Es müsse schnell wieder eine weniger schädliche Alternative | |
zu Karate Forst auf den Markt gebracht werden. Inzwischen ist Syngenta mit | |
seinem Insektengift allein im Wald, weil die Mittel der Wettbewerber | |
entweder verboten wurden oder nicht mehr hergestellt werden. Bis vor | |
wenigen Jahren etwa war noch das Insektizid „Dipel ES“ erlaubt, das auf | |
Basis des Bodenbakteriums BT hergestellt wird und das hochspezifisch nur | |
gegen Schmetterlinge wirkt. Es sei wichtig, dass wieder ein solches | |
Präparat in den Handel gelange. Dann könne man den bestehenden Wald | |
schützen und den Waldumbau im Bestand betreiben. | |
Diesen Ansatz verfolgt auch [5][Michael Müller, Professor für Waldschutz an | |
der TU Dresden]. Junge Eichen oder Buchen vertrügen Strahlung und Frost auf | |
Kahlflächen schlecht, sie gediehen unter dem Schirm der alten Bäume besser. | |
Außerdem müsse man berücksichtigen, dass viele Wälder im Besitz von | |
Privatleuten seien. | |
## Nadelbäume kosten weniger | |
„Wird Wald vernichtet, kommt es häufig wieder zu Pflanzung oder | |
Naturverjüngung von Nadelbäumen auf den Freiflächen, weil das preiswert und | |
vergleichsweise sicher ist“, sagt Müller. Die aktuellen Debatten über | |
Karate Forst in Brandenburg verfolgt Müller teils verärgert, teils ratlos: | |
„In Brandenburg wurde Waldumbau schon seit Anfang der 90er Jahre | |
betrieben“, sagt er, „die Umbaufläche dürfte inzwischen bei zirka 100.000 | |
Hektar, also 10 Prozent der Waldfläche liegen“. | |
Die Kritik der Umweltverbände hält er deswegen für unausgewogen, die | |
Diskussionsatmosphäre für „zu emotional und zu wenig sachlich“. | |
[6][Pierre Ibisch] hingegen setzt genau auf diese Kritik der | |
Zivilgesellschaft. Der Biologe, der an der Hochschule Eberswalde eine | |
Professor für Naturschutz hält, wird langsam „unruhig“, wenn er das Tempo | |
des Waldumbaus hierzulande betrachtet. Die aktuelle Krise im Wald könne ihm | |
einen Schub gehen. Ibisch hält es für falsch, die naturfernen und | |
anfälligen Kiefernforste mit Gift zu erhalten, damit in deren Schatten | |
Eichen und Buchen wachsen können – im Gegenteil. | |
„Totholz bietet eine Chance für die Ernährung und den Schutz neuer | |
Baumgenerationen“, sagt er. Ganz in der Nähe des von der Nonne befallenen | |
Forsts waren im vergangenen Jahr 600 Hektar Wald abgebrannt. Dort, bei | |
Treuenbrietzen, konnte sich der Professor eine kleine Versuchsfläche | |
sichern, in der die verbrannten Bäume nicht abtransportiert wurden, sondern | |
liegen blieben. Die Ascheschicht halte das Wasser recht gut, die Sämlinge | |
keimten schon nach wenigen Monaten unter den verbrannten Stämmen. Auch in | |
einem von Insekten zerstörten Forst könne sich Wald effektiv erneuern, das | |
zeigten etwa Erfahrungen im Nationalpark Bayerischer Wald, in dem vor | |
Jahren der Borkenkäfer gewütet habe. „Dort, wo damals nicht gespritzt | |
wurde, sieht es jetzt am besten aus“, sagt Ibisch. | |
Befragte Förster aus Brandenburg halten die Situation im feuchten | |
Bayerischen Wald für nicht vergleichbar mit den trockenen, armen Böden im | |
Nordosten. Würden sie ungeschützt der Sonne ausgesetzt, wüchse dort nur | |
noch Gras. Ibisch weist das zurück. Man dürfe eben nicht alle Stämme | |
entnehmen. Viel Totholz verhindere Vergrasung. Der Wald mache sich seinen | |
Boden selbst, reichere Humus an und halte das Wasser immer besser zurück. | |
## Mutige Förster | |
Neben Kiefern kämen zuerst vor allem Birken und Weiden. Das Problem sei | |
nicht, dass sich keine Bäume ansiedelten, der Wald baue sich neu auf, werde | |
struktur- und artenreich. „Nur aus kurzfristig-ökonomischer Perspektive ist | |
dies ein Problem. Langfristig rentiert sich das. Leider muss ein Förster | |
heute mutig sein, wenn er weniger eingreift und den Wald selber machen | |
lässt“, sagt Ibisch. | |
Um mehr Perspektiven sichtbar zu machen, müssten dem aus seiner Sicht noch | |
immer dominierenden „klassischen“ Ansatz in der Forstwissenschaft – nach | |
dem Nachhaltigkeit nur bedeutet, dass immer genügend Bäume nachwachsen – | |
ökologische Alternativen hinzugefügt werden, sagt Lutz Fähser. | |
Zurzeit arbeite ein Netzwerk aus der Zivilgesellschaft daran, Sponsoren für | |
Stiftungsprofessuren zu gewinnen. „Wenn wir einen anderen Wald wollen“, | |
sagt er, „brauchen wir dringend eine andere Ausbildung.“ | |
2 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Schaedling-im-Brandenburger-Forst/!5594981 | |
[2] https://brandenburg.nabu.de/spenden-und-mitmachen/spenden/26369.html | |
[3] https://forst.brandenburg.de/lfb/de/ | |
[4] https://www.hnee.de/de/Fachbereiche/Wald-und-Umwelt/Professorinnen-und-Prof… | |
[5] https://tu-dresden.de/bu/umwelt/forst/wb/waldschutz | |
[6] https://www.hnee.de/de/Fachbereiche/Wald-und-Umwelt/Professorinnen-und-Prof… | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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