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# taz.de -- Hitzefolgen im Fichtenforst: Schädling oder Förster-Gehilfe
> Der Borkenkäfer ist wieder da. Trockenheit und Stürme begünstige das
> gefräßige Tierchen. Wie sollen die Forstverwaltungen damit umgehen?
Bild: Nur einige Millimeter klein, kann aber trotzdem Bäume fällen: der Borke…
Berlin taz | Im Kreiswald des Herzogtums Lauenburg spritzt die
Forstverwaltungen erstmals seit zwanzig Jahren Gift, im Harz sperren sie
aus Angst vor umstürzenden Bäumen Straßen, und auf den Holzsammelplätzen
stapeln sich die Stämme. Dahinter steckt der Borkenkäfer, der sich
deutschlandweit am Fichtenholz labt. Nach dem trockenem Sommer und dem
stürmischen Herbst im vergangenen Jahr bieten sich dem Käfer beste
Bedingungen. Die Bäume sind trocken und anfällig und können sich nur
schlecht gegen Schädlinge wehren. Stellt sich die Frage: Wie umgehen mit
dem massenhaft auftretenden Borkenkäfer?
Die Tierchen fressen sich unter die Rinde von Fichten und legen dort
durchaus schmucke Gänge an, daher heißen sie auch „Buchdrucker“ oder
„Kupferstecher“. Anders als etwa Schmetterlingsraupen kann der Borkenkäfer
nicht aus der Luft bekämpft werden, weil er auf Blätter gespritzte
Insektizide nicht frisst. Zudem bevorzugt er geschädigte oder bereits
abgestorbene Bäume. Wichtig sei daher, das Holz schnell aus dem Wald zu
räumen und außerhalb zu stapeln, heißt es aus dem Umweltbundesamt (UBA).
Problem: Die Holzpreise sind zurzeit im Keller. Dürre und Schädlingsbefall
haben den Forsten schon 2018 zugesetzt, sodass deutlich mehr Holz
geschlagen und verkauft wurde als üblich. Das
Bundeslandwirtschaftsministerium schätzt, dass 2018 rund 32,4 Millionen
Kubikmeter Holz aus geschädigten Forsten angefallen sind. Dieses Jahr
könnten es, je nach Witterung, noch mehr werden. Im Schnitt werden in
Deutschland insgesamt jährlich 76 Millionen Kubikmeter Holz geschlagen –
die Schadholzmengen sind also beträchtlich. Das Ministerium stellt deshalb
Steuererleichterungen für die Waldbesitzer und Finanzhilfen von Bund und
Ländern in Höhe von 41 Millionen Euro bis 2023 in Aussicht.
Diese Summe werde nicht reichen, sagt Larissa Schulz-Trieglaff, Sprecherin
der Arbeitsgemeinschaft deutscher Waldeigentümer (AGDW). „Die
Waldeigentümer fordern Hilfen in Höhe von rund 500 Millionen Euro“, so
Schulz-Trieglaff. Allein für die Aufarbeitung der Schäden müssten rund 2,5
Milliarden Euro veranschlagt werden. Die Waldbesitzer stecken in einem
Teufelskreis fest: Dürre und Schädlinge führen zu einem Überangebot an
Holz, das zerstört den Markt. Zugleich müssen sie wegen des Borkenkäfers
die Stämme schneller aus dem Forst schaffen. Die Folge ist noch mehr Holz.
## Ultima Ratio: Gifteinsatz
Oder man wählt den Weg vieler Forstverwaltungen, etwa in Bayern oder
Schleswig-Holstein. Sie lagern das Holz als sogenannte Polter im Forst –
und besprühen es zum Schutz gegen den Käfer mit Insektiziden. Diese
„Begiftung“ von Holz, das etwa an den Wegrändern liegen bleibt, sei die
„Ultima Ratio“, heißt es aus dem Bayerischen Forstministerium. Bei dem
Massenbefall drohten bei nicht sachgerechter Bekämpfung größere Waldgebiete
dem Borkenkäfer zum Opfer zu fallen, so das Ministerium. Im Herzogtum
Lauenburg nordöstlich von Hamburg setzen die Behörden erstmals seit zwanzig
Jahren im Kreiswald wieder Gifte gegen den Borkenkäfer ein. Die
„Bekämpfungsstrategie“ des Kreises setzt dem Insektizideinsatz zwar enge
Grenzen: So soll er nicht bei Fichten, die nicht standortgerecht wachsen,
oder in Biotopen erfolgen.
Die Grünen-Fraktion im Kreistag hält trotzdem nichts von der Maßnahme und
wollte die Spritzaktion vergangene Woche per Antrag stoppen – allerdings
ohne Erfolg. Alle redeten von Artenschutzprogrammen, man müsse aber auch
handeln, sagt Kornelia Mrowitzky, die für Bündnis90/Grüne im Lauenburger
Kreistag sitzt. Es sei ein Fehler, den „Intensivpatienten Fichtenwald“ mit
Gift am Leben zu erhalten, so Mrowitzky. Der Gifteinsatz gegen den
Borkenkäfer sei ein Türöffner für andere Insektizide, etwa gegen die Nonne
oder den Eichenprozessionsspinner. „Dann sind wir im Forst irgendwann da,
wo wir in der Landwirtschaft schon jetzt sind“, so die grüne
Kreispolitikerin, die sich damit gegen ihren grünen Umweltminister stellt,
der den Gifteinsatz genehmigt hat.
Auch das Umweltbundesamt sieht den Einsatz von Insektiziden auf Holzpoltern
mit gemischten Gefühlen. Die eingesetzten Pflanzenschutzmittel wirken lange
und töten nicht nur den Borkenkäfer, sondern auch andere Insekten. Zudem
sind sie giftig für Wasserorganismen. Eingesetzt werden dürften sie nur,
wenn alle vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden – etwa
ein ausreichender Abstand zu Gewässern. In Naturschutzgebieten sollten
diese Mittel laut UBA nicht eingesetzt werden. Andererseits sieht man im
UBA ein, dass die Besitzer und Verwalter von Wirtschaftswäldern gegen den
Käfer vorgehen wollen.
Eine andere Sicht auf den Schädling haben die Verwaltungen der
Nationalparks im Bayerischen Wald und im Harz. Nur an ihren Rändern wird
der Käfer bekämpft, indem Holz geräumt wird. Insektizide werden nicht
eingesetzt. In den geschützten Zonen darf der Käfer wüten. „Die
abgestorbenen Bäume sehen zwar nicht schön aus“, sagte Andreas Pusch,
Leiter des Nationalparks Harz kürzlich in der Mitteldeutschen Zeitung. In
Bereichen, die der Borkenkäfer vor mehr als zehn Jahren verwüstete, seien
zwischen den toten Fichten aber längst junge Laubbäume nachgewachsen, die
Artenvielfalt habe zugenommen.
18 Jun 2019
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
Bayrischer Wald
Wald
Ökologie
Artenvielfalt
Schwerpunkt Fridays For Future
Nonne
Wald
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